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"Beim zweiten Bier hörte das Zittern auf"

In der WG für Suchtkranke in Gisingen hat sich Erhard wieder in ein normales Leben zurückgekämpft
In der WG für Suchtkranke in Gisingen hat sich Erhard wieder in ein normales Leben zurückgekämpft ©MiK
Feldkirch - 2009 verfiel Erhard* (61) aus Feldkirch dem Alkohol. In der Caritas Wohngemeinschaft für Suchtkranke in Gisingen fand der gelernte Tischler und Koch den Weg zurück ins Leben.
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„Ich stamme aus Niederösterreich. Mein erster Kontakt mit Alkohol fand in einer sogenannten Burschenschaft statt. Dort wurde ich als 15-Jähriger ‚eingesaftelt‘. Daraufhin habe ich lange Zeit die Finger davon gelassen“, erzählt der 61-Jährige. Erhard kann auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Seit 25 Jahren lebt er in Vorarlberg, wo er seine Brötchen in der Gastronomie und als Taxifahrer verdient hat. „2009 riss es mir den Boden unter den Füßen weg. Meine Frau ist ebenfalls der Flasche verfallen, obwohl sie das bis heute nicht eingesehen hat. Wir ließen uns dann scheiden. Hinzu kamen gesundheitliche Probleme – ich erhielt die Diagnose Dickdarm-Krebs. In dieser Zeit sah ich den einzigen Ausweg in der Flasche“, führt der Gastronom fort.

Alles trat in den Hintergrund

„In meiner härtesten Phase galt mein erster Gedanke dem Alkohol. Ich stand auf, ging zum Kühlschrank und trank mein erstes Bier. Nach dem zweiten hörte dann das Zittern auf und ich begab mich ins nächste Gasthaus, wo man weiter machte. Alles trat in den Hintergrund, ich vergaß auf Essen, Freunde, Verwandte, usw. So ging es nahezu ein Jahr weiter“, berichtet Erhard. Auch finanziell stürzte ihn seine Trunksucht nahezu in der Ruin, beinahe seine ganze Altersvorsorge war in kürzester Zeit aufgebraucht. „Eines morgens in einem einschlägigen Lokal brachte die Kellnerin um halb neun die erste Runde Schnaps. Ich sah aus dem Fenster in die belebte Feldkircher Innenstadt und wieder zurück ins verrauchte Lokal mit den üblichen Verdächtigen. In diesem Moment hat es bei mir ‚Klick‘ gemacht und ich gestand mir ein, dass ich etwas unternehmen musste“, beteuert Erhard. Er wandte sich an die Suchtfachstelle der Caritas. Nach zehn Tagen in der Notschlafstelle kam der dreiwöchige Entzug in Rankweil. Nach der Therapie in Maria Ebene und einem erneutem Aufenthalt in der Notschlafstelle erhielt Erhard einen Platz in der Wohngemeinschaft für Suchtkranke, um einem Rückfall vorzubeugen.

Zurück in den Alltag

„In der WG wurde ich mit offenen Armen empfangen. Als Koch habe ich Aufgaben in der Küche übernommen und fand Freunde, die mein großes Hobby, das Fischen, teilen. Natürlich gab es auch Momente, in denen der Suchtdruck übermächtig wird. Man wacht auf und hat trotz Abstinenz den Geschmack von Alkohol im Mund. Aber gemeinsam mit den Betreuern und den Mitbewohnern findet man Ablenkung“, führt Erhard fort. Trotzdem führt für ihn der Weg in die Abstinenz nur über den eigenen Verstand: „Wenn du keinen eigenen Willen entwickelst, von der Sucht los zu kommen, nützen alle Entzüge oder Therapien nichts.“ Die WG in Gisingen hat ihn auf seinem Weg zurück ins Leben begleitet und ihm neue Ziele vermittelt: Sein nächstes großes Vorhaben ist ein Fischerurlaub in Norwegen.

*Name von der Redaktion geändert

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