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Winston Churchill und Charlie Chaplin: "Zwei Herren am Strand"

Köhlmeiers neues Buch heißt "Zwei Herren am Strand'"
Köhlmeiers neues Buch heißt "Zwei Herren am Strand'" ©VN
"Zwei Herren am Strand" heißt ganz unauffällig der neue Roman von Michael Köhlmeier, der dieser Tage ausgeliefert wird. Doch die beiden Herren sind zwei der prominentesten Menschen des 20. Jahrhunderts: der britische Staatsmann und Literaturnobelpreisträger Winston Churchill (1874-1965) und die Filmlegende Charlie Chaplin (1889-1977), einer der größten Komiker aller Zeiten.

Das Buch hat es als einer der 20 besten neuen Romane der Saison auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis geschafft. Das ist dem Vorarlberger Erzähler zu gönnen, verwundert jedoch ein wenig. Denn so faszinierend die Grundidee der Verflechtung der beiden Biografien und so schillernd das Leben des Protagonisten-Duos ist, so wenig literarische Eigenständigkeit entwickelt das Werk, das sich streckenweise wie ein facettenreich und abschweifend ausgeschmücktes historisches Sachbuch liest. Am Ende möchte man am liebsten sofort noch einmal “The Great Dictator” sehen, Churchills Weltkriegs-Geschichte oder die von ihm verfasste, hoch gerühmte Biografie seines Vorfahren, des Duke of Marlborough, zur Hand nehmen.

Zu viele Erzählstränge trotz fesselnder Kernidee

Natürlich lässt Köhlmeier immer wieder in einzelnen Passagen und intensiven Beschreibungen seine erzählerische Meisterschaft aufblitzen, doch ebenso häufig verstrickt er sich in erfundene und reale historische Details, schweift immer wieder ab und fügt seiner Hauptgeschichte umfangreiche Nebenstränge hinzu. Der Kern ist jedoch faszinierend. Es ist dies die Freundschaft zweier herausragender, doch höchst unterschiedlicher Persönlichkeiten, die zwei gemeinsame Feinde zu bekämpfen haben: den “schwarzen Hund” und die braune Pest.

Gemeinsamkeiten bei den Protagonisten

Als sie einander 1927 bei einer Party am Strand von Santa Monica anlässlich des titelgebenden nächtlichen Strandspaziergangs zufällig kennenlernen, stellen sie fest, dass sie beide von früher Kindheit an von Selbstmordgedanken verfolgt werden und regelmäßig unter schweren Depressionsattacken leiden. Sie tauschen ihre persönliche Rezepte für den Umgang damit aus, lachen gemeinsam über die originellsten Selbstmordarten, schließen einen Beistandspakt gegen den “schwarzen Hund”, der sie immer wieder aus dem Nichts heraus attackiert, und geloben, stets sofort an die Seite des Freundes zu eilen, wenn dieser einen Hilferuf absetzen sollte.

Hitler als gemeinsamer Feind

Nur wenige Jahre später erhalten sie mit Adolf Hitler einen weiteren Gegner, den sie mit ihren jeweiligen Mitteln bekämpfen. Mit Verblüffung müssen sie erkennen, dass der “schwarze Hund” offenbar auch den Naziführer plagt und sich angeblich auch dieser bereits als Sechsjähriger das Leben nehmen wollte. “Wir können uns die Mitglieder in unserem Club leider nicht aussuchen”, kommentieren dies Chaplin und Churchill, den mitunter eine einzige Sorge vom Suizid abhält: “Wenn die Menschen erfahren, dass Winston Churchill sich das Leben genommen hat, stünde Hitler nichts mehr im Weg. England wird untergehen. Die Zivilisation wird untergehen.”

Dramatisches Ende bleibt aus

Die Geschichte vom Tramp und dem Politiker entfaltet sich ein wenig kompliziert als sich immer wieder verselbstständigende Nacherzählung eines deutschen Puppenspielers, dessen Vater in einer “Schule für Clowns” als Chaplin-Schüler auch Churchill begegnet sein und später mit William Knott, dem “very private Private Secretary to a very prime Prime Minister” in engem Briefkontakt gestanden haben soll. Einen echten Schluss, einen Knalleffekt hat “Zwei Herren am Strand” nicht. Aber den hatte das echte Leben auch nicht. Charlie Chaplin starb im Alter von 88 Jahren, Winston Churchill wurde 90. Der “schwarze Hund”, der sie so quälte, konnte sie nicht besiegen.

(APA)

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