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Sexualpädagogin: „Vorarlberg ist nicht so prüde, wie man denkt“

Bettina Schwung (39) bringt neuen Schwung ins Liebesleben.
Bettina Schwung (39) bringt neuen Schwung ins Liebesleben. ©Sams
Sexualpädagogin Bettina Schwung (39) im W&W-Talk über Liebe und die sexuellen Probleme der Vorarlberger.

Von Lisa Purin/Wann&Wo

WANN & WO: Wie sieht dein ganz normaler Alltag aus?

Bettina Schwung: Mein Alltag besteht aus mehrere Dingen. Ich bin Jugendarbeiterin in Liechtenstein, Sexualpädagogin im „Klipp & Klar“-Team und selbstständige Sexualberaterin sowie Mama, Hausfrau und Partnerin.

WANN & WO: Welche Angebote gibt es in deiner Praxis „Liebes Leben“?

Bettina Schwung: Ich biete Beratungsgespräche mit Einzelpersonen oder Paaren rund ums Thema Sexualität an. Aber auch Spielzeugabende (Love Toys), kleinere Workshops, Vorträge und Seminare finden hier statt.

WANN & WO: Wie bist du darauf gekommen?

Bettina Schwung: Ich arbeite seit 16 Jahren als Jugendarbeiterin – das war immer schon mein Traumjob. Vor allem dort habe ich gemerkt, dass Sexualität für Jugendliche eine großes Thema ist und es wenig Ansprechpartner dafür gibt. Es ist wichtig, dass man darüber sprechen lernt. Das ist nicht jedermanns Sache. Auch bei Erwachsenen habe ich festgestellt, dass viele einige Lernschritte im Bezug auf Sexualität nicht gemacht haben und deshalb ihre individuellen Probleme damit haben. Es gibt leider nur sehr wenig Lernräume dafür. Deshalb habe ich die Ausbildung zur Sexualberaterin und Pädagogin gemacht.

WANN & WO: Kommen in deine Praxis mehr Frauen oder Männer?

Bettina Schwung: Es sind mehr Frauen, und solche, die ihre Männer ermutigen mitzukommen. Aber es werden auch zunehmend mehr Männer. Wenn der Leidensdruck groß genug ist, dann gehen die Menschen zur Sexualberatung – egal ob Männlein oder Weiblein. Aber es sind natürlich auch Menschen willkommen, die neugierig sind oder einfach auf der Suche nach frischem Wind in ihrer Sexualität sind.

WANN & WO: Du bietest in deiner Praxis auch Sinnes- und Körperübungen an. Was darf man sich darunter vorstellen?

Bettina Schwung: Erst einmal vorweg – die Kleidung lassen wir an (lacht)! Bei Körperübungen handelt es sich oft um Hausaufgaben, die man bei mir bekommt. Es geht darum, sich selbst zu berühren, zu erforschen, mit dem Partner etwas auszuprobieren oder Atemübungen, um sich mit sich selber zu verbinden. Sinnesübungen sind dazu da, um seine Sinne zu schulen. Mag ich das, was ich rieche, fühle, höre oder sehe? Eine Aufgabe könnte sein, seinen Partner mit einem Sinnes-Dinner zu verwöhnen oder einer Massage mit dem Motto „alles kann, nichts muss“ – einfach spüren und genießen.

Sams
Sams ©Sams

WANN & WO: Was beschäftigt die meisten Vorarlberger?

Bettina Schwung: Lustlosigkeit ist etwas, mit dem ganz viele zu mir kommen. Frauen sowie Männer. Ich denke, das hat mit unserer Zeit zu tun. Alles muss immer höher, schneller und weiter gehen – es entsteht Leistungsdruck. Stress spielt auch eine große Rolle. Ich habe selbst die Erfahrung gemacht. Aber nur, weil ich lustlos bin, muss ich nicht mein Leben lang lustlos bleiben. Es kommen auch Paare zu mir mit ganz unterschiedlichen Themen, von Erektion bis Orgasmus-Problemen und auf der Suche nach neuem Schwung fürs Liebesleben. Einer meiner Tipps: Druck raus, Spaß rein! Auch wenn ich einmal keine Lust habe, ist das okay.

WANN & WO: Wieso haben viele Frauen ein Orgasmus-Problem?

Bettina Schwung: Es ist das Wort an sich: Orgas„muss“, das ist meiner Meinung nach unglücklich gewählt. Ich finde Orgas„kann“ viel passender! Umso mehr Druck man raus nimmt, umso eher klappt es auch. Viele Frauen haben da leider schon aufgegeben aber man kann daran arbeiten. Da ist vieles möglich und vieles ist lernbar.

