Offenbar hat Wien so einiges abseits der altbekannten Touristenpfade zu bieten: Der Reiseführer “Verborgenes Wien” von Michaela Lindinger zeigt auf über 400 Seiten ungewöhnliche, verborgene oder eher unbekannte Aspekte der Stadt. Zur besseren Übersichtlichkeit sind die Einträge dabei in zehn Kapitel eingeteilt, die den Bezirken bzw. Gebieten der Stadt entsprechen.
Tag für Tag geht man an Orten in Wien vorbei, ohne sie wirklich zu bemerken. Soll heißen: Wenn man die Stadt mit mehr Neugier und Interesse betrachten würde, hätte man auf der Liste der Sehenswürdigkeiten noch mehr Auswahl – was der Reiseführer beweist. Oder wissen Sie beispielsweise, wo das Haus aus Schokolade steht, woher das Sprichwort “im Leo sein” stammt, oder dass auf der Fassade des Wiener Stephansdoms Geschlechtsorgane zu sehen sind?
Verborgene Kuriositäten rund um den Wiener Stephansdom
Letzteres fällt erst bei genauerem Hinsehen auf: Das Riesentor der Wiener Hauptkirche wird links und rechts von zwei Doppelsäulen flankiert, die unterschiedliche Abschlüsse aufweisen. Einer davon kann klar als Penis identifiziert werden. Darüber ist eine Uhr, die mit römischen Ziffern verziert ist. Die zweite Säule wird mit einem aus Blättern geformten Dreieck abgeschlossen, was wiederum das weibliche Geschlechtsorgan darstellen soll. Diese nicht gerade christliche Symbolik ist ein Überbleibsel aus der Zeit des Dombaus im 13. Jahrhundert – also aus dem Mittelalter. Damals bestimmte der Fruchtbarkeitskult die religiösen Vorstellungen der Menschen.
Ebenfalls am Stephansdom entdeckt man an der Nordseite den sogenannten “Asylring”, einen Griff aus Metall. Vom Fangenspielen kennt man den Ausdruck “Ich bin im Leo”, den Kinder rufen, wenn sie einen bestimmten Gegenstand berühren und sich somit in einem “geschützten Bereich” befinden. Wie hängen diese beiden Aspekte zusammen? Die Autorin klärt auf: “Diese Bezeichnung stammt aus der Zeit des Babenbergers Leopold des Glorreichen, der mehreren Klöstern ein Asylrecht zugestand. […] Noch heute wird ein ‘Leopoltring’ beim Adlertor gezeigt.” Wer es also bis zum Metallring am Stephansdom geschafft hatte, stand unter dem Schutz der Kirche und war sozusagen “im Leo”.
Monumentale Kunst mitten in Wien
Was viele bislang nicht wussten: Die Mailänder-Version des berühmten Werks von Leonardo Da Vinci, “Das letzte Abendmahl”, ist nicht komplett: Anstelle der Füße von Jesus findet man unter dem Tisch eine nachträglich eingebaute Tür. Falls man das komplette Werk bewundern möchte, genügt ein kleiner Abstecher in die Minoritenkirche, denn dort hängt eine Mosaik-Kopie in den Originaldimensionen 4,47 x 9,18 Meter. Die Farben der Wiener Ausgabe kommen laut Kunsthistorikern dem Original aus dem 15. Jahrhundert sehr nahe.
Ebenfalls sehr bekannt ist der Kreuzweg des Wiener Malers Joseph Führich, denn dieser ist der meist kopierte Kreuzweg der Welt. Man findet ihn in mehreren hundert Kirchen verstreut über den gesamten Globus. In der Nepomuk-Kirche kann man das Original besichtigen. Der Kreuzweg besteht aus 14 Freskobildern mit lebensgroß ausgeführten Szenen.
Mit Wasser zu den richtigen Lottozahlen
Auch für Fans von Sagen und märchenhaften Geschichten hat Wien viel zu bieten. Falls Sie im Lotto gewinnen möchten, sollten Sie einen Abstecher zum Agnesbründl in Döbling machen. Dieses befindet sich nahe dem Gasthaus auf der Jägerwiese am Fuß des Hermannskogels. Zahlreiche Legenden ranken sich um die kleine Quelle: Wenn man ein Marienbild küsst, wird einem ein Wunsch erfüllt und wenn man sich die Augen mit dem Quellwasser benetzt, erblickt man im Wasser die richtigen Lottozahlen. Ob man diesen Aussagen Glauben schenken mag, bleibt einem selbst überlassen, fest steht, dass die Bäume und die Quelle seit jeher die Leute magisch anziehen.
“Recycelte” Grabsteine lassen sich am Ufer des Wienflusses finden: Dort wurden nicht mehr benötigte Reste von Friedhöfen verbaut. Eigentlich sollten diese mit der Beschriftung nach unten vermauert werden, doch Fehler passieren. Aufmerksame Spaziergänger können so noch heute manche Inschriften erkennen, die Aufschluss über die Lebensdaten und den Beruf des Verstorbenen geben. Makaber? Vielleicht. Passt es zu Wien? Definitiv.
Süße Versuchung: Ein Haus aus Schokolade
Eines der wohl außergewöhnlichsten Häuser Wiens besteht aus Schokolade – besser gesagt, es sieht so aus. Manchen Wienern ist das Haus in der Wattmanngasse auch als “Lebkuchenhaus” bekannt.
Den Spitznamen erhielt es aufgrund der sehr speziellen Majolika-Verzierungen auf der Fassade. Die Außenwand lebt von der Spannung zwischen glatter Fläche und Relief, die das Gebäude wie eine große süße Versuchung aussehen lässt.
Reiseführer zeigt: Wiens Besonderheiten sind unendlich
Eine versteckte Orgel, ein Römer-Skelett in einem Designladen, das schönste Klo der Welt, das Tor der “heimlich Schwangeren”, eine Heumühle mitten in Wien, eine tausendjährige Eibe, zahlreiche kuriose Museen, eine weinende Brücke und das Grab eines Fisches, der zum Judentum konvertiert sein soll: All das kann in der Donaumetropole besichtigt werden, die wenigsten wissen darüber jedoch Bescheid.
Die Autorin Michaela Lindinger zeigt, dass es abseits der Menschenmassen und allseits bekannten “Dauerbrennern” immer noch gut gehütete Schätze gibt, die sich nur denjenigen enthüllen, die die üblichen Wege verlassen, denn die beschriebenen Orte finden sich in keinem herkömmlichen Reiseführer.
“Verborgenes Wien” ist somit ein unentbehrlicher Reisebegleiter für alle, die dachten, Wien bereits wie ihre Westentasche zu kennen oder auch diejenigen, die eine andere Seite dieser faszinierenden Stadt entdecken wollen.
Buchtipp:
Verlag: Jonglez Verlag
Autorin: Michaela Lindinger
ISBN: 978-2-36195-199-3
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