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Türkische Staatskrise: Erdogan formiert "Kriegskabinett"

Neuer Innenminister Drahtzieher bei Polizeisäuberungen.
Neuer Innenminister Drahtzieher bei Polizeisäuberungen. ©AP
Mit der Neubesetzung seines Ministerstabes versucht Regierungschef Recep Tayyip Erdogan die veritable Staatskrise der Türkei abzuwenden. Die Opposition spricht von einem "Kriegskabinett" gegen die einflussreiche religiöse Gülen-Bewegung. Die Trockenlegung des Korruptionssumpfes, der bis in die höchsten Regierungskreise reicht, gerät in Gefahr.
Erdogan tauscht zehn Minister aus

Kaum auf seinem Posten gerät der in der Nacht auf Donnerstag designierte, neue Innenminister Efkan Ala bereits ins schiefe Licht. Der ehemalige Staatssekretär des Regierungschefs war federführend in der groß angelegten Umbesetzung leitender Polizeidienststellen nach Bekanntwerden der Korruptionsaffäre in der Türkei. Auch bei dem brutalen Vorgehen der Polizei gegen die Demonstrationen rund um den Istanbuler Gezi-Park im Sommer soll der neue starke Mann Erdogans eine führende Rolle gespielt haben.

Versetzungen und Verhaftungen

Die vom Istanbuler Staatsanwaltschaft Zekeriya Öz eingeleitete Operation “17. Dezember” hat die Führungsspitze und das Umfeld der Regierung Erdogan ins Korn genommen. Die schwerwiegenden Vorwürfe umfassen Schmiergeldzahlungen bei der Vergabe von Bauaufträgen, Geldwäsche und mögliche illegale Geschäfte mit dem Iran zur Umgehung internationaler Sanktionen. Drei Ministersöhne wurden im Zuge der eingeleiteten Untersuchungen verhaftet, der Sohn des mittlerweile zurückgetretenen Umweltministers Erdogan Bayraktar wurde unter Auflagen freigelassen.

Bereits am Tag nach den Großrazzien waren mehrere leitende Polizisten versetzt worden, darunter auch jene, die mit der Anti-Korruptionsoperation befasst gewesen waren. Als letzter Kraftakt wurden gestern weitere 400 Polizisten in Istanbul an die Luft gesetzt, inklusive dem “Cayci”, dem Teebrüher der Polizeistation.

“Krieg” über Köpfen von Justiz und Polizeiapparat

Justiz und Polizei behindern sich gegenseitig bei der Aufklärung der Korruptionsvorwürfe, die die Regierungspartei AKP schwer unter Beschuss gebracht hat. Der Präsident der Istanbuler Anwaltskammer, Ümit Kocasakal, spricht gegenüber türkischen Medien von einem “Krieg”, einem Kräftemessen, der über den Köpfen der Justiz und des Polizeiapparats ausgetragen wird. Der Verdacht, das die einflussreiche islamische Bewegung des religiösen Predigers Fethullah Gülen als Drahtzieher der Korruptionsaffäre fungiert, hat Gülen in seinem US-Exil postwendend zurückgewiesen.

Am 25. Dezember kam es im Zuge der Ermittlungen zu einem weiteren Eklat, als sich ein leitender Polizeioffizier weigerte, den Anweisungen der Istanbuler Staatsanwaltschaft zur Vorladung Verdächtiger Folge zu leisten. Am Donnerstag hat die Istanbuler Generalstaatsanwaltschaft die “zweite Befragungswelle” im Korruptionsskandal gestoppt. Die Vorgangsweise ist Wasser auf die Mühlen der Oppositionsparteien. Die säkulare CHP, die rechte MHP und die Kurdenpartei BDP werfen der Regierung seit Beginn der Affäre “Vertuschung” vor.

Erdogan gibt sich eisern

Die Türkei erlebt derzeit den größten Korruptionsskandal seit der “Susurluk-Affäre” in den 90iger Jahren. Damals verunglückten im westtürkischen Ort Susurluk ein Mafioso, ein hoher Polizeioffizier und ein Parlamentsabgeordneter, als sie zusammen in einem Auto unterwegs waren. Der Unfall brachte 1996 die Verbindungen zwischen Staatsmacht und Unterwelt ans Tageslicht und führte ein Jahr später zum Rücktritt des damaligen Regierungschefs Necmettin Erbakan und 1998 zum Verbot der islamistischen Refah Partei.

Der “tiefe Staat” (“Derin Devlet”), illegale Parallelstrukturen im türkischen Staatsapparat, wird auch von Regierungschef Erdogan bemüht. Er werde keine Parallelstrukturen im Staat dulden, stellte Erdogan klar. Der Regierungschef beschuldigt seit Tagen in- und ausländische Kräfte, gegen die Türkei ein Komplott geschmiedet zu haben und gefälschte Beweise in der aktuellen Korruptionsuntersuchung vorzulegen. Die Unabhängigkeit der Türkei selbst sei gefährdet, so Erdogan.

Der Chef der größten türkischen Oppositionspartei CHP, Kemal Kilicdaroglu, ortet den “tiefen Staat” in der regierenden AKP selbst, und der neue Innenminister Ala sei eines seiner Elemente, erklärte er Mittwoch Abend gegenüber dem Fernsehsender CNN Türk. Das neue Kabinett werde sich daran messen müssen, ob es die Arbeit der Staatsanwälte weiter behindere.

(APA)

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