WANN & WO: Was hältst du von Sex-Statistiken?

Bettina Schwung: Mich nervt das immer sehr. Wie oft sollte man Sex haben? Einmal die Woche ist meist die Untergrenze – alles andere wird als „nicht normal“ angesehen. So, und jetzt bekommen ganz viele Leute Stress. Der Gedanke „ich genüge schon wieder nicht“ kommt andauernd hoch. Es wird uns immer vorgegeben, wie wir auszusehen haben, wie oft wir Sex haben sollten und wie das Ganze abzulaufen hat, um ein erfülltes Sexleben zu haben. Das ist Blödsinn, es ist wichtig, dass jeder seine eigene Sexualität findet. Wir werden leider in unserer frühen Entwicklung oft nicht unterstützt. Wenn wir das aber genauso fördern würden, wie etwa das Laufen lernen, wären wir schon einen großen Schritt weiter. Doktorspiele unter gleichaltrigen Kindern sind ein großes Tabu und in der Sexualität bekommen wir oft schon in jungen Jahren einen Dämpfer. Dann wird uns gesagt, Selbstbefriedigung wäre ekelhaft und nicht okay, dabei ist gerade die Erforschung des eigenen Körpers wichtig.

WANN & WO: Werden wir immer mehr „beziehungsunfähig“?

Bettina Schwung: Früher hatten wir andere Vorbilder. Aber nur, weil die Jugendlichen jetzt andere Beziehungsformen wählen, heißt das nicht, dass es falsch ist. Warum muss das Ding denn unbedingt „Beziehung“ heißen? Die größte Sehnsucht, welche die meisten haben, ist immer noch eine gelingende Zweierbeziehung und das bedeutet auch, dass man daran arbeiten muss. Ich muss was dafür tun, das passiert nicht einfach so?

Sams
Sams ©Sams

WANN & WO: Wie gehst du zuhause mit deinen Kindern und dem Thema um?

Bettina Schwung: Ich habe eine 17-jährige Tochter sowie einen achtjährigen Sohn und habe immer viel Wert darauf gelegt, das Geschlechtsteil beim Namen zu nennen – natürlich dem Alter angepasst. Man bringt Kindern oft nicht bei, dass das der „Penis“ oder die „Vulva“ ist. So wie man lernt, dass das der Arm ist, sollten Kinder auch wissen, wie ihr Geschlechtsteil heißt. Meine Kinder wussten ganz früh Bescheid. Dem Alter entsprechend hat es bei uns immer Aufklärung und Wissensvermittlung gegeben. Wir haben uns Bücher angeschaut und darüber geredet – sodass es so natürlich wie möglich wird. Solche altersgerechten Lernschritte sind wichtig und hören nicht auf bis ins hohe Alter. Weil wir uns ständig verändern und entwickeln.

WANN & WO: Wie hast du als Jugendliche Aufklärung erlebt?

Bettina Schwung: Ich war immer schon ein neugieriges Kind, das sich mit Gleichaltrigen ausprobiert hat. Ich habe immer dafür gesorgt, dass ich irgendwie zu meinen Infos gekommen bin. Aber das super aufgeklärte Kind war ich nicht. In meiner Generation wurde man entweder gar nicht aufgeklärt oder es war ein sehr peinlicher Aufklärungs-Versuch. Ganz genau erinnern kann ich mich noch an das Aufklärungs-Gespräch mit meiner Mutter bei einer längeren Autofahrt. Das war schlimm für mich, denn ich konnte nicht aus dem Auto raus (lacht).

WANN & WO: Wie vereinbarst du zwei Jobs mit Kindern und Freund?

Bettina Schwung: Das geht immer irgendwie unter einen Hut, obwohl mein Terminkalender vollgepackt ist. Meine Familie steht voll hinter mir. Aber wenn ich einmal frei habe, versuche ich viel Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen. Gerne bin ich auch alleine mit unserem Hund in der Natur unterwegs.

WANN & WO: Sind die Vorarlberger so prüde, wie man sagt?

Bettina Schwung: Oh nein! Die Menschen hier sind nicht prüder oder verklemmter. Bevor ich mich selbstständig gemacht habe, dachte ich darüber nach, ob überhaupt jemand kommen würde. Ob sich jemand über dieses Thema und die Türschwelle der Praxis trauen würde. Auch wenn es am Anfang nicht immer so einfach ist, über die eigene Sexualität zu sprechen, fällt es vielen in der Praxis an einem sicheren Ort nicht all zu schwer.

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