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Fremdenverkehr und Alpinismus

Vorarlberg gehört durch die Schönheit seiner Landschaft, die Lage in den Alpen und am Bodensee, zu den viel besuchten Fremdenverkehrsländern Europas. In der Fremdenverkehrssaison 1998/99 haben 1,6 Millionen Gäste das Land besucht und 7,8 Millionen Übernachtungen gebucht. Es hat allerdings viele Jahrhunderte gebraucht, bis die Schönheit der Landschaft entdeckt und die nötige Infrastruktur für einen so gewaltigen Fremdenverkehr errichtet wurde.

Lange Zeit war die Einstellung der Bevölkerung gegenüber der Bergwelt negativ, ja feindlich. In der Antike galten die Alpen als unbewohnt und unbewohnbar. Zwar ging man die Wege über die Alpenpässe, aber nur, wenn man unbedingt musste. Um die Zeitwende schilderte ein antiker Geograf die großen Gefahren der Saumwege für Mensch und Tier, insbesondere auch die drohenden Lawinenabgänge: 'Denn viele Eismassen liegen aufeinander, indem gefrorene Schneeschichten sich auf Schneeschichten türmen, und die an der Oberfläche sich immer leichter von den unteren ablösen, bevor sie an der Sonne gänzlich schmelzen.' Dazu kamen abergläubische Vorstellungen, die seit der Annahme des Christentums die Berge in zusätzlichen Misskredit brachten. Als Abraham seinen Sohn Isaak zum Opfer auf einen Berg führte, warteten die Knechte unten (Genesis 22,1-5), ebenso wie das Volk Israel, als Moses auf dem Berge Sinai die Gesetzestafeln erhielt (Exodus 19,16-24). Jesus nahm nur drei Jünger mit auf den Berg Tabor (Matthäus 17,1-17). Und es war kein Geringerer als der Teufel selbst, der Jesus auf einen sehr hohen Berg führte, um ihm alle Reiche und die Herrlichkeit der Welt zu zeigen (Matthäus 4,8-10). In Exodus 19,22-24 verbietet Gott ganz besonders den Priestern, auf den Berg Sinai zu steigen. Und noch 1387 wies der Rat von Luzern sechs Priester aus der Stadt, die den Pilatus besteigen wollten, denn "dis gebirg uff der höhe, da es ruch und wild ist, mit bösen tüflischen gespenst und geisterwerk wohl besetzt und erfüllet sei". Bis ins ausgehende 16. Jahrhundert mussten die Sennen in Luzern alljährlich schwören, niemand auf den Pilatus hinaufzuführen. Um 1600 galten der Mottakopf bei Brand und der Tantermauserkopf südlich von Bürs als Hexentanzplätze.
Frühzeitig hatten die Alpenbewohner freilich gelernt, die Alpen zu nutzen, wie nicht nur vor- und frühgeschichtliche Funde, sondern etwa auch das churrätische Urbar des 9. Jahrhunderts beweisen. In der Schleh'schen Chronik von 1616 heißt es über die Herrschaft Bludenz: "seind alles hohe, wilde gebirg, darinnen treffenliche Alpen." Dieser Gegensatz zwischen den von Schiller gepriesenen "grünen Triften" und den Geröll- und Schneeregionen zieht sich wie ein roter Faden durch die Beschreibungen der Alpen, ehe man, vor allem im 18. Jahrhundert, ihre Schönheit entdeckte. Es sei hier nur, als Beispiel für viele, das Alpengedicht des Albrecht von Haller genannt (1732).

