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Uraufführung von "John" beim ImPulsTanz-Festival in Wien

Die Performer Andi Xhuma, Hannes Langolf und IanGarside.
Die Performer Andi Xhuma, Hannes Langolf und IanGarside. ©Ben Hopper
Auf einer sich unentwegt drehenden Bühne wurde im Akademietheater am Dienstagabend im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals in Wien die Uraufführung von Lloyd Newsons Tanztheaterstück "John" gezeigt. Johns Lebensgeschichte ist von Missbrauch, Gewalt, Vernachlässigung, Drogen und Gefängnis geprägt.

Um 21 Uhr werden die Türen geschlossen, ein Nacheinlass wird nicht gestattet. Der Australier Newson und seine preisgekrönte, britische Compagnie DV8 Physical Theatre fordern die Konzentration ihrer Zuseher von Anfang an ein – und die wird man auch brauchen. Was John, der aus der Dunkelheit auf dem vorderen Bühnenrand auftaucht, zu sagen hat (was auch auf Übertiteln mitzulesen ist), ist bewegend, schockierend, und wird vom deutschen Performer Hannes Langolf im Stakkato und in beeindruckend authentischem britischen Akzent vorgetragen.

Dokumentarisches Theater in Wien

“John” ist Newsons drittes Stück im Stile des “verbatim theatres”, einer Form des dokumentarischen Theaters, das Sprache und Bewegung verbindet. Ihm zugrunde liegen Interviews mit mehr als 50 Männern über Liebe und Sexualität, die auf der Bühne in Auszügen wortgetreu von den Performern – sieben Männern und zwei Frauen in kleinen Rollen – wiedergegeben werden. Anders als die Religion und Meinungsfreiheit thematisierenden Vorgänger “To be straight with you” und “Can we talk about this?” ist “John” jedoch keine Sozialstudie, wie Newson im Vorfeld der APA erzählte. Johns außergewöhnliche Geschichte solle nicht exemplarisch für eine gewisse Art Mann herhalten, stattdessen wird sie auserzählt und ab der Hälfte des Stücks mit Erfahrungen anderer Männer verwoben.

“Johns” Leben wird auf der Bühne dargestellt

Sprachlich wie darstellerisch führt John durch seine von sexuellem Missbrauch, Vernachlässigung und Gewalt geprägte Kindheit, im Kinderheim verbrachte Jugend, von Drogenkonsum, Todesfällen und Gefängnisaufenthalten geprägte Zeit als junger Erwachsener bis zu seinem Wunsch nach einem gesitteten Leben. Eine diagonal durchgezogene Wand bildet auf der Drehbühne die Konstante – sie wird im Laufe des Abends dank praktisch geräuschloser Szeneriewechsel unbemerkt im Hintergrund um Türen, Einziehwände und Requisiten erweitert, hält dank einfachster Mittel und Vorstellungskraft mal als Elternhaus, Gefängnis, Schwulensauna oder für dunkle Häuserecken her, in denen sich John den nächsten Schuss setzt.

Interaktionen auf körperlicher Ebene

Interaktion zwischen den Performern findet fast ausschließlich auf körperlicher Ebene statt: Angepasst an den Rhythmus des Gesprochenen oder die Dramatik des Erzählten verhaken sich die Performer ineinander, gehen gemeinsam zu Boden, ziehen sich an Armen und Beinen, schlüpfen an einer Stelle geradezu ineinander, wechseln gegenseitig die Kleidung. Manchmal lässt einen eine unvorhergesehene, konterkarierende Bewegung mehr auf die Worte achten, meist jedoch wirkt die Kombination überraschend natürlich.

Der Drogenrausch wird mit Wanken, Fallen und dem gegenseitigen Halten unterstrichen, beim Aufzählen von 28 Verurteilungen für 65 Vergehen geht Langolf in verschiedene Richtungen in Schieflage, im Tauziehen zwischen Anwälten und Psychiaterin durchstreift er die Bühne, ohne seine Füße ein einziges Mal vom Boden abzuheben. Seinen Absturz nach dem Tod einer engen Freundin bringt er mehr durch seine abrupten Bewegungen auf dem Rücken liegend und mit Flaschen hantierend zum Ausdruck denn mit Worten. Sein Monolog bricht nicht ab, während er sich von einem Raum in den nächsten bewegt, seine Lebensphasen verbal explizit schildert.

Ein Spiel von Sprache und Bewegung

Wie herausragend es ist, ständige Sprache und Bewegung ohne ein Zeichen von Ermüdung fortzuführen, wird dann evident, wenn sein jüngerer Kollege bei der getanzten Führung des einzigen älteren, weniger gut gebauten “Besuchers” durch die Sauna ganz schön außer Atem gerät. Hier, mit Hälfte des Stücks, gerät John in den Hintergrund, geschieht ein Bruch in der Geschichte wie auch in der Inszenierung. In der verwinkelten Umgebung einer Schwulensauna kommen andere Männer zum Vorschein und zu Wort. Mit Handtüchern um die Hüfte streifen sie mal durch die engen Gänge der Sauna, nehmen nur kurz Kontakt miteinander auf, wenden sich mit ihren individuellen Erzählungen ans Publikum.

Ein Sehnen nach Normalität

Ob der überzeugte Heteromann, der hier seine Ruhe abseits sich auf die Brust trommelnder Macho-Männer genießt; der nach schnellen, aber ungeschützten Abenteuern Suchende, der vorgibt, nach seiner HIV-Diagnose unbeschwerter zu leben; oder die Saunabetreiber, die von Beweggründen, Verhaltensunterschieden und manch unschönen, hinterlassenen Körperflüssigkeiten der Männer in ihrem Betrieb erzählen: Der Reigen führt aufschlussreich und mit Augenzwinkern in eine John und wohl den meisten Besuchern unbekannte Lebenswelt ein, thematisiert ohne Beschönigung die einzudämmende Problematik von HIV, Drogen und Übergriffen in der in diesen Räumen so abgeschirmten Community.

Das Sehnen nach Zuneigung, nach der “Normalität des Lebens” formuliert John in seiner eigenen, Langolf in den Mund gelegten Stimme aus dem Off schließlich selbst – und beendet so einen Abend, der mit dem stilistischen Bruch ein wenig verliert, die Neugier aber dank kreativer Inszenierung und charismatischer Performer bis zum Schluss zu wecken vermag. Der abschreckende Zusatz “Nicht unter 18 Jahren geeignet” bleibt der strengen “british policy” geschuldet – und wäre im ImPulsTanz-Rahmen bei manch ausschweifender Radikalperformance wie Ivo Dimchevs “ICURE” besser aufgehoben. (APA)

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