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"Wilde Maus": Josef Hader im Interview zu seinem Regiedebüt

Regisseur und Hauptdarsteller von "Wilde Maus", Josef Hader, im Interview
Regisseur und Hauptdarsteller von "Wilde Maus", Josef Hader, im Interview ©Lukas Beck / Filmladen
Als "wirklich die aufregendste Zeit, seit ich mit 20 auf einer Kabarettbühne gestanden bin" beschreibt Regiedebütant und Hauptdarsteller Josef Hader seine Arbeit bei "Wilde Maus", welcher bei der 67. Berlinale im Wettbewerb läuft.

Im Interview spricht das Multitalent über seinen gelassenen Regiestil, Abgründe im Bürgertum und was man sich von Beethoven abschauen sollte. Am 17. Februar startet der Film in den heimischen Kinos.

APA: In “Wilde Maus” begibt sich der von Ihnen gespielte Musikkritiker Georg nach seiner Entlassung auf Rachefeldzug gegen seinen Chef. Ist die Figur des narzisstischen Journalisten aus realen Vorbildern gespeist?

Josef Hader: Ich wollte etwas über Arbeitslosigkeit und auch ein bisschen über den Beginn von Terrorismus erzählen, aber eine Satire und kein Sozialdrama machen. Da landet man natürlich eher im Mittelstand als in der Arbeiterschicht. Dann kommt man leider sehr schnell auf den Gedanken, dass die Printjournalisten ein bisschen wie die Stahlarbeiter des Mittelstandes sind, wo schnell mal Jobs weg sind.

Was wird in Georg in Gang gesetzt, dass seine Gewaltbereitschaft so schnell steigen lässt?

Es ist hauptsächlich kein finanzielles Problem, sondern das eines großen Egoverlusts. Das ist das, was die Künstler mit den Journalisten verbindet: Das sind Berufsgruppen, die wahnsinnig viel von ihrer Persönlichkeit mit dem Beruf verbinden und die sich sehr schnell weniger wert fühlen, wenn der Beruf und die soziale Stellung weg sind. Es ist eine Geschichte über einen Narzissten, der mit diesem Egoverlust so wenig fertig wird, dass er unfähig ist, es jemand anderem zu sagen und damit rational umzugehen.

Sie arbeiten im Film mit Musik von u.a. Schubert, Schumann und Beethoven. Welchen Stellenwert hat die Klassik in Georgs Leben?

Er hat eine große Hingabe zur Musik; sie macht auch etwas mit ihm. Es war mir sehr wichtig, dass er die erste kleine Sachbeschädigung macht, nachdem er aufgeputscht ist von Musik, weil ich bei mir selbst die Beobachtung gemacht habe, dass ich auf der Autobahn schneller fahre, wenn ich ganz laut Beethoven höre. Beethoven gibt einem immer so das Gefühl, man muss sich nicht so viel scheißen – weil er es auch nicht tut.

Was für ein Typ war Georg mal und ist er jetzt nicht mehr?

Er hat eine offensive Weise verloren, an die Welt und die Probleme heranzugehen. Er ist einfach defensiv geworden, verteidigt sich nur mehr, und das mit sehr dummen Mitteln. Normalerweise würde die Musik ihn dazu bringen, zu sagen: Ist doch wurscht, es kann mich nicht beschädigen, dass ich den Beruf verloren habe. Das passiert nicht mehr mit ihm, die Musik stachelt ihn nur auf, seine lächerliche Art von Rachefeldzügen zu unternehmen.

Welche Rolle in seiner Radikalisierung spielt das Ausblenden der Außenwelt? Krisen nimmt er nur peripher über die Fernsehnachrichten wahr.

Es ist das Zeichen des sehr ruhigen bürgerlichen Lebens, dass man die Nachrichten hört, kurz mal erschüttert ist beim Rotweintrinken und dann weitermacht, als wäre nichts gewesen. Das steht für das Milieu, in dem sich Georg bewegt, dieses diffuse Bürgertum, das von Grün bis ganz konservativ reicht. Er ist wahrscheinlich noch ein bisschen auf der altmodischen Seite, seine Frau (Johanna, gespielt von Pia Hierzegger, Anm.) auf der Bobo-Seite. Und im Bürgertum gibt es oft Abgründe, die geheim bleiben. Es gibt eben Menschen, die sind zur Rache prädestinierter. Ich würde nicht in dieser persönlichen Form Rache üben, weil ich das Ventil habe, dass ich meistens so vor mich her schimpfe, wenn ich im Auto sitze oder mich unbeobachtet fühle. Da geht sehr viel raus, deshalb laufe ich nicht so Gefahr, dass ich handgreiflich werde. Aber er hält das drinnen, es staut sich auf.

Mit dem ebenfalls arbeitslosen Proleten Erich (gespielt von Georg Friedrich) und Georg freunden sich Zwei an, die sonst nicht aufeinandertreffen würden – und renovieren gemeinsam das titelgebende Fahrgeschäft im Prater.

