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Martin Purtscher 1928

Martin Purtscher wurde am 12. November 1928 in Thüringen als Sohn einer großen Bauernfamilie geboren. Nach dem Besuch der Volksschule und der Handelsschule in Feldkirch wurde er 1944 als 16-Jähriger zum Stellungsbau nach Italien einberufen. Nach dem Krieg legte er die Matura an der Handelsakademie in Bregenz-Mehrerau ab und absolvierte Ergänzungsprüfungen, um an der staats- und rechtswissenschaftlichen Fakultät in Innsbruck als Werkstudent inskribieren zu können. 1953 promovierte er zum Doktor der Rechte. Seine Berufslaufbahn begann er als Buchhalter, und sie sollte ihn ins Top-Management führen. 1948 begann er bei den Lorünser-Leichtmetallwerken in Schlins, 1953 wurde er zum Geschäftsführer bestellt. 1965 wechselte er zur Suchard-Schokoladen-GmbH in Bludenz und wurde ein Jahr später deren Geschäftsführer. Er führte das Unternehmen vom dritten Platz im österreichischen Süßwarenmarkt an die Marktspitze, was durch Firmenzukäufe – wie Mirabell-Grödig 1975 und Bensdorp-Tulln 1985 – unterstrichen wurde. 1984 wurde er zum Leiter der Jacobs-Suchard-Gruppe bestellt, die unter seiner Führung 1.100 Beschäftigte und ein Umsatzvolumen von 3,2 Mrd. Schilling hatte.

Neben seinem Beruf engagierte sich Purtscher in der Kommunal- und Landespolitik. 1955 wurde er in die Gemeindevertretung von Thüringen, 1964 als Abgeordneter in den Vorarlberger Landtag gewählt; 1974 folgte er Dr. Karl Tizian als Landtagspräsident nach. Während seiner Präsidentschaft wurden wegweisende Beschlüsse gefasst; die Vorarlberger Landesverfassung wurde umfassend reformiert, eine neue Geschäftsordnung für den Landtag erstellt und der Beschluss gefasst, eine Volksabstimmung zum 10-Punkte-Föderalismusprogramm abzuhalten. Auf Wunsch seines Vorgängers Keßler übernahm Purtscher am 9. Juli 1987 das Amt des Landeshauptmanns. Schon bald galt er österreichweit als einer der Motoren der europäischen Integration, auf die er unbeirrt hinarbeitete. Am 12. Juni 1994 stimmten auch zwei Drittel der Vorarlberger für den EU-Beitritt. Immer wieder betonte Purtscher die Notwendigkeit einer europäischen Friedens- und Wertegemeinschaft. Gleichzeitig setzte er sich international für die Idee eines "Europa der Regionen" ein, für eine Dezentralisierung der EU gemäß dem Subsidiaritätsprinzip.

Dem Föderalismus verpflichtet, war Purtscher 1990 bis 1994 auch maßgeblich an der Vorbereitung einer Bundesstaatsreform beteiligt, die zunächst jedoch an geänderten Mehrheitsverhältnissen im Nationalrat scheitern sollte.

Nach ebenfalls sehr zähen Verhandlungen und Rechtsstreitigkeiten gelang es, die Gründerrechte des Landes an den Vorarlberger Illwerken zu sichern und die Aktienmehrheit des Bundes vorzeitig zurückzukaufen, getreu dem Gründungsauftrag des Landtages von 1920: "Dem Lande die Führung! Dem Lande den Nutzen!" Die Vertragsunterzeichnung am 9. November 1995 in Wien wurde von den Vorarlberger Medien als "historisches Ereignis", als "Sternstunde für Vorarlberg" gewertet. Mit dem Ziel, die Kräfte der Vorarlberger Energiewirtschaft zu bündeln, übernahm Purtscher gleichzeitig auch den Vorsitz im Aufsichtsrat sowohl der Vorarlberger Illwerke als auch der Vorarlberger Kraftwerke.

