Ludwig Brantner hat als Heimkind in der Erziehungsanstalt Jagdberg eine der schwersten Zeiten seines Lebens durchmachen müssen: „Damals, in den 60er-Jahren, war ich in Holzham-Westendorf, einem Tiroler Heim für Knaben. Ich war gerade einmal zwölf oder 13 Jahre alt, als mir ein anderer Jugendlicher einen Bauchstich versetzte. Daraufhin verlegte man mich nach Vorarlberg auf den Jagdberg, wo damals viele Tiroler Jungs untergebracht waren“, erzählt Brantner im Gespräch mit W&W und führt weiter aus: „Es war immer abhängig von der Laune der Erzieher, aber Strafen gab es für so gut wie alles – und da waren sie mitunter auch sehr kreativ. Dort gab es mehr Schläge als Essen!“, erinnert sich Brantner. „Wenn man zum Beispiel früher aufgewacht ist und mit einem anderen Jugendlichen geflüstert hat, wurde man geprügelt wie ein Tanzbär. Wir waren keine harmlosen Kinder, haben in dem Alter schon geraucht und gesoffen. Wenn man uns dabei erwischt hat, setzte es Strafen noch und nöcher!“
Man darf darüber reden
Das ehemalige Heimkind hat nach langem Schweigen seine Erlebnisse im Buch „Einmal talwärts und zurück“ verarbeitet, auch weil es ihm ein Anliegen ist, anderen Betroffenen zu zeigen, dass über diese Thematik geredet werden darf. „Insgesamt liegen in diesem Zusammenhang mittlerweile rund 7000 Anzeigen vor, aber viele können heute noch nicht darüber reden. Ich war Alkohliker und obdachlos – mit dem Buch habe ich mich da rausgeschrieben“, sagt der heute 62-Jährige zurecht nicht ganz ohne Stolz. „In so einer Situation muss man über jeden Tag froh sein, den man übersteht.“ Ein Teil seiner Geschichte kommt auch im Stück „Jetzt wird geredet“ vor, das heute Abend (17 Uhr) am Theater Kosmos aufgeführt wird.
„Es braucht Mut!“
Horst Schreiber, Historiker, Universitätsdozent und Mitautor von „Im Namen der Ordnung: Heimerziehung in Tirol“, war ebenfalls stark in die Entstehung des Theaterstücks involviert. „Interviews mit Betroffenen führten zu dem Stück“, erklärt Schreiber. „Es handelt sich um biografisches Theater, das durch seine Unmittelbarkeit die Möglichkeit bietet, das Thema auf andere Weise zu begreifen und Verständnis für die Betroffenen zu entwickeln. Es braucht Mut, dazu sein Gesicht zu zeigen, aber diese Menschen sollten wissen, dass ihre Erfahrungen durchaus geschichtswürdig sind. Sie müssen als Opfer anerkannt werden und das auch selbst annehmen. Erst so kann in einem zweiten Schritt der Aufarbeitung der Übergang vom Opfer zum Zeitzeugen vollzogen werden. Wir wollten das Thema jenseits der Wissenschaft behandeln, andere Zugänge finden und aufarbeiten, was und warum es geschehen ist.“ Diese Meinung teilt auch Ludwig Brantner: „Wenn man überlegt und anhand des Stücks realisiert, wie das wirklich war, werden die Leute das Theater schockiert verlassen!“
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