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Vorarlberger Sozialjobs im Kollektivvertrags-Schlaraffenland

Die Arbeitnehmer in Sozialberufen haben Anspruch auf ein Sabbatical-Jahr.
Die Arbeitnehmer in Sozialberufen haben Anspruch auf ein Sabbatical-Jahr. ©Stiplovsek
Bregenz (Wirtschaftspresseagentur.com) - Mitarbeiter von privaten Sozial- und Gesundheitsorganisationen können pro Jahr bei voller Entgeltfortzahlung eine Woche zusätzlich frei nehmen oder sie für ein mehrmonatiges Sabbatical ansparen - bezahlen darf diese österreichweit einzigartige Regelung größtenteils der Steuerzahler.

Seit einigen Jahren wird über die Ursachen der teils deutlichen Kostensteigerungen im Vorarlberger Sozialbereich diskutiert. Dabei lohnt es sich mitunter auch einen Blick auf die kollektivvertraglichen Regelungen für Mitarbeiter in privaten Sozial- und Gesundheitseinrichtungen in Vorarlberg zu werfen, um deren Kosteneffekt abschätzen zu können. Damit ist nicht nur die mehrere Millionen Euro teure Reform des Kollektivvertrages für private Sozial- und Gesundheitsorganisationen in Vorarlberg im Jahr 2014 gemeint. Das gilt nämlich auch für eine in der Öffentlichkeit bislang wenig bekannte Regelung, die bereits seit 2006 für alle Mitarbeiter in privaten Sozial- und Gesundheitseinrichtungen in Vorarlberg gilt. Diese mit Sicherheit nicht kostendämpfende Regelung ist österreichweit einzigartig und kommt so in dieser Form in keiner anderen Branche, auch nicht im öffentlichen Dienst, vor, berichtet die Wirtschaftspresseagentur am Montag.

Sabbatical als sogenannte “Burnout-Prophylaxe”

Bei dieser außergewöhnlichen Regelung im Vorarlberger Sozialdienste-Kollektivvertrag handelt es sich um die Sabbatical-Regelung, die dort als “Burnout-Prophylaxe” bezeichnet wird. Dafür sparen alle Mitarbeiter von privaten Sozialorganisationen vom ersten Arbeitstag weg – unabhängig vom gesetzlichen fünfwöchigen Urlaubsanspruch – jedes Jahr zusätzlich eine Woche Zeitguthaben an. Dieses Zeitguthaben können sie entweder jedes Jahr bei voller Entgeltfortzahlung als Freizeit konsumieren und erhalten damit eine sechste Woche Urlaub. Oder aber sie sparen diese Woche über mindestens fünf und maximal zehn Jahre an, um sie dann geblockt im Rahmen eines Sabbaticals zu konsumieren, das drei Monate lang sein muss. So hat ein Mitarbeiter also zum Beispiel nach neun Jahren Dienstverhältnis insgesamt neun Wochen Sabbatical-Zeitguthaben angespart und kann diese in Kombination mit noch bestehenden Urlaubsansprüchen/Überstunden/Zeitausgleich etc. auf insgesamt drei Monate erweitern. Dabei bekommt er pro Sabbatical noch zusätzlich eine Woche Zeitguthaben dazu – und zwar unabhängig von den Anspar-Wochen. Während des Sabbaticals erfolgt eine uneingeschränkte Entgeltfortzahlung.

KV gilt für alle Mitarbeiter

Teilzeitbeschäftigte erhalten die Zeitgutschriften aliquot. Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Sabbaticals länger als drei Tage, so wird das Sabbatical um diese Zeit unterbrochen. Es verlängert sich zwar nicht automatisch um die Krankenstandstage, wird aber dem persönlichen Zeitguthaben wieder gutgeschrieben. Diese Sabbatical-Regelung gilt für alle Mitarbeiter privater Sozial- und Gesundheitsorganisationen in Vorarlberg: Also nicht nur für den Streetworker, der sich die Nächte im sozialen Submilieu um die Ohren schlagen muss oder für Mitarbeiter in Pflege- und Hospizeinrichtungen, die regelmäßig unmittelbar mit dem Tod von teils langjährigen Patienten konfrontiert sind. Sie gilt auch für die Sekretärin, den Controlling-Mitarbeiter, die Marketingleiterin oder die angestellte Reinigungskraft, deren psychische berufliche Belastung sich in der Regel mit jener anderer Berufsgruppen außerhalb des Sozialbereiches decken dürfte.

