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Wanzen, Renten, grüne Wirtschaft - Schweizer entscheiden an der Urne

Am 25.09.2016 werden die Schweizer zur Urne gebeten.
Am 25.09.2016 werden die Schweizer zur Urne gebeten. ©dpa
Die Schweiz gilt als eines der glücklichsten Länder der Welt. Hohe Einkommen, geringe Arbeitslosigkeit, herrliche Natur, ein gutes soziales Netz. Doch das schöne Leben scheint auf der Kippe zu stehen. Denn - so hört man vor den Schweizer Volksabstimmungen am kommenden Sonntag (25.9.) immer wieder - "Glück ist eine Frage der Sicherheit".

Bern. Mit diesem Slogan werden die Eidgenossen zur Zustimmung dafür aufgerufen, dass ihr Geheimdienst künftig Telefonate abhören, Wohnungen verwanzen und Computer anzapfen darf.

Schweizer haben ihre Ansichten zum Thema Überwachung geändert

Noch vor wenigen Jahren hätten die Schweizer, denen persönliche Freiheit und die Rechte der Bürger gegenüber dem Staat eigentlich als hohe Güter gelten, ein solches Ansinnen zurückgewiesen. Nun aber wollen einer repräsentativen Umfrage der Mediengruppe Tamedia zufolge 58 Prozent der Wahlberechtigten dafür stimmen.

Terroranschläge haben Sinneswandel ausgelöst

Was den Sinneswandel bei vielen der fünf Millionen Wahlberechtigten bewirkt hat, liegt auf der Hand: Paris und Brüssel, aber auch Würzburg, Ansbach und Norddeutschland – die Terroranschläge der letzten Monate ebenso wie die Festnahme mutmaßlicher “Schläfer” der IS-Terrormiliz haben wie Alarmglocken gewirkt.

“Wir wollen keinen blinden und tauben Nachrichtendienst”

Heute seien viele Schweizer bereit, für mehr Sicherheit auf ein Stück Freiheit zu verzichten, sagt die Abgeordnete der mitregierenden liberalen Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP), Corina Eichenberger. Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) brauche “optimale Mittel”, um gegen Gefahren vorgehen zu können. “Wir wollen keinen blinden und tauben Nachrichtendienst.”

Als “blind und taub” gelten Schweizer Schlapphüte den Befürwortern des Gesetzes, weil sie nach ihren bisherigen Arbeitsvorschriften Personen lediglich im öffentlichen Raum beobachten dürfen. Das seien Regeln aus einer Welt ohne Telefon, Handy und Computer, sagt die christdemokratische Abgeordnete Ida Glanzmann.

Das Parlament in Bern hatte das neue Nachrichtendienstgesetz im Herbst 2015 mehrheitlich abgesegnet. Die Gegner konnten aber genügend Unterschriften für ein Referendum sammeln – wenngleich sie inzwischen auch dabei zu unterliegen scheinen.

Schweiz als “Big Brother”-Staat?

Wird die “glückliche” Schweiz nun also mit Volkes Segen zum finsteren “Big Brother”-Staat? “Künftig hätte der Geheimdienst die Möglichkeit, ohne Verdacht auf eine Straftat in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger einzudringen und deren Leben und Kommunikation zu überwachen”, warnt das Bündnis “Nein zum Schnüffelstaat”. Dies sei “eine schwerwiegende Verletzung der Grundrechte”, warnte der sozialdemokratische Abgeordnete Jean-Christoph Schwaab.

Das hält der FDP-Politiker Huges Hiltpolt für reine Schwarzmalerei: “Wenn eine Person verdächtigt wird, eine terroristische Handlung zu planen, muss bei drei Instanzen eine Überwachungsbewilligung eingeholt werden: beim Verteidigungsminister, bei der Sicherheitsdelegation des Bundesrates (der Regierung) und beim Bundesverwaltungsgericht”, sagte er dem Nachrichtenportal Swissinfo.

Gestritten wurde in den letzten Wochen in der Schweiz nicht allein über die “Schnüffelstaat”-Frage. Auch zwei weitere Vorlagen, über die die Eidgenossen am Sonntag entscheiden, sind gesellschaftlich höchst relevant. Es geht um die künftige Entwicklung der Pensionen und um einen Vorstoß zum umfassenden ökologischen Umbau der Wirtschaft.

Auch eine Entscheidung zur Pension steht an

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) verlangt die Erhöhung der gesetzlichen Pension (AHV) um satte zehn Prozent. Nur dadurch könne verhindert werden, dass Ruheständler Abstriche an ihrer eigentlich verfassungsmäßig garantierten “gewohnten Lebenshaltung” hinnehmen müssen. Nötig sei unter anderem eine Erhöhung der Pensionsbeiträge. Die Arbeitgeberverbände sowie die Rechts- und Mitteparteien lehnen dies ab. Umfragen deuten auf ein Patt und daher auf eine sehr knappe Entscheidung hin.

“Nein”-Mehrheit zum Projekt “Grüne Wirtschaft”

Eine recht klare “Nein”-Mehrheit zeichnet sich hingegen beim Projekt “Grüne Wirtschaft” ab, das die Regierung zwar als sympathisch bezeichnete, jedoch als unrealistisch und nicht finanzierbar ablehnte. Immerhin: Für die Initiative der Grünen Partei der Schweiz, der zufolge das Alpenland bis 2050 über eine vollkommen nachhaltige Wirtschaft verfügen soll, wollen laut Tamedia 42 Prozent der Wahlberechtigten stimmen.

Der Vorschlag sieht die Schaffung einer allumfassenden “Kreislaufwirtschaft” vor, die auf langlebige Produkte setzt und Abfälle weitestgehend als Rohstoffe wiederverwendet. Der “ökologische Fußabdruck” der Schweiz müsse drastisch reduziert werden, denn wenn jeder Erdenbewohner eine Lebenshaltung hätte wie ein durchschnittlicher Schweizer, bräuchte die Menschheit längerfristig statt des einen drei Planeten.

(APA)

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