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Stuben, zeitgemäß und doch gemütlich

Bauen in den Alpen: Ein neues Ensemble dreier Appartmenthäuser in Stuben zeigt, wie das geht.
Bauen in den Alpen: Ein neues Ensemble dreier Appartmenthäuser in Stuben zeigt, wie das geht. ©Hanno Mackowitz
Stuben - Irgendwo zwischen Zimbapark und McDonald’s an einem der vier Highway-Knoten rund um Bludenz: Urlaubshungrige Städter(innen) stecken im Stau. Angespannt lugen sie aus ihren Sports-Utility-Vehikeln, den Blick unverwandt nach vorn in Richtung Berg gerichtet. Erst oben werden sie wieder Augen haben für die Landschaft.
Arlberg Lodges in Stuben

Die Baulust Johann Lassnigs wurde in Kanada geweckt: Beim Heli-Skiing hat er die Gemütlichkeit der dortigen Lodges entdeckt, die Natur- und Wohnerlebnis besonders stimmungsvoll zusammenbrachten. Dementsprechende Apartments sollten künftig sein bestehendes Hotel Garni erweitern – „Arlberg Lodges“ auf einem Grund in prominenter Lage mitten in dem kleinen Ort. Anfangs hat er überlegt, dem „Seinerzeit“- Klischee zu frönen und der (vermeintlichen) Erwartungshaltung seiner Gäste die passende Kulisse vorzublenden. Aber weil auch am Fuß des Arlbergs die Zeit nicht rückwärts, sondern in die Zukunft läuft, wurde  allzu Uriges bald verworfen und gemeinsam mit den drei Architekten etwas Neues überlegt. „Bauernhäuser stehen ja im ganzen Tal“, erkannte der junge Hotelier und ließ damit der alten Zeit ihre Architektur und der Architektur ihre Freiheit.

„Hansi war eigentlich das vierte Büromitglied“, schwärmt der Architekt Marcus Ender von der engen Zusammenarbeit mit seinem Bauherrn. In beinah wöchentlichen Sitzungen wurde gemeinsam getüftelt und erfunden, wie denn dieses „Neue“ werden sollte, von der ersten Grobidee bis zum perfekten Griff am Kleiderschrank. Im vergangenen Jahr wurde dann in nur siebenMonaten gebaut. Denn so modern die Zeiten sind, die Sommer sind noch immer kurz in dieser Höhe und das Bauen will gut geplant und zeitgerecht vollendet sein. Spätestens wenn es horizontal schneit, bei -15 Grad muss die Hütte dicht sein, warm und heimelig. Genauso wie eben „seinerzeit“, als der Arlberg noch gar kein Loch hatte und die Leute mitsamt ein, zwei Pferdestärken eine letzte Wärme-Stube (ja, daher kommt der Name) vor der anstrengenden Überquerung des Passes schätzten.

Ein Ensemble mit Identität

Drei kleine Häuschen in Massivbauweise sind es nun geworden mit einem Fassadenschirm aus Weißtanne. Auf der Giebelseite Richtung Tal lichten sich die vertikalen Latten zum transparenten Paravent, der die Balkone der drei Etagen als halböffentliches „Loggienhaus“ räumlich attraktiv zusammenfasst. Die Objekte wurden geschickt gegeneinander abgedreht in den Hang gesetzt, sodass acht Wohnungen möglich wurden, die ein hohes Maß an Intimität wahren und zugleich unterschiedliche Raum- und Sichtbezüge in die Landschaft bieten. Andererseits ist ein zusammenhängendes Ensemble entstanden, das sich bei bemerkenswert hoher Nutzungsdichte (und damit wirtschaftlicher Rentabilität) sensibel in die Geometrie der Nachbarhäuser fügt. Sensibilität für das Bestehende hat in einem Dorf wie Stuben nichts mit Unterordnung oder einer antiquierte  Geste der Demut zu tun, sondern bedeutet den richtigen Umgang mit der instabilen Identität eines solchen Ortes. Instabil, weil das Bedürfnis der Einheimischen nach „Identisch“-Sein mit ihrem Ort und die entsprechenden Erwartungen der Gäste mitunter in Konflikt stehen.  Die „Arlberg Lodges“ zeigen, dass gute Architektur diese beiden Ansprüche als authentische kulturelle Schnittmenge unter ein Dach bringen kann.