Der ganze Prater ist im Film so etwas wie eine andere Welt. Georg könnte auch auf eine griechische Insel fahren, sich mit den Einheimischen anfreunden und denen plötzlich alles erzählen können, was er zuhause nicht erzählen kann, weil es mit keinem Risiko verbunden ist. Und Erich ist möglicherweise die wichtigste Figur, weil sie in Georg etwas Positives in Gang setzt: Georg wird von Anfang an beschrieben als einer, der nie Freunde hatte. Dass er im richtigen Moment dann doch abbiegt und die Katastrophe vermeidet, hat auch mit dieser Begegnung zu tun. Schon beim Schreiben ist mir bewusst geworden, dass im Film dezidiert mehrere Genres gemischt sind – der Beziehungsfilm, der Rachefilm, der Buddyfilm. Sie alle lösen beim Zuseher bestimmte Erwartungen aus; mit denen kann man schön spielen und immer wieder ganz woanders abbiegen, als der Zuschauer es erwartet.

Stichwort Überraschung: Gehört ein bisschen Masochismus dazu, der eigenen Figur für den Schluss selbst eine Szene fast nackt im Schnee zu schreiben?

Diese Idee geistert schon sehr lange durch meinen Kopf, weil ich es mag, wenn am Schluss plötzlich alles ganz anders ist. Schnee macht im Film etwas ganz Großartiges: Er verändert nicht nur das Bild, sondern auch den Ton vollkommen. Es ist plötzlich alles weich, wie in Watte gepackt. Wenn man vom Herbst in der Stadt plötzlich im Winter am Land ist, ist das für mich der größtmögliche Sprung; noch ärger, als wenn das Finale in Indonesien spielt – und billiger. Das ist für mich die größtmögliche Verwandlung, die ich im Film je erlebt habe; das erste Mal war bei “Schießen Sie auf den Pianisten” von Francois Truffaut. Da verwandelt sich im Finale alles.

Wie sehr haben Sie als Neo-Regisseur von Anfang an in Bildern gedacht und wie groß war der Einfluss Ihrer beiden Kameramänner, Andreas Thalhammer und Xiaosu Han?

Das war eine phänomenale Qualität der Zusammenarbeit, weil wir so gut verstanden haben, was wir meinen. Es gibt natürlich Regisseure, die viel, viel klarer in Bildern denken können als ich, und die dann wirklich jedes Bild schon planen. Aber bei mir war es so, dass ich manches gewusst habe, und anderes kam bei der Vorbesprechung und dann beim Drehen dazu.

Wie halten Sie es als Drehbuchautor und Regisseur in Personalunion am Set: Wie wichtig ist die Treue zu den geschrieben Dialogen?

Dialoge sind für mich wie Noten für Jazzmusiker. Das kann man verwenden aber, um Gottes willen, darf es nicht genau so nachspielen, wie es da steht, sonst ist es keine Musik mehr! Es war mir sehr wichtig, dass eine Atmosphäre der Offenheit am Set herrscht, wo jeder Vorschläge macht, auch solche, die außerhalb seiner Abteilung liegen. Damit nicht diese komische Stimmung entsteht, wie ich sie oft bei Fernsehfilmen erlebt habe, in der Art: “Ich finde zwar ganz schlecht, was gerade passiert, aber das ist nicht meine Abteilung.” Der Job des Regisseurs ist dann, dass er aussucht, was er für den Film brauchen kann und das, was er nicht braucht, so ablehnt, dass auch wieder neue Vorschläge kommen. Das hätte ich nie gekonnt, wenn ich nicht das Buch selbst geschrieben hätte über eine längere Zeit. Dadurch hatte ich klarere Vorstellungen.

Ist es für Sie vorstellbar, ein fremdes Buch zu verfilmen?

Hader: Nein. Nur bei einer eigenen Idee würde ich mir das zutrauen. Sonst wäre mir die Arbeit auch ein bisschen zu mühsam, das sage ich ganz ehrlich. Das ist ein Beruf, wo man sehr viel arbeitet, wenn man ihn ernst nimmt, und viel schlechter bezahlt wird wie als Kabarettist oder Schauspieler.

APA: Auf dem Regiestuhl wird man Sie dennoch wieder antreffen?

Hader: Ich würde das schon gerne wieder mit einer Idee so machen. Das war wirklich die aufregendste Zeit, seit ich mit 20 auf einer Kabarettbühne gestanden bin. Und es war – so blöd das klingt, weil es immer die Hollywoodschauspieler sagen – so eine tolle Zusammenarbeit mit allen. Auch wenn ich nach drei Tagen das Gefühl hatte, ich hätte drei Wochen gearbeitet, weil es so viel und so intensiv war. Aber ich habe von vornherein gemerkt, dass ich das sehr mag, auch die Stimmung vorzugeben, die am Set herrscht. Eine entspannte, freundliche und trotzdem fokussierte Art, die Arbeit zu machen.

(Das Gespräch führte Angelika Prawda / APA / Red.)

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