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Der Josephinismus

Unter Josephinismus versteht man im weitesten Sinn die Reformideen des aufgeklärten Absolutismus, die zu umfangreichen Veränderungen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens geführt haben. Josephinismus im engeren Sinn ist die Kirchenpolitik Kaiser Josephs II., mit der die Kirche einer verstärkten Aufsicht des Staates unterworfen wurde. Den Namen trägt der Josephinismus nach Joseph II., dem ältesten Sohn Maria Theresias, seit 1765 deutscher Kaiser und Mitregent in den habsburgischen Erblanden, ab 1780 bis zu seinem Tod 1790 Alleinherrscher. Da Maria Theresia die josephinischen Reformen nur teilweise billigte, konzentrierten sich diese auf die 1780er Jahre.

Der Geist der Aufklärung hatte in ganz Europa kritisches Denken gefördert. Es wurden mehr oder weniger alle Lebensbereiche einer kritischen Betrachtung unterworfen: die Religion und die traditionelle Rechts- und Staatsordnung ebenso wie die Naturwissenschaften und die Medizin. Ein ahistorisches Denken setzte sich durch, das mit den Traditionen brach und einen revolutionären Charakter annahm. Der führende französische Aufklärer Voltaire (1694–1778) formulierte diesen Geist mit den Worten: 'Voulez-vous avoir de bonnes lois? Brulez les vôtres et faites-en de nouvelles!' (Wollt ihr gute Gesetze haben? Verbrennt eure und macht neue!)

Dieser Geist der Aufklärung beherrschte nicht nur die Politik in Österreich, sondern in den meisten europäischen Staaten, besonders auch in Preußen unter König Friedrich II., der Voltaire an seinen Hof holte und als einer der Lehrmeister Josephs II. gilt. Auch in Österreich begannen bereits unter Maria Theresia umfassende Reformen. Auf der Basis des Naturrechts, das die menschliche Vernunft in den Mittelpunkt stellte (daher auch als Vernunftsrecht bezeichnet), suchte man eine völlige Erneuerung des Rechts durchzusetzen, in der insbesondere dem Gewohnheitsrecht jede Berechtigung aberkannt wurde. Die Konflikte, die im 18. Jahrhundert zwischen den Vorarlberger Landständen und den absoluten Monarchen (Maria Theresia, Joseph II.) entstanden, hatten nicht zuletzt darin ihren Ursprung, dass man in Vorarlberg sehr stark von traditionellem Rechtsdenken (insbesondere auch dem Gewohnheitsrecht) bestimmt war. Auf der anderen Seite bleibt festzustellen, dass die von oben diktierten Reformen dazu führten, dass vieles vom Geist der Französischen Revolution vorweggenommen wurde und dadurch ein revolutionärer Umbruch von unten in Österreich vermieden werden konnte.

Ziel des Josephinismus war ein zentralistisch verwalteter Staat, in dem die einzelnen Erbländer aufgehen sollten. Die Machtausübung sollte sich auf Heer und Beamtenschaft gründen. Diesem Bestreben diente in Vorarlberg die Einrichtung eines bürokratisch aufgeblähten Kreisamtes im Jahre 1786, das alle bestehenden Gerichts- und Gemeindeverfassungen überlagerte und kontrollierte. Justiz und Verwaltung wurden getrennt. Die bisherigen Landrichter und Gerichtsräte gingen nicht mehr aus Volkswahlen hervor, sie sollten künftig an Universitäten wissenschaftlich ausgebildete und geprüfte Juristen sein. Volkszählungen, Ortstafeln und Häusernummerierungen sollten zu einer verdichteten Überwachung führen. Die Staatssprache sollte in dem zentralistisch regierten Reich das Deutsche sein, weshalb deutsche Ansiedlungen in Ungarn, Siebenbürgen, Galizien und der Bukowina gefördert wurden (auch zahlreiche Vorarlberger Auswanderer gingen in diese Gebiete). Dem Ziel einer größeren sozialen Gerechtigkeit diente die Aufhebung der Leibeigenschaft (1781) und die Einführung einer allgemeinen Grundsteuer, der jetzt auch der Adel unterworfen wurde. Joseph II. förderte Handel und Industrie, er ließ zahlreiche neue Schulen bauen, ebenso Krankenhäuser und Blindenheime. Besonders einschneidend waren auch die Reformen im Strafrecht, insbesondere das Verbot der Folter und die Abschaffung der Todesstrafe.

Den größten Widerstand erregten die Reformen des Josephinismus im engeren Sinn: die kirchlichen Reformen. Die Kirche sollte insgesamt dem Staatswohl und der Staatsräson untergeordnet werden. Die Kirche und ihre Einrichtungen sollten dem Staat unterworfen und durch ihn kontrolliert, die Geistlichen als Staatsdiener für die allgemeinen Ziele der Aufklärung eingespannt werden. Die Offenbarung sollte zurücktreten und an ihrer Stelle der Vernunft in der Glaubenslehre eine maßgebliche Rolle zufallen. Während Maria Theresia noch sehr zurückhaltend vorgegangen und stets auch auf eine Einigung mit dem Papst bedacht gewesen war, ging Joseph II. übereilt und überhastet vor und gab solche Rücksichten auf.

