AA

Zurückgelehnt, mit Aussicht

Architekt Kurt Schuster ist es mit seinem Team gegen nicht unerhebliche Konkurrenz gelungen, den Bauherrn mit seinem Entwurf zu überzeugen.
Architekt Kurt Schuster ist es mit seinem Team gegen nicht unerhebliche Konkurrenz gelungen, den Bauherrn mit seinem Entwurf zu überzeugen. ©Darko Todorovic
Auf einem schmalen Hanggrundstück, in einer Straßenkehre, sind drei Wohneinheiten entstanden – kunstvoll ineinander gefaltet und mit unterschiedlichen Raumhöhen zu einem ansehnlichen Stück Architektur verwandelt.
Wohnanlage „Hanggleiter“

Das sehr unscheinbare und zugleich fast unbebaubare Grundstück auf dem Wanderweg von Lochau Richtung Pfänder bot wunderbare Aussicht für einen Bauherrn mit Vision. Zugleich barg es durch seine Kleinheit und Steilheit Anreiz genug für einen Architekten mit sportlichem Ehrgeiz, der in genau solchen Grundstücken die Basis für reizvolle Architektur sah. Der großartige Blick über den Bodensee ist für alle privaten Investoren aus den Nachbarländern ein Magnet, die auf der Suche sind nach einem Alterssitz oder nach Abwechslung vom Großstadtgetriebe. So war auch hier der Wunsch nach Aussicht Vater des Gedankens, der zum Grundstückskauf und zu einem kleinen geladenen Wettbewerb führte, um den Ort und die Kosten für die Bebauung zu teilen. Architekt Kurt Schuster ist es mit seinem Team gegen nicht unerhebliche Konkurrenz gelungen, den Bauherrn mit seinem Entwurf zu überzeugen. Doch die Rollen sollten sich einige Zeit darauf nochmals umkehren, denn der ursprüngliche Auftraggeber musste sich aus gesundheitlichen Gründen plötzlich zurückziehen und Kurt Schuster, der bereits in anderen Fällen als Bauträger von Kleinwohnanlagen Erfahrungen sammeln konnte, kaufte kurzerhand das Grundstück und nahm die Geschicke des Projektes selbst in die Hand. Mit der Hilfe eines erfahrenen Maklers, der Kraft seiner Persönlichkeit ganz ausgezeichnet zum exklusiven Projekt und zugleich zum entspannten Arbeitsstil des Architekten passte, fanden sich drei bestens geeignete Wohnungseigentümer, die dazu beitrugen, das Projekt in dieser Form umzusetzen. Was war nun das Besondere an dem Entwurf und woher rührt der designig-süffige Titel „Hanggleiter“?

Die Idee, ein schwieriges Grundstück durch ein Bauwerk nutzbar zu machen und zu verbessern, entspringt einer sehr weisen Entwurfshaltung. Viel zu oft wird der umgekehrte Weg gegangen. Wer ein „schönes“, meist ebenes und vielleicht mit Baumbestand druchsetztes Grundstück sucht und dort baut, wird dies durch die Baumaßnahmen meist verschlechtern oder gar zerstören. Am Ende ist die Streuobstwiese verschwunden und verzweifelte Wohnwürfel stehen sich im Abstandsgrün feindselig gegenüber. So viel Weisheit braucht andere Prämissen. Mit dem Motto „Besser vom Architekten zum Bauträger werden, als vom Bauträger zum Architekten“ wird von Beginn an ein hoher Qualitätsanspruch eingeräumt, der primär Gestaltung und nachhaltigen Wohnkomfort zum Ziel hat und damit ökologisch und wirtschaftlich bleibt. Es entstanden dabei drei eingeschoßige Wohnungen, die in breiten Terrassen und unterschiedlichen Raumhöhen in den Hang gestaffelt sind. Ein drei Meter hoher Wohnteil und 2,70 m hoher Zimmerbereich sitzen abwechselnd übereinander. Gestalterisch umgesetzt wurde dies durch die Idee einer dynamischen Faltung, die diese Niveausprünge mit rampenartigen Terrassenflächen verbindet. Von außen ist ein durchgehendes Sichtbetonband, das räumlich über den Hang „gleitet“, das markante Resultat. Die Hanglage und die steile Erschließungsstraße, die förmlich das Haus umkreist, wurden auch genutzt, um einen direkten Zugang zu allen Ebenen zu ermöglichen.

