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Üsr Wirtshus

Riefensberg -„Leben und Wohnen“ ist nicht auf die eigenen vier Wände beschränkt. Auch ein Dorf braucht wohnliche Lebendigkeit. Mehr noch als zu Hause sind dafür Gesprächsbereitschaft, Gemeinschaftssinn und Offenheit für Neues nötig. Was dann möglich ist, zeigt das „Bartle“ in Riefensberg.
Riefensberg: Üsr Wirtshus

Die ländliche Lebenswelt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten gründlich verändert. In kleinen Gemeinden wie Riefensberg wird gern gewohnt, gearbeitet wird großteils außerhalb. Da ist nicht viel los. Wenn dann noch Gasthäuser oder Vereinslokale schließen, fehlt Raum für das gepflegte Miteinander. Alternative Konzepte sind gefragt, um dem dörflichen Leben einen zeitgemäßen Rahmen und passende Räumlichkeit zu bieten. Mit dem genossenschaftlich betriebenen Wirtshaus „Bartle“ ist das gelungen – so überzeugend, dass es in vielerlei Hinsicht zum Vorbild werden könnte: vom professionell betreuten Entstehungsprozess über die wirtschaftlich innovative Organisationsform bis zur hohen Qualität von Architektur und handwerklicher Umsetzung.

Es ist ein später Sonntagvormittag. In der Mitte des Gastraums sitzt eine Kinderschar bei Limo und fröhlichem Gesang. Fensterseitig unterhalten sich die Großen und trinken Bier oder Kaffee. Eine durchlaufende Bank verbindet die geselligen Tischrunden. Es ist eine angenehme Wirtschaft, eine gelungene Mischung aus Wohnzimmer und Gasthaus, nicht ohne gemütliche kleine Verweise auf eine traditionelle Wälder Gaststube. Holz macht die behagliche Grundstimmung und unaufdringliche Akustik. Der Barbereich in sattem Tannengrün gibt dem hellen Raum einen natürlichruhigen Hintergrund.

„Als hier das Café vor einigen Jahren zumachte“, erzählt Richard Bilgeri am Tresen mit Blick ins Lokal, „hat etwas gefehlt im Dorf.“ Die Lücke wurde nicht einfach hingenommen. Stattdessen wurde nachgedacht, wie ein attraktiver Treffpunkt neu entstehen könnte. Die Aufgabe schien anfangs gar nicht leicht. Eine Gemeinde kann bürgerschaftliches Engagement wohl unterstützen, ein Wirtshaus übernehmen kann sie nicht. Für eine Privatperson wären andererseits Aufwand und Risiko enorm gewesen. Zusammen mit engagierten Beratern fand man mit dem Modell der eingetragenen Genossenschaft eine interessante Alternative. Das Konzept wurde gründlich vorbereitet, wenig später vor versammelter Gemeinde präsentiert und in den folgenden Diskussionen gemeinsam erweitert und verfeinert.

Über hundert Riefensberger (innen) ließen sich von der Idee des gemeinschaftlich betriebenen Lokals begeistern und waren bereit sich mit einem Geschäftsanteil, mit Ideen und Arbeitskraft daran zu beteiligen. Nach nur acht Wochen war das nötige Kapital beisammen, um das seit drei Jahren leerstehende Café zu kaufen. Das wäre im Grunde nach wie vor betriebsbereit gewesen. Dennoch entschied die Gruppe richtig, dass eine Sanierung und bauliche Adaptierung für die neuen Zwecke sinnvoll und für das weitere Gelingen des Projekts wichtig wären, und machte sich mit einem Architekten an der Seite an die Arbeit.

Für diesen Verwandlungsakt, der den neuen Dorftreff eigentlich erst „üser Wirtshus“ werden ließ, wurde mit Architekt Gerhard Gruber eine Idealbesetzung gefunden. Gerade im Vorderen Bregenzerwald hat er schon mehrfach bewiesen, dass er die Kunst im Umgang mit gewachsenen Strukturen gut beherrscht, mit Gespür und Geschick das Bestehende neu interpretiert oder erweitert: ob in Thal, Sulzberg oder mit der Juppenwerkstatt und der Volksschulsanierung auch schon in Riefensberg.

Urs Schwarz, Projektbegleiter der Stabsstelle Moderne Genossenschaft der Raiffeisenbank, bringt die entscheidende Rolle des Architekten auf den Punkt: „Ihm ist es gelungen, die Wirkung und Bedeutung für das Dorf als eine wichtige ‚Funktion‘ in die Architektur miteinzubeziehen.“ Die Genossenschaft – darunter beste Handwerksleute – war als Bauherrschaft ein Gegenüber auf Augenhöhe, das sich mit viel Know-how, Eigenleistung und hohem Qualitätsanspruch kräftig einbrachte. So ist mit relativ geringen Mitteln Architektur entstanden, die sich auf das Wesentliche konzentriert: einen Ort zu schaffen, wo Leute gern verweilen, miteinander ins Gespräch kommen, zusammenfinden können. Es ist ein offener Raum, wo es sich gut anfühlt, in Riefensberg zu leben und zu wohnen oder wenigstens kurz Gast zu sein.

Daten & Fakten:

Objekt: Bartle „üser Wirtshus“, Riefensberg
Eigentümer/Bauherr: Üser Wirtshus eGen (eingetragene Genossenschaft)
Architektur: gruber locher architekten, Bregenz www.gruberlocher.com
Statik: planDrei, Andelsbuch
Ingenieure/Fachplaner: Küche: Gastroplan, Götzis
Planung: Herbst 2013–Sommer 2014
Ausführung: 4/2014–10/2014
Nutzfläche: 190 m²
Bauweise: Massivbau: Ziegelwände, Beton-/Ziegeldecken
Fußböden: Eichendielen, geölt
Decke: Weißtanne
Heizung: Fernwärme
Innenwände neu: Holzständerwände, Trockenbaubeplankung
Fenster: Bestand
Besonderheiten: Gaststube wurde an die Dorfstraße verlegt, fast alle Arbeiten wurden von Handwerkern aus dem Ort bzw. in Eigenleistung erbracht. Gefördert durch das LEADER-Programm der EU
Ausführung: Anteil Eigenarbeit: Abbruch, Trockenbau, Holzdecken, Holzböden, Terrassengeländer, … Firmen: Baumeisterarbeiten Eigenleistung, Zimmerer Eigenleistung/Zimmerer Bilgeri, Riefensberg; Fenster: Bestand; Innenausbau: Eigenleistung/Zimmerer Bilgeri, Riefensberg; Mobiliar: Schmidinger Möbelbau, Schwarzenberg; Böden: Eigenleistung; Heizung/Lüftung: Dietrich Luft + Klima, Lauterach; Elektro: f2 Anton Fink, Riefensberg
Baukosten: ca. 260.000 Euro (ohne Eigenleistung)

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
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