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Zukunft ist machbar, Herr Nachbar

Martin Brunn errichtete sich ein energieeffizientes Zuhause.
Martin Brunn errichtete sich ein energieeffizientes Zuhause. ©Cyril Müller, Lukas Schaller
Hard - „Eigenes Handwerk leidet?“ Nicht bei Martin Brunn. Der Experte am Energieinstitut Vorarlberg ging lieber mit Überzeugung und eigenem Beispiel voran und verwandelte das elterliche Grundstück in ein nachahmenswertes Stück Zukunft.
Schöner Wohnen in Hard: Haus Brunner

Die Möglichkeit das eigene Haus auf dem elterlichen Grundstück errichten zu können, waren Martin Brunn und seiner Frau Daniela ein Ansporn ihre technischen und energiepolitischen Ansprüche mit guter Architektur und hohem Wohnwert zu verbinden. Sie wollten die Machbarkeit der vom Energieinstitut und vom Land Vorarlberg propagierten „Energieautonomie“, die eine Unabhängigkeit des Landes hinsichtlich der energetischen Versorgung bis zum Jahr 2050 anstrebt, schon heute an ihrem eigenen Wohnhaus umsetzen.

Sein Wissen und die beruflichen Kontakte wollte der Mitarbeiter aus dem Energieinstitut aber nicht für Sonderlösungen nutzen, sondern lieber Alltagstauglichkeit an einem typischen Fall demonstrieren: Ein vererbtes Elternhaus samt Grundstück im engen Ortsverband und ein „normalsterbliches“ Baubudget. Denn finanzieren musste die Familie selbst und neben der Wohnbauförderung blieb nur die Eigenleistung als Kostenbremse.

So entsprechen das eingesetzte Fachwissen und das energietechnische Knowhow weitgehend dem, was jedem interessierten Bauherrn mittels Beratungen durch Landeseinrichtungen und durch die Zusammenarbeit mit einem kundigen Architekten zur Verfügung stehen. Die Erfahrungen, die darüber hinaus gesammelt wurden, stellt der Bauherr der Allgemeinheit zur Verfügung, durch ein öffentliches Forschungsprojekt, das die Zusammenhänge zwischen Wetter, Raumbedingungen und Energieverbrauch genauestens erfasst und analysiert.

Die Familie Brunn ist auch sonst nicht geizig mit ihren Erfahrungen. Mit verschmitztem Lächeln präsentiert Martin Brunn seinen „energieautonomen Baustellen-Beamer“, der für Besucherführungen schon in der Bauzeit ständig in Betrieb war: Eine simple Klapptafel mit großformatigen Illustrationen und Erklärungen zum gesamten Projekt. Die helle und großzügige Architektur, eine gewisse pragmatische Lässigkeit und eine sympathische Lust an manchen verspielten Details verleihen diesem technischen Vorzeigeprojekt und seinen Bewohnern viel Lebens- und Liebenswertes: Martin Brunn, der fröhliche Messias.

Der Bauherr ist ausgebildeter Architekt, jedoch ohne langjährige Berufserfahrung. Für die Planung hat er sich und seiner Frau viel Zeit gegeben und würde diese Vorgangsweise auch jedem Bauwilligen weiterempfehlen. Rund drei Jahre hat er in der Freizeit verschiedene Varianten des Gebäudeentwurfs entwickelt, visualisiert und sich mit seiner Familie darin vertieft. So wurden der Umgang mit dem Altbestand, die Lage und Form des Baukörpers und alles andere nach und nach geklärt. Bis schließlich mit großer Sicherheit die heutige Lösung feststand. Für eine fachgerechte und kostensichere Umsetzung der endgültigen Planung und die Detaillierung brachte Architekt Gerhard Zweier seine langjährige Erfahrung im Wohnbau und im energieeffizienten Bauen ein.

