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Schöner schnetzeln: Tera Online

Schöner Schnetzeln: Games-Redakteur Alf Waibel hat "Tera Online" getestet.
Schöner Schnetzeln: Games-Redakteur Alf Waibel hat "Tera Online" getestet.
Die Luft ist dünn, ganz oben. Eine leidvolle Erfahrung, die schon viele Spielentwickler mit dem Launch eines MMOs machen mussten, während der Platzhirsch WoW unbeeindruckt seine Runden zieht. Nun schicken die Asiaten einen Kompetitor ins Rennen, der nicht nur mit der schönsten Optik glänzt, sondern sich auch mit der modernsten Gamemechanik der Onlinerollenspiele aus der Masse der an dieser Aufgabe Gescheiterten herausheben will.
Spiele-News: Tera Online

Vor jedem Schritt in einem MMO steht die Charaktererstellung. Und hier trumpft Tera Online dank Unreal Engine 3 das erste Mal so richtig auf: Das sind mit Abstand die schönsten Charaktere, die man sich basteln kann, wenngleich ein paar mehr Individualisierungsmöglichkeiten nicht geschadet hätten. Körpergröße? Körpermasse? Individuelle Kopf/Frisur-Entscheidungsfreiheit? Fehlanzeige. Aber das Endergebnis, zusammengestellt aus Templates, überzeugt, wenngleich der durchaus ästhetische androgyne Look mancher Rassen wie z.B. bei den männlichen Hochelfen nicht über die asiatischen Wurzeln des Titels hinwegtäuschen kann. Auch die Schulmädchenrasse Elin und die knuffligen Popori sind nicht gerade das, was man sich hierzulande unter cool vorstellt. Spieler, die sich gerne weibliche Charaktere erstellen, deren Herz wird höher schlagen: Ob elegant-traumhaft schöne Hochelfe oder sexy Luder Castanic – hier wird jeder fündig.

Landschaft zum Staunen

Die ersten Schritte im Spiel, das nächste Staunen: Die Landschaft gehört mit zum Schönsten, was ich jemals in einem MMO gesehen habe, wenngleich auch hier durch Tricks wie Schlauchlevel und 2D-Hintergründe getrickst wurde. Dafür läuft das Geschehen flüssig. So flüssig wie die Animationen der Charaktere, die mit einer unglaublichen Liebe zum Detail designt wurden und in ihrer gesamten Ästhetik gar nicht zu beschreiben sind. Auch und besonders in den flotten Kämpfen, in der die Engine nicht nur in Bezug auf die Charakter- und Gegneranimationen ein wahres Feuerwerk abbrennt.

Womit wir bei einem der wirklichen Schmuckstücke von Tera sind: Dem dynamischen Kampfsystem, das man am besten mit einem Gamecontroller zockt. Hier eröffnet sich eine Spielerfahrung, die fast einem Beat em Up-Game gleicht. Im Gegensatz zur guten alten MMO-Zeit, in der man einen Gegner fix “einlockt” und dann mit Attacken bearbeitet, bis seine oder die eigenen Lebenspunkte bei Null sind, schlägt hier nur warme Luft, wer seinen Opponenten bei der entscheidenden Phase der Attacke nicht genau im Ziel hat. Vor demselben Problem stehen aber auch die Gegner: Besonders harte Attacken derselben kündigen sich stets durch auch durchwegs sehr dezente Zeichen an. Wer hier seine Attacken mit physischen oder durch Fähigkeiten beeinflusste Ausweichmanöver zeitlich geschickt abstimmt, braucht keinen Heiler an seiner Seite. Lancer, die Tank-Klasse des Spiels können z.B. im entscheidenden Moment der Gegnerattacke den Schild zum Blocken hochnehmen und somit den Angriff des Gegners im Nichts verpuffen lassen. Wer dazu im Moment kurz vor einer besonders harten Attacke eines Gegners, wie zum Beispiel dem Ansturm eines Monsters, elegant zur Seite hechtet, lässt das Vieh ins Leere laufen, was in unfreiwillig komischen Stolpermanövern des Gegners endet. Ein so am Boden liegender Gegner lässt sich einige Sekunden lang ohne Gegenwehr bearbeiten, bis er sich wieder mühsam vom Boden hochrappelt. Sensationell!

Spaß und Abwechslung

Aber nicht nur die Schaden verursachenden Klassen erleben eine Renaissance ihrer Kampfmechaniken – so spielen sich Magier und auch Bogenschützen wie in einem Third-Person-Shooter, Nahkämpfer wie in einem Beat em Up wie Tekken: Gerade die heilenden Klassen müssen besonders umdenken. Im Kampfgetümmel den Mitstreiter zu finden, der gerade die Heilung am dringendsten benötigt, ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die immer wieder motiviert. Denn auch die heilende Fraktion hat zu zielen – entweder mit direkten Heals auf einzelne Mitstreiter oder einem Flächenheal, der einfach auf den Boden gezaubert wird. Spielerfiguren, die sich in der nur wenige Sekunden dauernden Wirkungsphase innerhalb dieses Kreises befinden werden geheilt. Wer da raus läuft, hat Pech gehabt.