Die Entdeckung der Schönheit der Alpen ging von den Humanisten aus. Francesco Petrarca wurde am 26. April 1336 mit seiner Besteigung des Mont Ventoux zum Vater des Alpinismus. Losgelöst von jeder Nützlichkeitserwägung bestieg er den Berg, "lediglich aus dem Verlangen, die namhafte Höhe des Ortes kennenzulernen". Der Zürcher Frühhumanist Jakob von Waldenburg musste sich von seinen Gegnern noch den Vergleich mit Luzifer gefallen lassen, wenn er sich frühmorgens erhob, um "auf die Berge zu steigen". Viele Feldkircher Humanisten verbanden das Bergsteigen mit dem Sammeln von Pflanzen. Auch der Zürcher Konrad Gessner nahm sich 1542 vor, "alle Jahre mindestens einen Berg zu besteigen". Von ihm stammt eine ausführliche Beschreibung einer Besteigung des Pilatus, in der es u.a. heisst, dass die Augen "durch den wunderbaren und ungewohnten Anblick der Berge, Joche, Felsen, Wälder, Täler, Bäche, Quellen und Matten" erfreut werden und dass man alle vier Jahreszeiten an einem Tag erleben könne, dass man aus Bergfahrten "die höchste Lust ziehen" könne, auch wenn man Beschwerlichkeiten in Kauf nehmen müsse und "die Annehmlichkeiten einer guten Tafel und eines guten Bettes mangeln".

Der römische Feldherr Stilicho musste 402 bei der Überquerung der Alpen von Mailand zum Bodensee in Alphütten und Höhlen schlafen, auf den Wein verzichten und sich mit einem Stück Brot zufrieden geben. Doch schon im 9. Jahrhundert entstanden Herbergen für die Rompilger, so etwa im Damenstift Lindau oder auch auf dem Viktorsberg. 1218 gründete Graf Hugo I. von Montfort in Klösterle ein Hospiz, um Pilgern Feuer, Wasser und Unterkunft zur Verfügung zu stellen. 1414 stürzte auf der Arlbergstraße der Wagen um, der Papst Johannes XXIII. zum Konstanzer Konzil brachte. Und 1436 klagte ein venezianischer Gesandter, der über den Arlberg zum Basler Konzil reiste, dass er und seine Gesellschaft in Klösterle "nur schlechtes Essen erhielten und in einer Stube ohne Bett übernachteten".

Als Erste erkannte wohl die Stadt Feldkirch die Bedeutung des Fremdenverkehrs. Denn im 15. Jahrhundert kamen die Könige Sigismund, FriedrichIII. und Maximilian I. in Begleitung zahlreicher Fürsten und Bischöfe wiederholt in die Montfortstadt. Festmähler für 250 Personen wurden ausgerichtet. Und der Humanist Gasser weiß 1550 über Feldkirch zu erzählen: "Es ist an dem Ort eine erwünschte Schnabelweid ... von edlem Gevögel, ... Wildprät, allerley schleckerhaftige Fisch, guten Landwein, feißt Fleisch, Käß, Ancken oder Butter und wohlgeschmacktem Obß." Die Zeiten hatten sich grundlegend geändert. Hundert Jahre später lobt Merian die Feldkircher als "ein gastfreundliches und holdseliges Volk, das allen Fremden viel Ehre und Gutes erweise". Im 18. Jahrhundert entdeckten Lindauer Bürger den Bregenzerwald, wo sie nicht nur "holdseelige Weiblein" und "schöne und liebreich Schmölg" fanden; vielmehr erschien ihnen ihr Weg als eine "Raiß durch das Land Canaan, da Milch, Butter, Schotten, Käs und Honig floss". 1725 verewigten sie sich in den Alphütten und auf dem Kreuz auf dem Starzeljoch, wo sie ihre Namen einritzten. Die ersten Hütten- und Gipfelbücher waren damit erfunden.

Frühe Orte des Fremdenverkehrs waren auch die zahlreich nachgewiesenen Bäder, etwa das 1430 erwähnte Schwefelbad in Hohenems, von dem 1616 berichtet wird, dass im Sommer "von benachbaurten Stätten und Ohrten vil fremdes Volck hinkompt". In Laterns, Nofels, Hopfreben, Rotenbrunnen und an vielen anderen Orten mehr bestanden seit dem Mittelalter solche Bäder. Der Gast, heißt es 1744 über das Bad in Hohenems, trifft alles an, was er sich nur wünschen kann; "Kurtz es ist zu aller plaisir die allerschönste Gelegenheit." Damals konnten schon hundert Gäste untergebracht werden.