Das Resultat war ein zweigeschoßiges Gebäude mit ausbaubarem Dachgeschoß, das wie der Vorgängerbau direkt an der Straße saß und mit einem Nebengebäude die rückwärtige Garten- und Wiesenlandschaft schützte. Es war kleiner, aber immer noch mehr als die Familie brauchte. Doch in diesem Punkt setzen Weitblick und die Zukunftsfähigkeit des Hauses an. Resultat der ausgewogenen Überlegungen war auch der Wunsch, das Haus im voll ausgebauten Zustand in zwei oder drei Einheiten teilen zu können. Durch seine Lage im Ortszentrum ist eine Verdichtung vernünftig und naheliegend. Und eine Nebennutzung für Büroflächen, Einliegerwohnung oder eine Hausgemeinschaft öffnet die Tür für zukünftige Entwicklungen. Die Möglichkeit, im eigenen Haus zu arbeiten oder auch jemanden aus der Nachbarschaft Büroflächen anbieten zu können, zeigt ein kollektives und gemeinschaftliches Potenzial. Ähnlich argumentiert der Bauherr auch die vielleicht unerwartet große Garage. Das sei keine Doppelgarage, entgegnet er diesem Einwand, sondern biete genügend Platz für ein zukünftiges Car-Sharing- Projekt. Aus diesem Grund wurde auch gleich ein Stromanschluss für Elektromobilität mit eigenem Zähler vorgesehen.

Das Erdgeschoß mit den Wohnräumen ist angesichts der Hochwassergefahr um einen guten Meter angehoben. Zur Straße hin wurde noch ein kleines Büro angeordnet, das auch als Einliegerwohnung dienen kann. Statt eines Kellers gibt es einen zentral gelegenen Haustechnikraum im 1. Geschoß und Stauraum in der Garage. Unter ihr finden Wein und Lebensmittel in einem kleinen Erdkeller Platz. Die überbreite Garage bietet Platz für ein Auto, dient aber vor allem den Fahrrädern. Zugleich schirmt sie Garten und Terrasse von der Straße und dem benachbarten Feuerwehrvorplatz ab. Im Obergeschoß sind die Schlafräume zum Garten und ein breiter, vielfältig nutzbarer Gang mit schmalem Fensterschlitz zur benachbarten Gastwirtschaft positioniert. Das offene Dachgeschoß dient zurzeit als Lager und Arbeitsraum, ist jedoch für einen Ausbau als Dreizimmerwohnung perfekt vorgerüstet. Eine eingeschnittene Terrasse nach rückwärts bietet alle Qualitäten einer guten Wohnung. Was heute als Einfamilienhaus funktioniert, ist schon perfekt angelegt, um mit wenig Aufwand zwei oder drei hochwertige Wohnungen zu beherbergen.

Nachhaltigkeit ist hier mehr als dicke Dämmung. Die Bandbreite der Fragen und Entscheidungen ist in Wirklichkeit groß, die wesentlich zur wirklichen Energiebilanz eines Gebäudes beiträgt. Verdichtung im Ortskern von Hard bringt kurze Wege zur Nahversorgung, zu öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Kindergarten, Schulen und vor allem auch zum See. Die Familie spart sich durch die Wahl des Gebäudestandortes ein zweites Auto – und auch viele Fahrten mit dem ersten. Sie gewinnt viel Zeit durch kurze Wege und sie spart sich einen Swimmingpool im Garten. Eine leistungsfähige Gebäudehülle ist ein weiterer Schlüssel. Nicht nur für geringe Betriebskosten. Es wurde auch die „graue Energie“ berücksichtigt, die für Errichtung und Entsorgung von Gebäuden aufgewendet werden muss. Akribische Studien, die Martin Brunn im Vorfeld angestellt hat, zeigen, dass eine Sanierung des Bestands oftmals sparsamer ist als ein Neubau: Jedoch hat man sich in diesem Fall wegen der schwierig teilbaren Bestandsgrundrisse und angesichts einer durch hohes Grundwasser und Hochwasser feuchten Bausubstanz für Abriss und Neubau entschieden. Durchaus schweren Herzens, dies belegen das kleine Gartenhaus aus Jugendzeiten und zwei alte Nebengebäude, die sorgfältig erhalten wurden.