Eine Hauptforderung Josephs II. zielte auf die Konformität der Grenzen kirchlicher Provinzen mit den Staatsgrenzen. Neue Bistümer wurden geschaffen, so beispielsweise St. Pölten oder Linz; auch für Vorarlberg plante er (1783) die (dann jedoch nicht verwirklichte) Errichtung eines Bistums Bregenz (mit Bischofssitz im Kloster Mehrerau). Ausländische Bischöfe (für Vorarlberg waren immer noch die Bischöfe von Konstanz, Augsburg und Chur zuständig) sollten in Österreich keinerlei Jurisdiktionsbefugnisse haben; selbst päpstliche Erlässe sollten nur mehr mit Zustimmung des Kaisers publiziert werden. Zahlreiche Klöster wurden aufgehoben, wenn sie für den Staat keinen realen Nutzen brachten. Der Aufhebung zum Opfer fielen traditionsreiche Klöster wie Valduna, Viktorsberg, Thalbach oder St. Anna in Bregenz. Bei der Einziehung und Versteigerung der Klostervermögen gingen wertvolle Kulturgüter verloren, insbesondere Kunstschätze und Bibliotheken. Die Klostergebäude wurden häufig zu Kasernen umgestaltet oder abgerissen, wenn sie sich als Fabriksgebäude nicht eigneten. Die entsprechenden Einkünfte sollten über einen Religionsfonds die Errichtung neuer Pfarrstellen ermöglichen, womit das Netz der staatlichen Kirchendiener verdichtet werden sollte, deren Ausbildung unter der Aufklärung zugetanen Lehrern neu geregelt wurde.

Einen schweren Schlag führte Joseph II. gegen die religiöse Volksüberlieferung. Alles, was irgendwie der Vernunft zu widersprechen und dem Staat unnütz erschien, sollte verboten und beseitigt werden. So wurden viele Kapellen geschlossen, Wallfahrten, Prozessionen und Rosenkranzandachten untersagt, Bruderschaften aufgehoben, Bilder, Statuen, Lampen und sonstiger Schmuck aus den Kirchen entfernt, das Geläute wurde stark reduziert und der Aufwand bei Gottesdiensten eingeschränkt, zahlreiche Feiertage wurden abgeschafft. In Vorarlberg wurden nicht weniger als 22 Feiertage beseitigt, weil Arbeitstage für den Staat von größerem Nutzen schienen. Verboten wurden auch die Weihnachtskrippen und die Heiligen Gräber, wie man sie in der Karwoche aufzustellen pflegte. Die deutsche Normalmesse ersetzte den lateinischen Gesang. Im Kirchenvolk regte sich die Kritik, dass die Kirchen "gleich den lutherischen Tempeln aller Zierde entblößt" seien. Ebenso wurden uralte Volksbräuche wie das Funkenbrennen beseitigt; auch dem Wetterläuten wurde der Kampf angesagt.

Besonders hart traf die Bevölkerung die Umgestaltung der Friedhöfe. Viele Gräber wurden eingeebnet, die Familiengräber wurden abgeschafft, es durfte nur noch der Reihe nach bestattet werden; selbst die Särge wurden vereinfacht, sie durften keinen Holzdeckel haben, sondern nur mehr mit einem Leintuch zugenagelt werden.
Einen Höhepunkt in der josephinischen Reformpolitik stellte das Toleranzpatent von 1781 dar, das Protestanten und Griechisch-Orthodoxen, später auch den Juden die freie Religionsausübung gestattete. Die 1770–1772 mit der Unterstützung aufklärerischer Beamter errichtete Synagoge in Hohenems war ein Vorzeichen dieser zum Prinzip erhobenen religiösen Toleranz. Das Ehepatent von 1783 nahm die Ehe aus dem Sakramentsbereich und erklärte sie für einen bürgerlichen Vertrag: Nicht mehr die Kirche, sondern der Staat entschied über Ehestreitigkeiten und das Vorliegen von Ehehindernissen. Aus der josephinischen Zeit datieren die ersten Ehetrennungen, die in Vorarlberg nachweisbar sind.

Die Reformen im staatlichen wie auch ganz besonders diejenigen im kirchlichen Bereich führten zu einem wachsenden Widerstand, besonders bei einer konservativen bäuerlichen Bevölkerung, wie sie in Vorarlberg bestand. So kam es 1789 zu offenem Widerstand, besonders etwa in Götzis, Dornbirn oder Lustenau. Ein militärisches Einschreiten wurde notwendig. Aber auch außerhalb Vorarlbergs regte sich zunehmend der Widerstand gegen die Reformen, vor allem beim Adel und bei der Geistlichkeit. Zu größeren Aufständen kam es 1788–1790 in Ungarn und 1789/90 in den österreichischen Niederlanden. Der Kaiser musste kurz vor seinem Tod wesentliche Teile der Reformen zurücknehmen. Auch der Vorarlberger Landtag von 1790 formulierte eine Reihe von Beschwerdepunkten mit dem Ergebnis, dass Kaiser Leopold II. als Nachfolger Josephs II. Teile der Reformen zurücknahm. Da jedoch ein Teil der Geistlichkeit im Sinn der Aufklärung erzogen war und dem Josephinismus weiterhin anhing und auch Bayern während seiner Herrschaft über Vorarlberg 1806 bis 1814 diese Reformen, vor allem im kirchlichen Bereich, weiter vorantrieb (zum Beispiel Aufhebung des Klosters Mehrerau), konnte sich dieser Reformgeist noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts behaupten und zu einer Wurzel des Liberalismus werden. K.H.B.

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Bild: Altes Gewohnheitsrecht – hier als Beispiel die Bestimmungen über die Einsetzung des Ammanns im Gericht Hofsteig – wurde durch die Obrigkeit reformiert.
Altes Gewohnheitsrecht – hier als Beispiel die Bestimmungen über die Einsetzung des Ammanns im Gericht Hofsteig – wurde durch die Obrigkeit reformiert.
Bild: Kaiser Joseph II.
Kaiser Joseph II.
Bild: Die Synagoge in Hohenems wurde mit Hilfe aufklärerischer Beamter 1770–1772 errichtet.
Die Synagoge in Hohenems wurde mit Hilfe aufklärerischer Beamter 1770–1772 errichtet.