Der Alpinismus breitete sich ab dem 18. Jahrhundert stark aus. Nach der Erstbesteigung der Scesaplana 1610 durch David Pappus, den Vogteiverwalter der Herrschaft Bludenz, bestiegen zahlreiche Alpinisten die Scesaplana, so u.a. Nikolin Sererhard (um 1730/40), denn "da präsentiert sich das schönste Ansehen von der Welt". Gabriel Walser, ein reformierter Pfarrer aus dem Rheintal, bereiste 1754 in Begleitung seiner Tochter die Montafoner Berge. Alpinistinnen waren keine Seltenheit mehr: 1760 bestieg Anna Demel den Pilatus und 1809 Maria Paradis den Montblanc, dessen Erstbesteigung 1787 dem Genfer Gelehrten Horace Bénédict de Saussure gelang. Der Schweizer Johann Georg Heinzmann verfasste 1794 touristische Anweisungen für das Bergsteigen, dessen Regeln sich auch die Frauen unterzuordnen hätten. Er empfahl u.a. "ein Paar starke, grobe und dickbesohlte, mit großen dickköpfigen Nägeln beschlagene" Schuhe, weiters Fußeisen und einen "Alpen-Stock".

Seither sind zahllose begeisterte Schilderungen der Schönheiten der Vorarlberger Landschaft durch Reiseschriftsteller, Dichter und Geografen veröffentlicht worden. In vielen Landesteilen entstanden im 19. Jahrhundert Verschönerungsvereine. 1862 wurde der Österreichische Alpenverein, 1863 der Schweizer Alpenclub und 1869 der Deutsche Alpenverein gegründet. Straßen und Eisenbahnen erschlossen die Wege in die Alpen. Ein Netz von Wanderwegen, gesicherten Bergpfaden und Schutzhütten wurde in den Alpen errichtet. Um die Jahrhundertwende kam die Entdeckung des Schisports hinzu. 1907 wurde auf dem Bödele der erste Schilift in Betrieb genommen. Die erste Seilbahn entstand 1871 in Andelsbuch, 1927 wurde die Pfänderbahn errichtet. Heute ist Vorarlberg das Land mit der größten Seilbahndichte der Welt. Die Aufstieghilfen im Wintersport fassten im Jahr 2000 pro Stunde 363.600 Personen. Insgesamt verdankt der heutige Massentourismus seine Entstehung der Industrialisierung und der verkehrsmäßigen Erschließung, zu der auch die 1884 eröffnete österreichische Dampfschifffahrt auf dem Bodensee gehört. Die bis ins 19. Jahrhundert blühende Lastschifffahrt auf dem Bodensee verwandelte sich innerhalb eines Jahrhunderts in eine ausschließliche Lustschifffahrt im Dienst der Erholung und des Fremdenverkehrs.

Neuerdings wächst die Erkenntnis, dass ein unkontrolliertes Wachstum Umwelt und Natur belastet und die Lebensqualität der einheimischen Bevölkerung beeinträchtigt. Andererseits ist der Fremdenverkehr für die Vorarlberger Wirtschaft unverzichtbar geworden. Es wird daher in Zukunft darum gehen, mit dem Konzept des so genannten "sanften Tourismus" die negativen Auswüchse des Massentourismus zu vermeiden. K.H.B.

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Bild: Die Montafoner Karte von Gabriel Walser aus dem Jahre 1770
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Bild: Zwar stimmt die Zusammensetzung des Plakates nicht mit der Wirklichkeit überein, doch werden die wichtigsten Attraktionen Vorarlbergs – Bodensee, Pfänderbahn und schneebedeckte Alpengipfel – werbewirksam präsentiert
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Bild: Der erste Schilift auf dem Bödele im Jahre 1907
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Bild: Die eigenen Berge als Freizeitgebiet. Vorarlberger Bergwanderer kurz nach 1900
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Bild: Werbung für die Sommerfrische in Vorarlberg mit vielen Orts- und Landschaftsansichten
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