Dabei geht es allerdings bei Weitem nicht nur um die Wahrung eines „passenden Bildes“. Dass fast ausschließlich Holz und Handwerksbetriebe aus dem Klostertal zum Einsatz kamen, ist genauso bedeutsam oder dass noch in Details subtile Beziehungen zum Typischen der Region gefunden werden können. Ein Beispiel: Auch wenn der Besucher nicht weiß, dass die schöne Theresienkirche in Langen vom Holzmeister-Mitarbeiter Hans Feßler stammt und ein Juwel alpiner Architektur der späten 20er-Jahre ist, wird er den einprägsam rauen Rieselputz von dort beim Eingang seines Ferienapartments wiedererkennen. Oder: Wenn die Besucherin wohlig aus dem Wellnessbereich in die verschneiten Berge blickt, werden sie die kräftigen Stahlprofile der Sichtschutzblende vor dem Saunafenster an die Lawinenverbauungen in den Hängen erinnern. Wiedererkennen und Erinnern – nichts anderes ist Identität, und das ist erholsam und entspannend für Einheimische wie Gäste.

Atmosphäre liegt im Detail

Auch in der Farbgestaltung ist das Talent des Architektenteams für diese Art räumlichen Erzählens auszumachen. Sie variiert von einem Haus zum andern. So wirkt beispielsweise das Filzkleid in den Stiegenhäusern nicht nur akustisch Wunder, sondern gibt jedem Haus auch seine eigene, „persönliche“ Erscheinung: einmal grün wie Tannenwald, einmal weinrot sinnlich, einmal festlich violett.

Während die Anreisenden im Tal ungeduldig die noch verbleibenden Kilometer am Navi zählen, macht Frau Vroni einen letzten Check in Wohnung 3.3, die in Windeseile aufgeräumt, geputzt und für die neuen Gäste fein gemacht wurde. Es ist Urlauberschichtwechsel und die Apartments sind begehrt. Diese Wohnung hier im obersten Stock des „grünen“ Hauses ist Frau Vronis persönlicher Favorit. Sie wischt sicherheitshalber noch einmal über den handgemachten Tisch aus massiver Eiche, rückt die eigens angefertigte Lederpolsterung auf der Sitzbank neu zurecht. Da klopft es an der Tür: ein Gästepärchen aus dem Nachbarhaus, dem „violetten“. Neugierig schieben sie ihre Köpfe in den hellen Dachraum: „Vroni, dürfen wir diese Wohnung auch mal ansehen?“ Vorsichtig tapsen sie in den Wohnbereich, vergewissern sich der behaglichen Lehmputzwand hinter dem Sofa und prüfen mit kennerhaftem Blick, ob auch hier ein Kuhfell auf dem Boden liegt. Der Mann eilt nach hinten ins Schlafzimmer, ob von dort nur ja die Flexengalerie zu sehen ist. „Sie haben recht, Frau Vroni“, hört man ihn rufen, „die Bleibe hier ist auch nicht schlecht. Aber wir wollen wieder violett im nächsten Jahr! Nicht wahr, Schatz?“

Daten und Fakten

Objekt:                                     Arlberg Lodges ****

Standort:                                   Stuben

Planung, Projekt-                  Atelier Ender | Architektur
koordination und                  DI Marcus Ender,
Örtliche Bauaufsicht            DI Ursula Ender
                                                        Im Daneu 20, 6714 Nüziders
                                                        office@atelierender.at
                                                         www.atelierender.at

Nutzfläche:                                850 m2
Bauvolumen:                            2300 m3
Ausführung:                              Mai 2011 bis Dezember 2011

Projektdaten

Lehmputzarbeiten:                Preite Verputz, Bürs
Zimmererarbeiten:                Neyer Holzbau, Bludenz
Tischlerarbeiten

Wellnessbereich:                   Tischlerei Leu, Dalaas

Tischlerarbeiten:                    Tischlerei Dünser, Wald am Arlberg
Wohnungen

Fenster:                                     Tischlerei Tiefenthaler, Ludesch

Möblierung:                            
Reiter Wohn & Objekteinrichtung, Rankweil


(Leben & Wohnen/ Tobias Hagleitner)

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
v-a-i.at

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