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Fußach 1964

Am Freitag, dem 21. November, war für das neueste Schiff der österreichischen Bodenseeflotte die Taufe auf den Namen 'Karl Renner” geplant. Doch dazu sollte es nicht kommen. Rund 20.000 Demonstranten, so die Schätzung des Bezirksgendarmeriekommandanten, fanden sich beim Werftgelände in Fußach ein, wo die Schiffstaufe stattfinden sollte. Sie überwanden die Absperrungen der Gendarmerie und die Drahtgitter des Festplatzes. Die Busse mit den Ehrengästen wurden mit Pfiffen, Beschimpfungen, Tomaten und faulen Eiern empfangen, auf das Auto des Generaldirektors der ÖBB wurden Steine geworfen. Der Minister für Verkehr, Otto Probst, und seine Gattin kehrten um, da die Gendarmerie ihnen mitteilte, "für ihre Sicherheit nicht garantieren zu können”.
Auf Vorschlag des Redners Ernst Marxgut und unter dem Beifall der Anwesenden wurde das Schiff auf den Namen "Vorarlberg” getauft und mit dem neuen Namen bemalt. Begleitet wurde diese Aktion durch das Singen der Vorarlberger Landeshymne.

Bereits 1955 bestanden Pläne seitens der ÖBB, ein neues großes Bodenseeschiff zu bauen. Wegen Geldmangels begannen die Arbeiten in der Schiffswerft Korneuburg erst im Winter 1963/64. Die Landesregierung und auch die Bezirkshauptmannschaft Bregenz stellten, wie bereits im Jahre 1955, einen Antrag, das Schiff auf den Namen "Vorarlberg” zu taufen. Am 1. Oktober 1964 bestätigte dann ein kurzer Brief des zuständigen Verkehrsministers Otto Probst die im Sommer aufgekommenen Gerüchte, dass der Name des Schiffes nun " Karl Renner” lauten sollte.

Noch im Oktober und auch im November bemühten sich Vorarlberger Politiker von ÖVP und SPÖ um eine Namensänderung. Während sich das "Vorarlberger Volksblatt”, das Organ der ÖVP, zurückhielt, setzten sich die "Vorarlberger Nachrichten” an die Spitze der Protestbewegung. Sie riefen am Tag der Schiffstaufe als "größte Zeitung des Landes ... die Bevölkerung zu einer Demonstration anläßlich des Taufaktes” auf, denn Probst brüskiere mit dieser Taufe ganz Vorarlberg.

Die Ereignisse in Fußach führten zu einer Welle von Reaktionen. Die Kommentare in den Zeitungen schwankten zwischen der "Einführung eines neuen politischen Stils mit deutlich faschistischen Akzenten” ("Arbeiterzeitung') und der Feststellung, dass Vorarlberg "wie ein beherrschtes Land” behandelt werde ("Furche"). Im Nationalrat führte "Fußach” zu heftigen Diskussionen zwischen ÖVP und SPÖ, sodass der Weiterbestand der großen Koalition in Frage gestellt war. Als die "Vorarlberger Nachrichten" in einem Artikel den rechtlich verfolgten Rädelsführern Tipps für die Vernehmungen gaben und Justizminister Broda "Verhörmethoden” vorwarfen, führte dies zur Beschlagnahme der Ausgabe.

Am 3. April 1965 demonstrierten 30.000 bis 40.000 Personen auf dem Kornmarktplatz für den Schiffsnamen "Vorarlberg”. Es sollte aber noch bis zum 30. Juli dauern, bis Minister Probst dem Druck aus Vorarlberg endgültig nachgab. Mittels einer "Ferntaufe” erhielt das Schiff nun auch von offizieller Seite den Namen "Vorarlberg”. Ende September ließ der inzwischen neu gewählte Bundespräsident Franz Jonas alle Anklagen und Verfahren einstellen, die sich im Zuge der Ereignisse in Fußach ergeben hatten. "Fußach” selbst wurde in kurzer Zeit zum Symbol für erfolgreichen Widerstand gegen Zentralismus. Der "Geist von Fußach” wird immer wieder gerne in Reden beschworen. W.M.

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Bild: Die Fußacher Werft am 21. November 1964. Die Demonstranten erzwangen eine `Nottaufe´.
Die Fußacher Werft am 21. November 1964. Die Demonstranten erzwangen eine `Nottaufe´.
Bild: Demonstration auf dem Kornmarktplatz in Bregenz am 3. April 1965
Demonstration auf dem Kornmarktplatz in Bregenz am 3. April 1965