Die Vielzahl der Landschaften ist berauschend: Von lieblichen Anfangsgebieten geht’s in Wälder, die nicht nur von den Gegnern her, sondern auch von der Ingame-Musik an Zelda erinnern bis hin zu Wüsten, verträumten Dörfern und der imposanten Hauptstadt in mittelalterlich prächtigem Flair ist alles dabei. Die Welt von Tera zu entdecken macht Spaß und bringt Abwechslung.

Questmäßig wird leider nur Einheitskost geboten. Zwar wird eine in auch immer wiederkehrenden, beeindruckenden Ingamevideos voll vertont erzählte Storyline geboten – aber darüber hinaus geht’s wie auch in WoW nur darum, eine Anzahl bestimmter Gegner umzuhauen oder ihnen Gegenstände abzuknöpfen. Die Bedienung und Questführung ist aber über alle Maßen komfortabel. Wer Arbeit sucht, welche insbesondere ab Level 30 in die Fließbandbeseitigung von Gegnermassen ausarten kann, wird welche finden.

Das Crafting ist keine Offenbarung, aber spannender gelöst als in WoW. Allerdings ist es sehr teuer und nicht besonders motivierend. Hier muss in Zukunft wahrscheinlich Arenanet mit Guild Wars 2 der Konkurrenz zeigen, wie so etwas geht.

Mit Level 20 haben wohl die meisten Spieler die ungewohnte neue, aber spaßige Spielmechanik verinnerlicht, dann eröffnet sich ein neuer Bereich des Spiels: Zum einen können ab diesem Level die Charaktere mit Glyphen in Bezug auf die Fähigkeiten individualisiert werden. Zwar kann man hier aus einem Priester keinen Nahkämpfer machen, aber die Möglichkeiten sind sehr spannend. Es gibt nicht “die eine” perfekte Skillung, Experimentieren ist angesagt und motiviert. Dazu können ab Level 20 die ersten Instanzen über ein bequemes Dungeonbrowsersystem betreten werden. Während der erste Dungeon mit Mitstreitern noch als Einführung gilt – auch hier nimmt Tera den Spieler gut bei der Hand – zieht der Schwierigkeitsgrad später ordentlich an. Dabei und im weiteren Questverlauf in der freien Welt von Tera trifft der Spieler mehr und mehr auf die sogenannten BAMs – die Big Ass Monsters – haushohe Bestien, die einem schon optisch Respekt abverlangen. Kämpfe gegen solche Viecher sind beeindruckend: Wenn so ein Viech brüllt oder aufstampft, dann bebt schon mal die virtuelle Kamera – Kämpfe gegen so ein BAM können Minuten dauern. Minuten in denen der Spieler wissen sollte, was er wann wie macht, sonst artet das ganze in Stress aus. Bestandene Fights gegen solche Viecher motivieren ungemein und sind eine nachhallende Erfahrung – beeindruckender jedenfalls, als im Sekundentakt quiekende Erdferkel zu farmen. 

Fazit zu “Terra Online”:

Ob als Überbrückung bis Guild Wars 2 oder zum Antesten einer ganz neuen Spielerfahrung in Sachen MMO – Tera Online hat seine Qualitäten. Grafisch ein echter Hingucker, wobei es relativ schonend mit Systemressourcen umgeht, spielerisch durch das Echtzeitkampfsystem sehr spaßig und motivierend. Dazu kommen eine riesige, abwechslungsreiche Welt mit immer neuen Gegnerarten, ein einigermaßen spannendes Craftingsystem und zahlreiche Möglichkeiten, seinen Spielecharakter zu individualisieren – ob optisch mit Färbemöglichkeiten und Umgestaltungsmöglichkeiten der Ausrüstung oder technisch durch das Glyphensystem und Sockel in der Ausrüstung. Tera bietet vieles, was sich viele MMOler seit Jahren wünschen, doch lässt es seine Herkunft als Asia-Grinder besonders in den späteren Leveln nicht verleugnen. Dazu sind Quests größtenteils Genrestandard – was aber kein Nachteil sein muss.

Tera nimmt auch Anfänger an die Hand und führt sie exzellent ins Game ein. Das Spiel ist toll synchronisiert, viele NPCs sind voll vertont, die Kampfgeräusche sind gewöhnungsbedürftig asiatisch, aber ok, die Musik ist sehr stimmig. Wenn der Endcontent was bietet, dürften einige Spieler Tera länger treu bleiben als dem letztendlich spielerisch etwas enttäuschenden Star Wars The Old Republic. Mein persönliches Fazit: Ein echter MMO-Geheimtip für den Sommer – zumindest bis zum Release von Guild Wars 2.

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