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„Im Mörder einen Menschen sehen“

„Ich weiß, niemand kommt für eine belanglose Tat in den Todestrakt – für mich war jedoch von Anfang an klar, dass ich den Menschen kennen lernen will, der er jetzt ist“, so die 22-Jährige.
„Ich weiß, niemand kommt für eine belanglose Tat in den Todestrakt – für mich war jedoch von Anfang an klar, dass ich den Menschen kennen lernen will, der er jetzt ist“, so die 22-Jährige. ©W&W
Erst kürzlich hat Maryland, als 18. Staat in den USA die Todesstrafe abgeschafft. Magdalena Hubmann (22) aus Hohenems pflegt seit drei Jahren eine Brieffreundschaft mit Anthony, der wegen Mordes auf seine Hinrichtung in Texas wartet: Eine starke Freundschaft, die dem Tod geweiht ist.

WANN & WO: Wie bist du zu deinem Brieffreund gekommen?

Magdalena Hubmann: Ein Interview mit einem Schweizer Arzt, der sich auf eine solche Brieffreundschaft eingelassen und mich in seiner Offenheit sehr beeindruckt hat. Die Schweizer Organisation Lifespark vermittelt Todeskandidaten, bietet kompetente Unterstützung und klärt über die Verantwortung, die so eine Freundschaft mit sich bringt, auf. Nach einem aufklärenden Gespräch bekam ich die Adresse meines Brieffreundes: Er war acht Jahre älter als ich und saß seit seinem 23. Lebensjahr im Todestrakt.

WANN & WO: Hast du Nachforschungen über die Tat angestellt?

Magdalena Hubmann: Gleich zu Beginn habe ich Anthony klar gemacht, dass ich mich nicht davor scheuen werde, sämtliche Fakten über seinen Fall zusammenzusuchen, aber ich habe für mich entschieden, diesem Menschen mit Unvoreingenommenheit und Offenheit zu begegnen – ein Spagat, der nicht immer einfach zu machen war. Es steht mir nicht zu, über Menschen zu urteilen. Eine Brieffreundschaft mit einem Todeskandidaten zu pflegen, bedeutet in keiner Weise, sein Verbrechen in irgendeiner Form zu rechtfertigen. Aber es zeigt, dass man auf so einen Menschen zugehen und sich mit ihm unterhalten kann. Es ist eine große Herausforderung, in einem Mörder einen Menschen zu sehen.

WANN & WO: Wie sah der erste Briefwechsel aus?

Magdalena Hubmann: Ich habe ihm eine einfache Postkarte geschrieben. Es war ein sehr seltsames Gefühl, Post aus dem Todestrakt zu bekommen. Der Brief wurde von Anthonys Zellennachbar verfasst, da er selbst nicht lesen und schreiben kann. Das war schon sehr eigenartig. Trotzdem, ich habe mich darauf eingelassen und wollte es durchziehen.

WANN & WO: Über welche Themen schreibt ihr?

Magdalena Hubmann: Es mag vielleicht komisch klingen, aber wir lachen unglaublich viel in unseren Briefen. Er schreibt nur ganz selten, wenn es ihm schlecht geht. Es ist schwierig, sich vorzustellen, was gerade wirklich in ihm vorgeht. Anthony und ich haben schnell einen guten Draht zueinander gefunden. Es gibt bei uns keine tiefgründigen Fragen über den Sinn des Lebens – viel mehr ist es die Suche nach Normalität: Prospekte, Tickets, Stundenpläne der Uni – alles, was mit meinem täglichen Leben zu tun hat, geht weiter nach Texas. Von dort aus lebt er meinen Alltag mit. Er kommentiert sämtliche Fotos, ist überaus neugierig und verzweifelt an meinem unterentwickelten Wissen bezüglich allem, was auf vier Rädern fährt oder was texanischen Hip Hop betrifft.

WANN & WO: Sprecht ihr über seinen Tod?

Magdalena Hubmann: Sterben, das ist bei uns ein Tabu-Thema. Wenn einer seiner Freunde hingerichtet wird, dann schreibt er mir das, aber das war’s auch schon.

WANN & WO: Redet ihr über Schuld oder Unschuld?

Magdalena Hubmann: Ich wurde nie vor die Wahl gestellt, das eine oder das andere glauben zu müssen. Ich kann öffentlich nicht über seine Tat sprechen, da derzeit neue Hearings stattfinden und der Fall (hoffentlich) neu aufgerollt wird.

WANN & WO: Hast du Angst vor dem Tag, an dem Anthony hingerichtet wird?

Magdalena Hubmann: Man geht so einen Briefwechsel mit dem Wissen ein, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit durch den Tod des Gefangenen beendet werden wird. Ich machte mir abstrakte Vorstellungen, was das alles mit sich bringt, aber wenn man dann den ganzen Weg mit einem Brieffreund mitlebt, nimmt die ganze Situation eine Realität an, die man vorher vielleicht verdrängt hat und die in ihrer Unaufhaltsamkeit und Ungewissheit unerträglich ist. Ich habe viel recherchiert, ich weiß, was Schritt für Schritt bei einer Hinrichtung passiert. Wir konzentrieren uns auf das Jetzt – das ist alles, was im Moment zählt.

WANN & WO: Wie siehst du die Todesstrafe?

Magdalena Hubmann: Wie kann man die Todesstrafe rechtfertigen: Töten, um zu zeigen, dass Töten falsch ist? Die Todesstrafe abzulehnen hat für mich nichts mit Mitleid oder Schönrederei für einen verurteilten Mörder zu tun, sondern vielmehr mit der Grundüberzeugung, dass jegliches Töten falsch ist. Es widerspricht meinem Verständnis von Gerechtigkeit, Gleiches mit Gleichem zu vergelten.

WANN & WO: Was muss man für so eine Brieffreundschaft mitbringen?

Magdalena Hubmann: Viel Energie und Zeit, auch ein gesundes Maß an Selbstvertrauen, kritischem Denken, Ausdauer und Sensibilität. Eine solche Brieffreundschaft basiert nicht auf Sympathie oder Faszination gegenüber einem Mörder, das hat damit nichts zu tun – sondern mit der Offenheit, auf so jemanden zuzugehen und ihm die Chance zu geben, Mensch und nicht Monster zu sein.

„Magdalena gibt mir Hoffnung!“

Anthony, Todeskandidat: „Die Freundschaft zwischen uns ist sehr vertraut geworden. Sie gibt mir
Hoffnung und überzeugt mich immer wieder, mich auf die positiven Seiten des Lebens zu konzentrieren.
Einen Brief von ihr zu erhalten ist ein wunderbares Gefühl, einfach zu wissen, dass jemand da
draußen an mich denkt. Freunde aus meinem früheren Leben haben mich verlassen, Magdalena
jedoch, eine völlig Fremde, hat ihre Hand ausgestreckt, um für mich als Freund da zu sein!“

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