Am tiefsten Punkt führt eine Einfahrt in ein Garagengeschoß. Ein Stück weiter mündet die Straße in einen Park- und Vorplatz, der von der Betonfalte teilweise überdeckt wird. Von dort gleitet ein langgestreckter Zugang in das erste Wohngeschoß, das von den Bewohnern zu einer veritablen Galerie ausgestaltet wurde. Erschließung und Nebenräume sind hangseits angeordnet, die Räume selbst richten sich zur Gänze talseits zum See. Die Wohnung darüber kann sowohl über eine Treppe aus dem „Galerie- Flur“ als auch über einen direkten Zugang auf die Terrasse betreten werden. Fährt man die Straße weiter, gelangt man schließlich zum Eingang für die dritte und oberste Wohneinheit. Ein Lift verbindet schließlich alle Ebenen und hält direkt in den Wohnungen.

Die Innenausstattungen sind genauso individuell. Die Aufnahmen entstanden in der Wohnung eines Paares, das beruflich Kinder in Latein und Deutsch unterrichtet, bzw. eine Werbeagentur betreibt. Die Leidenschaft für die Kunst und die gemeinsame private Ambition den Behindertensport und die Gleichstellung behinderter Menschen mit hochwertigen Publikationen zu unterstützen, macht aus der Wohnung auch Galerie und Arbeitsplatz. „Althaus 7“ ist somit Adresse und Bürotitel für dieses Label, das ausgewählte Projekte realisiert, die mit ihrem erfrischenden Selbstbewusstsein von vornherein nicht als „Sozialprojekte“ auftreten. Hier treffen sich Ambition mit Lebensstil und der Lust auf Inszenierung auf eine sehr entspannte Weise und waren vermutlich auch die ganz persönliche Voraussetzung, die aus einem Erstkontakt in Faschingslaune Bauherrn entstehen ließ und nach einer immer herausfordernden Bauzeit in einer persönlichen Freundschaft mündete. So zurückgelehnt sitzt man selten gemeinsam auf einer Terrasse.

Objekt: Wohnanlage „Hanggleiter“, Lochau, 3 Eigentumswohnungen

Wohnnutzfläche: 883 m²

Grundstücksfläche: 1285 m²

Planungsbeginn: 2009

Bauzeit: 2011–2012

Fertigstellung: 2011

Bauträger: DI Kurt Schuster

Entwurf: DI Kurt Schuster, Dornbirn

Mitarbeit: DI (FH) Tobias Schnell

Ausführungsplanung/Bauleitung: ato – Reinhard Rainer, Bregenz

Statik: DI Andreas Gaisberger, Dornbirn

Lichtplanung Top1: lichtFACTOR Klaus Bachmann, Feldkirch

Baumeisterarbeiten: Berkmann Bau und Holzbau, Riefensberg

Estriche: Helmut Ebner, Dornbirn

Fenster und Türen: Schwarzmann, Schoppernau

Parkett: Alfons Greber, Schwarzenberg

Tischlerarbeiten und Fassade: Lenz-Nenning, Dornbirn

Elektroinstallat.: Jovan Jovicic, Dornbirn

Trockenbau: HOMIK, Dornbirn

Maler: Harald Egger, Dornbirn

Konstruktion: Tragstruktur aus Stahlbeton, Decken thermisch getrennt auf Stahlstützen. Fassaden aus Sichtbeton mit Schalung aus sägerauer Fichte, Dreifachverglasung, Wandelemente aus Weißtanne. Terrassenböden in heimischer Douglasie, Vorplatz in durchgefärbtem Asphalt, Erschließungsflächen innen in geschliffenem Betonestrich.

(VN/ Leben & Wohnen – die Immobilienbeilage der Vorarlberger Nachrichten)

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten.
Mehr unter architektur vorORT auf v-a-i.at

Mit freundlicher Unterstützung durch Arch+Ing

home button iconCreated with Sketch. zurück zur Startseite
  • VOL.AT
  • Schöner Wohnen
  • Lochau
  • Zurückgelehnt, mit Aussicht