Das neue Haus wirkt modern in der Anordnung seiner Fensteröffnungen, bleibt jedoch mit seinem schlichten Satteldach und der geschindelten Fassade gut mit dem Bestand und der Umgebung verbunden. Gestalterisch anspruchsvoll und richtig stimmig verhält es sich in seinen Oberflächen. Innen und außen sind fast durchwegs sichtbare Materialien zu finden, die dem Haus seine Maßstäblichkeit und seine Zierde durch Materialstruktur und natürliche Patina verleihen. Hier verbinden sich Ästhetik und Ökologie. Lehmputz, ruhig gemasertes Tannenfurnier und geölte Eichenboden sind in klaren und sorgfältig proportionierten Flächen ausgeführt und leben von Wärme und Feinheit des Materials. Diese Tugenden der Vorarlberger Baukultur verleihen Selbstverständlichkeit und Eleganz, wenn auch manche Details durch den Selbstbau die ganz hohe Schule der Architektur vermissen lassen. Dies und liebevolle Erinnerungsstücke aus dem alten Haus ergeben zusammen mit einer wohnlichen und funktionell klugen Architektur ein geborgenes Zuhause für die Familie, für Kinder, für Untermieter oder einen Alterssitz. Zukunftsarchitektur.

Daten & Fakten

Objekt: Haus Brunn, Hard
Eigentümer: Martin Brunn
Architekten: Martin Brunn, Hard und Gerhard Zweier, Wolfurt
Statik: Gerhard Moser, Hard
Planung: 2008–2010
Ausführung: 2010–2012
Wohnnutzfläche: 150 m² Wohnnutzung / 30 m² Büro, Ausgedinge / 70 m² ausbaubares Dachgeschoß – teilbar in drei unabhängige Wohneinheiten
Keller: 10 m² Erdkeller
Grundstücksgröße: 900 m²

Bauweise: Holzständerbauweise mit 38 cm Stroh und 8 cm Flachs gedämmt – dies gilt für Außenwände, Dach und Boden gegen Kriechkeller; Hinterlüftete Fassade mit Schindelschirm und innenseitigem Lehmputz; Keller: Lebensmittellagerraum mit Kiesboden; Garage: 18 m² für Fahrräder und 14 m² für Autos; Fußböden: schwimmend verlegte, gebürstete Eichenriemen auf Holzdecke; Heizung: Holzvergaser- Scheitholzkessel im Wohnraum; Innen Holzständerwände mit Lehm verputzt; Fenster: Holz-Alu-Fenster

Ausführung: Zimmerer: dr’Holzbauer, Andelsbuch; Fenster, Türen: Alexander Beer, Schnepfau; Lehmputz:
Preite Verputz und Trockenbau, Bürs; Böden und Treppen: Raum & Zeit, Dornbirn; Stahlbau: Martin Köhlmeier, Hard; Sanitärinstallationen: Wolfgang Fässler, Dornbirn; Heizung: Stefan Büchele, Hard; Fliesenleger: Winder, Lauterach; Komfortlüftung: Ender Klimatechnik, Altach; Elektro Stroj, Lustenau; Gebäudeautomation: myVitali, Bregenz und automationNEXT, Lustenau; Monitoring, Evaluierung: Energieinstitut Vorarlberg

Besonderheiten: In der Jahresbilanz benötigt das Gebäude deutlich weniger Energie, als es erzeugt. So kann über einen Betrachtungszeitraum von 80 Jahren auch der Energiebedarf für Herstellung und Instandhaltung des Gebäudes abgedeckt werden. In den kommenden Jahren wird das Gebäude durch das Energieinstitut Vorarlberg messtechnisch begleitet und evaluiert, um zu prüfen, ob das Gebäude in der Praxis auch hält, was es in der Planung versprochen hat.

Heizwärmebedarf: 7,6 kWh/m² pro Jahr (vorher 194 kWh/m²a)
Primärenergiebedarf: 33,5 kWh/m² Nutzfläche/Jahr
Energiekosten: Ausgaben: 20 Euro Strom, 30 Euro Scheitholz; Einnahmen: 160 Euro aus Photovoltaikanlage
Errichtungskosten: ca. 2500 Euro/m²

Leben & Wohnen – Immobilienbeilage der VN

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Mehr unter architektur vorORT auf www.v-a-i.at

Mit freundlicher Unterstützung durch Arch+Ing

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