Nicht zu verwechseln mit Bildungskarenz

wpa-Recherchen haben ergeben, dass eine solche Sabbatical-Regelung ohne finanzielle Einschränkungen in einem Kollektivvertrag nicht nur in Vorarlberg, sondern offenbar in ganz Österreich einzigartig ist. Eine etwas ähnliche Regelung mit Rechtsanspruch gibt es nur für öffentlich Bedienstete in bestimmten Bereichen (z.B. Bundesebene). Sie müssen allerdings in der Ansparzeit auf einen Teil ihres Gehaltes verzichten und haben damit auch finanzielle Einbußen während des Sabbaticals, in dem keinerlei Fortbildungspflicht besteht. Bei Jobs in der privaten Vorarlberger Sozial- und Gesundheitsbranche gibt es diese finanziellen Einbußen für Mitarbeiter nicht, weder während der Ansparzeit noch während des Sabbaticals.

Dieses Sabbatical ohne Fortbildungspflicht darf nicht mit der Bildungskarenz verwechselt werden, die es auch in der Privatwirtschaft gibt. Denn die Bildungskarenz muss zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart werden. Der Arbeitnehmer hat also keinen Rechtsanspruch auf diese Karenz.

“Supervision” und eine Woche bezahlte Fortbildung

Doch dieser Sozialbediensteten-Kollektivvertrag zeigt auch noch andere Besonderheiten, die so in dieser Form auf Kollektivvertragsebene nicht zum österreichischen Standard gehören. So haben alle Mitarbeiter in privaten Vorarlberger Sozial- und Gesundheitsdiensten das Recht auf eine Woche berufliche Fortbildung bei voller Entgeltfortzahlung pro Jahr. Innerhalb von zwei Jahren gibt es dafür vom Arbeitgeber 1.100 Euro an finanzieller Unterstützung, deren Verwendung belegt werden muss. Dazu kommt das Recht auf zehn Stunden Supervision pro Jahr bei Entgeltfortzahlung – wie gesagt auch für den Controlling-Mitarbeiter und die dort angestellte Reinigungskraft. Und schlussendlich muss der Dienstgeber für jeden Bediensteten zwei Prozent des Jahresbruttogehaltes in eine überbetriebliche Pensionskasse zur Altersvorsorge zahlen.

Von Caritas über aks und ifs bis zur Lebenshilfe

Ausverhandelt wurde und wird dieser Kollektivvertrag zwischen der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) und dem Arbeitgeberverein für Sozial- und Gesundheitsorganisationen in Vorarlberg, kurz AGV. Dort findet sich alles, was im Vorarlberger Sozialbereich Rang und Namen hat. Dazu zählen unter anderen die Caritas Vorarlberg, das Kaplan Bonetti Haus, Amazone, Senecura, diverse Kolpinghäuser, Stiftung Jupident, die Lebenshilfe Vorarlberg, das ifs Institut für Sozialdienste, Krankenpflegevereine, Sozialsprengel, Vorarlberger Familienverband, Benevit, Vorarlberger Kinderdorf, aks Gesundheit, Jugendzentrum Between, Aquamühle, Offene Jugendarbeit und der Sunnahof etc. Insgesamt sind es mehr als 100 private Sozialorganisationen in Vorarlberg.

Arbeitgeber “verhandeln” über öffentliche Gelder

Die Bezeichnung “Arbeitgeber” ist in diesem Fall irreführend und kann keinesfalls mit der Arbeitgeberseite in der Privatwirtschaft verglichen werden. Als Obmann des AGV ist Christoph Hackspiel, der Geschäftsführer des Vorarlberger Kinderdorfes, tätig. Sein Stellvertreter ist Stefan Allgäuer, Geschäftsführer des Instituts für Sozialdienste ifs. Ebenfalls im AGV-Vorstand sitzen Michaela Wagner-Braito (Lebenshilfe), Walter Schmolly (Caritas), Klaus Müller (St. Anna Hilfe), Hedwig Natter (Sozialdienste Lustenau), Angelika Hagspiel (Vlbg. Tagesmütter) sowie Manfred Ganahl (Stiftung Jupident) als KV-Verhandlungsführer.

Dieser Vorstand verhandelt mit der Gewerkschaft über den Kollektivvertrag. Bezahlen darf das Ergebnis aber ein anderer: Denn das meiste Geld für die genannten Sozial- und Gesundheitsorganisationen kommt bekanntlich aus öffentlichen Kassen, ein sehr kleiner Teil stammt von Spenden. Bei den KV-Verhandlungen selbst haben das Land Vorarlberg oder Einrichtungen des Bundes etc. keine Mitsprachemöglichkeit. Es kann nur den AGV-Verhandlern mit Nachdruck signalisieren, dass zusätzliche Geldmittel beschränkt sind.

