Die Geschichten ähneln sich auf fatale Weise – in Österreich, Frankreich, Großbritannien oder Belgien: 15- oder 16-jährige Schüler wandeln sich binnen kürzester Zeit, folgen plötzlich radikal-muslimischen Vorschriften und gehen auf Distanz zu Freunden und Familie. Und plötzlich sind sie weg – ausgereist nach Syrien, in den Krieg, bereit zu sterben.
Die Zahl der jungen Leute aus EU-Ländern, die in Syrien an der Seite islamistischer Terror-Gruppen kämpfen, wird auf 1.500 bis 2.000 geschätzt. Allein aus Österreich sollen sich laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) bisher etwa 80 Personen am Bürgerkrieg beteiligt haben. Zehn sind demnach dabei ums Leben gekommen.
Interpol sucht Wiener Schülerinnen
Erst kürzlich sorgte der Fall der beiden minderjährigen, bosnischstämmigen Mädchen aus Wien, Samra K. und Sabina S., für Schlagzeilen. Vor mittlerweile zwei Wochen sollen sie sich auf den Weg nach Syrien gemacht haben, seit vergangener Woche ist auch die internationale Polizeiorganisation Interpol mit der Suche nach den Schülerinnen beschäftigt. Laut türkischer Zeitung “Hürriyet” konnte der türkische Geheimdienst das Handysignal einer der beiden in Nordsyrien orten, von der Wiener Polizei wurde dies jedoch nicht bestätigt.
Um ähnliche Fälle künftig zu vermeiden, hat die Regierung in Frankreich jetzt einen Aktionsplan vorgelegt. Derzeit können Minderjährige ohne Erlaubnis der Eltern ausreisen. Durch den neuen Aktionsplan der sozialistischen Regierung sollen Eltern dem nun widersprechen können. Angehörige waren zuvor auf die Barrikaden gegangen: “Wir fordern von den Behörden, dass sie sich um das Problem kümmern und unsere Kinder in Syrien suchen gehen”, forderte das Präventionszentrum CPDSI zusammen mit Elterninitiativen vor wenigen Wochen. Doch wie der Fall Samra und Sabina zeigt: Auch ohne Ausreise-Erlaubnis finden die Jugendlichen – meist über die Türkei, wo es keine Visumspflicht gibt – den Weg nach Syrien.
Präventive Arbeit geplant
In Frankreich wollen die Behörden jetzt zudem verstärkt präventiv tätig werden. Viele junge Leute werden über das Internet – über Facebook und durch Videos – radikalisiert. Damit verbunden sind teils professionelle Schleppernetze, die Schülern sogar das Geld für die Reise nach Syrien geben. So soll eine 16-jährige Gymnasiastin aus dem ostfranzösischen Troyes, die im April von ihren Eltern vermisst gemeldet wurde, von einem Mann 500 Euro bekommen haben. Den Unbekannten hatte das Mädchen laut Ermittlern im Internet kennengelernt.
Künftig soll es in Frankreich – ähnlich wie in Österreich – eine Telefon-Hotline und eine Meldestelle im Internet geben, damit Eltern oder Lehrer auffällige Veränderungen der jungen Leute melden können. Dann sollen “sofort” die Behörden vor Ort mit den Familien in Kontakt treten, wie Innenminister Bernard Cazeneuve ankündigte.
Kinder in Syrien
Bisher hätten Polizei oder Sozialdienste häufig wenig Verständnis gezeigt, wenn Eltern den Verdacht einer Rekrutierung anzeigen wollten, empörte sich Dounia Bousar, die Gründerin des Zentrums CPDSI, das gegen radikale Auswüchse im Islam kämpft. “Ihr Kind ist zu muslimisch”, sei oft die Antwort gewesen. Tatsächlich gehe es aber nicht um Religion, sondern um sektenartige Gehirnwäsche durch Islamisten, schlicht um “Rekrutierung”.
Sollten die “Kinder” zurückkommen, stehen Eltern und Staat vor dem nächsten Problem. In der Regel droht den jungen Leuten dann ein Verfahren als “Terrorverdächtige”, denn die Sorge vor Anschlägen nach einer Rückkehr in ihre Heimatländer ist groß.
Die meisten Eltern sind aber einfach nur froh, wenn ihre Kinder überhaupt lebend zurückkommen. So hieß es erst am Dienstag, der Berliner Ex-Rapper Denis Cuspert alias Deso Dogg sei in Syrien angeblich getötet worden – nicht im Kampf gegen “Ungläubige”, sondern bei einem Selbstmordanschlag rivalisierender “Gotteskrieger”.
(APA)
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