“Ein Jahr nach dem gescheiterten Putsch vom Juli 2016 ist die Türkei diplomatisch ziemlich isoliert, weil die anschließenden Säuberungen weit über das erwartete Maß hinausgegangen sind”, sagt Marc Pierini, Gastwissenschaftler am Politikinstitut Carnegie Europe. Heute sei Ankara auf diplomatischer Ebene gleich mit einer ganzen Reihe von Problemen konfrontiert.
Türkei trudelt in Isolation
Noch vor einigen Jahren wurde die Türkei als Vermittler in regionalen Krisen geschätzt und als Vorbild für andere muslimische Länder gehandelt. Von diesem Ansehen ist heute nur noch wenig geblieben: Die Beziehungen zu den westlichen Verbündeten sind angespannt, und zu Nachbarn wie Syrien, Irak und Ägypten ist das Verhältnis bestenfalls frostig.
“Das Bild hat sich völlig gewandelt” seit 2011, als die Türkei nach den Aufständen in Tunesien, Ägypten und Syrien zu einer regionalen Führungsmacht zu werden schien, sagt Kemal Kirisci vom Brookings Institute. “Heute wird das Bild geprägt von einer ständigen Zunahme von Streitigkeiten der Türkei mit ihren Nachbarn und darüber hinaus.”
Das Verhältnis zu den EU-Staaten wird belastet durch das massive Vorgehen Erdogans gegen seine Gegner. In der EU wird es als unverhältnismäßig gesehen, dass zehntausende mutmaßliche Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen, dessen Bewegung von Ankara für den Umsturzversuch verantwortlich gemacht wird, inhaftiert oder entlassen wurden.
Auch die Einschränkung der Bürgerrechte unter dem seit einem Jahr geltenden Ausnahmezustand wird als zu weitgehend kritisiert, während das bei einem Referendum im April mit knapper Mehrheit angenommene Präsidialsystem von den Verfassungsspezialisten des Europarats als Gefahr für Demokratie und Gewaltenteilung gewertet wird.
Hoffnungen auf Trump erfüllten sich nicht
Große Hoffnung hatte Erdogan auf den neuen US-Präsidenten Donald Trump gesetzt, doch die Euphorie nach Trumps Wahl ist Ernüchterung gewichen. Es ist inzwischen klar, dass Trump ebenso wenig wie sein Vorgänger Barack Obama der Forderung Ankaras nach Auslieferung Gülens nachkommen wird, der seit Jahren im Exil in den USA lebt.
Ebenso ungehört bleiben Forderungen, das Bündnis mit den syrischen Kurden aufzugeben, die den USA als Bodentruppen im Kampf gegen die Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien dienen. Ankara verweist immer wieder darauf, dass die kurdische YPG-Miliz eng verbunden ist mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) – doch vergebens.
“Ankara war sehr optimistisch am Beginn von Trumps Präsidentschaft, doch die Erwartungen wurden nicht einmal teilweise erfüllt”, sagt Özgür Ünlühisarcikli vom German Marshall Fund in Ankara. Stattdessen gab es Ärger um Erdogans Bodyguards, als diese beim Washington-Besuch des türkischen Präsidenten prokurdische Demonstranten attackierten.
EU-Beitrittsprozess an totem Punkt
Mit der EU steht es nicht besser: Der 2005 eröffnete Beitrittsprozess, der schon seit Jahren nur noch schleppend vorankommt, ist an einem toten Punkt. Angesichts der Untergrabung der Demokratie, der Einschränkung der Meinungsfreiheit und der Verfolgung der Opposition in der Türkei forderte das Europaparlament erst kürzlich die Aussetzung der Beitrittsgespräche.
Auch mit einst engen Partnern wie Deutschland häufen sich die Probleme: Neben der allgemeinen Sorge um die Demokratie in der Türkei belastet vor allem die Inhaftierung der Journalisten Deniz Yücel und Mesale Tolu die Beziehungen. Vergessen haben viele auch nicht, dass Erdogan Deutschland im Streit um Wahlkampfauftritte “Nazi-Methoden” vorwarf.
Zuletzt wurde dem türkischen Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci Anfang der Woche die Einreise nach Österreich untersagt.
“Null Probleme mit den Nachbarn” war einst die Parole von Erdogans Regierung. Davon ist die Türkei heute weiter entfernt denn je.
(APA)
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