Gewerkschaft bestätigt Einzigartigkeit des Sabbaticals

Der Vorarlberger GPA-Regionalgeschäftsführer Bernhard Heinzle erklärte auf wpa-Anfrage, dass diese Sabbatical-Regelung für Mitarbeiter privater Sozial und Gesundheitsorganisationen in Vorarlberg tatsächlich einzigartig in Österreich sei. Dabei handle es sich aber um einen wichtigen Beitrag zur Burnout-Prophylaxe. Von ihrer Entstehung her müsse die seit 2006 geltende Sabbatical-Regelung aber auch so gesehen werden, dass die Gewerkschaft damals für alle Mitarbeiter privater Sozialorganisationen im Ländle die Reduzierung der Wochenarbeitszeit von den nach wie vor geltenden 40 auf 38,5 Stunden forderte. Da diese Forderung nach einer geringeren Wochenarbeitszeit, wie sie in vielen anderen Branchen in der Privatwirtschaft bereits seit Jahren gelte, abgelehnt wurde, einigte man sich als Kompromiss auf die Sabbatical-Regelung. Dass man 2006 erstmals überhaupt einen Kollektivvertrag zustande brachte, hänge mit der Gründung des AGV zusammen. Der habe die KV-Verhandlungsfähigkeit gehabt, da hier erstmals alle Arbeitgeber privater sozialer Organisationen vereint waren, so Heinzle.

Im Landesdienst gilt die 40-Stunden-Woche

Es ist bekannt, dass in sehr vielen Kollektivverträgen – gerade in Branchen mit vielen Beschäftigen wie dem Handel, aber auch in der Industrie – mittlerweile die 38,5-Stunden-Woche festgelegt ist. Allerdings werden diese Arbeitsplätze auch nicht zum allergrößten Teil mit Steuergeldern finanziert. Keinen Anspruch auf ein Sabbatical zur Burnout-Prophylaxe haben unterdessen die Vorarlberger Landesbediensteten, obwohl auch sie eine 40-Stunden-Woche leisten. Und auch für die rund 4.000 Mitarbeiter der Vorarlberger Krankenhaus-Betriebsgesellschaft KHBG gibt es keine Sabbatical-Regelung, obwohl die meisten KHBG-Mitarbeiter (Ausnahme Ärzte) in der Regel auf eine 40-Stunden-Woche kommen und zumeist in oft ähnlich psychisch belastenden Funktionen tätig sind.

Seit Jänner 2013 gelten in Österreich schärfere Bestimmungen beim Arbeitnehmerschutz, was die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz betrifft. Dabei sind alle Arbeit-/Dienstgeber dazu verpflichtet, die psychischen Belastungen ihrer Mitarbeiter über externe Arbeitsmediziner und Psychologen sowie einschlägige Berater erheben zu lassen und geeignete Gegenmaßnahmen zu treffen. Dadurch soll Burnout bei Beschäftigten vermieden werden. Die Prozesse werden vom Arbeitsinspektorat überprüft. Diese Burnout-Prävention genügt offenbar für die allermeisten Beschäftigten und Unternehmen in Österreich, nicht aber für die Mitarbeiter in privaten Sozial- und Gesundheitsorganisationen in Vorarlberg.

(Quelle: Wirtschaftspresseagentur.com)

Gesundheits- und Sozialorganisationen verärgert

Die Arbeitgeber des Gesundheits- und Sozialbereiches weisen die Unterstellung des „Kollektivvertrags-Schlaraffenland“ in den Vorarlberger Sozial- und Gesundheitsberufen zurück. Die entsprechenden Regelungen des Kollektivvertrages bestünden seit über 15 Jahren und stünden in keinem Zusammenhang mit allfälligen Kostensteigerungen im Sozialbereich. Kostensteigerungen seien beispielsweise insbesondere durch erhöhten Bedarf im Pflegebereich oder neue gesetzliche Qualitätsstandards zu verzeichnen.

Die Mitarbeiter würden die Zeiten für ihr Sabbatical einarbeiten, heißt es in einer Aussendung des Arbeitgebervereins für private Sozial- und Gesunheitsorganisationen (AGV). Der Kollektivvertrag des Vorarlberger Sozial- und Gesundheitswesens hat anstelle des Standards von 38 Wochenstunden in den anderen acht Bundesländern eine 40 Stunden Woche. Zudem würden die Gehälter der privaten Sozial- und Gesundheitseinrichtungen im Vergleich tendenziell unter dem Niveau von öffentlichen Einrichtungen und Landeskrankenanstalten liegen, wehrt sich der AGV. Vorteile für den Arbeitgeber und Mitarbeiter bei der Ansparung des Sabbaticals seien Flexibilität, Familienfreundlichkeit und psychohygienische Effekte; nicht zuletzt um einem Burnout vorzubeugen.

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