Purtscher sieht die Politik "als positiven, geistig-kämpferischen Wettbewerb, in dem der politische Gegner nicht als Feind betrachtet wird, weil er Toleranz, Konsens- und Kompromissbereitschaft zu den wichtigsten politischen Tugenden neben sozialer Gerechtigkeit, Verlässlichkeit und Sparsamkeit zählt". Für Purtscher, so sein Credo in seiner Antrittsrede als Landeshauptmann, ist Politik ein "stetes Suchen, Hoffen, Werten, Finden, Verbessern, Lernen, eine ewige Unruhe und eine ewige Unvollkommenheit"; deshalb erscheint ihm die Gestaltung der sozialen Umwelt mit dem Ziel des Friedens, der Gewaltlosigkeit, des allgemeinen Wohlstandes, der Minderung von Armut und der Bewältigung der Umweltprobleme nicht als ein Traum. Mit der Einführung von Familienzuschüssen, Pflegezuschüssen und einer leistungsorientierten Spitalsfinanzierung, mit der Bildung eines Verkehrsverbundes sowie dem Aufbau der ersten Fachhochschule wurden Wege eingeschlagen, denen wenig später andere Länder bzw. der Bund folgten.

Auch das "Vorarlberger Wirtschaftskonzept" – "die Vision einer konkurrenzfähigen Wirtschaft in einer lebenswerten Umwelt, ökosoziale Marktwirtschaft als Antwort auf die Herausforderungen der 1990er Jahre" – hatte schon, bevor sie von ÖVP-Vizekanzler Dipl.-Ing. Josef Riegler propagiert wurde, Eingang in Purtschers Regierungsarbeit gefunden. Ende der 1980er Jahre wurde aus dem Aktienfonds der Vorarlberger Kraftwerke AG das "Technikum Vorarlberg" finanziert. Alle diese Maßnahmen sollen dem "Vorarlberger Arbeitnehmer", dem "Standort Vorarlberg" und der Umwelt zugute kommen.

Entgegen dem nicht nur in Österreich, sondern auch allgemein vorherrschenden Trend konnte die ÖVP in Vorarlberg bei den Landtagswahlen 1989 und 1994 ihre absolute Mehrheit verteidigen. Nach den Wahlen 1994 designierte Purtscher seinen Statthalter Dr. Herbert Sausgruber, der bereits 1987 die Führung der Vorarlberger ÖVP übernommen hatte, als Nachfolger. Am 2. April 1997 zog sich Purtscher aus der Landespolitik zurück.

Anschließend wurde er vom Wirtschaftsminister als österreichischer Generalkommissar für die EXPO 2000 in Hannover bestellt. Ehrenamtlich war Purtscher für den Aufbau und die Gestaltung der Präsentation Österreichs als Kunst- und Kulturland tätig. Trotz der "Sanktionen" besuchte am 13. Juni 2000 der Europaminister von Brandenburg, Kurt Schelter, die österreichische Präsentation: mit Sicherheit ein Verdienst von Martin Purtscher, dem in der EU geachteten Altlandeshauptmann von Vorarlberg.

Am 26. November 2003 verlieh ihm Bildungsministerin Elisabeth Gehrer das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse für seine Verdienste um den Ausbau des Universitätswesens in Innsbruck, die Gründung des Fachhochschulwesens in seinem Heimatbundesland Vorarlberg und die Einrichtung der berufsbegleitenden Studienprogramme im Zentrum für Weiterbildung in Schloss Hofen. Am 23. Juni 2003 wurde er Ehrensenator der Vorarlberger "Landes-"Universität Innsbruck. Dem Altlandeshauptmann ist es zu verdanken, dass trotz der erfolgreichen Bildungsoffensive im eigenen Land die Universität in Innsbruck ein wichtiger Partner blieb. Dazu gehört auch die Einrichtung und nachhaltige Förderung des universitären Forschungsinstituts für Prophylaxe der Suchtkrankheiten in Frastanz.

Purtscher ist seit 1954 mit Gretl geb. Hübner verheiratet und Vater dreier Töchter. Kl.


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Bild: Martin Purtscher
Martin Purtscher