AA

"Wir nannten es Kleinfolterberg"

Kleinvolderberg war einst eine Tiroler Erziehungsanstalt, in der auch Vorarlberger Jugendliche verwahrt wurden.
Kleinvolderberg war einst eine Tiroler Erziehungsanstalt, in der auch Vorarlberger Jugendliche verwahrt wurden. ©brantner
Bregenz - Jahrzehntelang hat ein Bregenzer Pensionist die Misshandlungen verdrängt, denen er als Jugendlicher in dem Tiroler Erziehungsheim ausgesetzt war. Jetzt will er, dass publik wird, was ihm damals angetan wurde.

Der Mann ist schwer krank, atmet mithilfe eines Sauerstoffgerätes, kann ohne starke Schmerzmittel nicht mehr leben. Die Diagnose Polyneuropathie wurde vor Jahren gestellt. Auch wenn ihm das Sprechen schwer fällt, will er jetzt seine Geschichte erzählen. Auch deshalb, damit die Bilder im Kopf verschwinden und die unendlich schwere Last der jahrzehntelangen Verdrängung von ihm abfällt. Jene Last, die ihn so krank gemacht hat. Die schwierige familiäre Situation nach der Scheidung seiner Eltern hatte damals, 1967, das Bregenzer Jugendamt veranlasst, Erwin Rupprechter im Alter von 16 Jahren nach Kleinvolderberg zu verfrachten: „Zwei Jahre waren es. Zwei Jahre Hölle.“

Freude am Quälen

Kleinvolderberg war eine vom Land Tirol und der Stadt Innsbruck geführte Fürsorgeanstalt, in der in den 60er bis 80er Jahren so genannte schwer erziehbare Jugendliche – auch aus Vorarlberg – interniert wurden. „Die Erzieher quälten uns und hatten sichtlich Freude daran“, erzählt Erwin Rupprechter. Für die Schläge, die vor allem Haupterzieher M. und seine Kollegen H. und E. den Zöglingen jeden Tag verabreicht haben, seien spezielle Schlagruten aus Kabelüberzügen mit Knoten hergestellt worden. Und unter die eiskalte Dusche gestellt zu werden, bis zum Zusammenbruch, sei eine andere „Persönlichkeitsentwicklungsmethode“ der Erzieher von „Kleinfolterberg“, wie das Heim von den Zöglingen genannt wurde, gewesen. „Ich weiß nicht mehr wie oft ich unter der Brause gestanden bin. Wenn ich es nicht mehr aushielt und aus der Dusche lief, wurde ich von den Erziehern M., H. und E. festgehalten und mit der Schlagrute verprügelt.“ Konkreten Anlass habe es keinen gebraucht.

Tagelanges Einsperren

Ihm und den anderen Zöglingen, die sich nicht völlig gefügt hatten, sei sowohl körperliche als auch seelische Gewalt angetan worden. Dazu habe tagelanges Einsperren im hauseigenen Karzer und das Glatzenscheren gezählt. „Kopfrasiert haben sie jeden, der einen Fluchtversuch unternommen hat“, erzählt Rupprechter. Natürlich auch Schläge. „Und was für welche! Mann oh Mann!“ Wegen seiner eigenen Fluchtversuche habe er ziemlich viele abbekommen.
Mit zitternder Stimme erzählt er von dem behinderten Buben, der von den drei Erziehern unzählige Male verprügelt worden sei. Und von dem 16-jährigen Mitzögling, der ins Wasser geworfen wurde und starb.
Wie viele andere Zöglinge aus Kleinvolderberg ist auch er selbst gewalttätig geworden und dafür im Knast gesessen. Doch seit er vor zwölf Jahren Eva, der großen Liebe seines Lebens, begegnet ist, hat Gewalt in seinem Leben nichts mehr verloren. (VN/Heidi Rinke-Jarosch)

home button iconCreated with Sketch. zurück zur Startseite
  • VOL.AT
  • Vorarlberg
  • Bregenz
  • "Wir nannten es Kleinfolterberg"