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Schöne neue Stadt

Neue Stadt – Fußgänger und Konsument werden allseits bedient.
Neue Stadt – Fußgänger und Konsument werden allseits bedient. ©Darko Todorovic
Die Verstädterung – vornehm: Urbanisierung – unserer Kultur wird meist erzählt wie ein Naturgesetz: zwangsläufig und unumkehrbar nehmen die Dinge ihren Lauf.
Schöner Wohnen aus Dornbirn

Und wie in der Naturwissenschaft gibt es auch hier bildgebende Verfahren, die Stationen dieses Vorgangs sichtbar machen – so in Dornbirn, Ecke Schul-/ Jahngasse. Dort hatte sich ein Verein, selbst ein Kind der städtischen Expansion Ende des 19 Jh. und Kernzelle christlich-sozialer Landespolitik, ein Bürger- Casino errichtet. Manch älterer Dornbirner wird sich erinnern: Bis zum Brand im Jahr 1979 stand dort seit 1907 ein Haus mit Satteldach, Fenstern und Türe. Darauf folgte ein Gebäude, das mit Abstufungen der Gebäudemasse zwischen der Bebauung des gesamten Blocks und dem Maßstab der Straße zu vermitteln suchte – Reste davon haben sich erhalten.

Drei Jahrzehnte reichen, und es ergibt sich erneut ein anderes Bild. Der Raum wird von „buildings“ (Build-Dings) besetzt: Objekte, die ganz für sich resp. ihren Bauherrn stehen, auf sich bezogen, abweisend – mitunter kommt einem vor, als habe eine riesige Welle des Atlantiks einen Bunker vom Westwall angelandet. Unter solchen stolzen Unikaten, ob Großmarkt, Hochhaus, Turnhalle (aus der Gründerzeit des Hauses) zieht neuerdings ein Schwarzer Würfel die Aufmerksamkeit auf sich.

Der ist das neue Vereinshaus und das verdankt sich zweierlei: zum einen war eine General- und energetische Sanierung des Gebäudes aus dem Jahr 1979 dringend geboten; zum anderen haben sich die Zwecke des Vereinshaus, vor allem im Bildungsbereich, überholt. Noch betreibt der Verein das Haus, erläutert Vorstandsmitglied Johannes Hengl, doch heute geht es um Vermögenserhalt unter Berücksichtigung sozialer Aspekte. Man nahm den tiefen Einschnitt zum Anlass, das Haus von Grund auf neu zu denken. Nun beherbergt es zur Straße Gastronomie und Laden, im Obergeschoß Büros und Praxen und in den beiden folgenden Geschoßen 14 Mietwohnungen.

„Nach mehreren Anläufen fanden wir in Architekt Philipp Berktold mit Christoph Kalb Partner, die unsere Anliegen verstanden und zu unserer Zufriedenheit umsetzen konnten“, erinnert sich Johannes Hengl.

Bis auf Untergeschoße, Stahlbetonskelett und Erschließungskern wurde das Gebäude komplett ausgeräumt. Die am weitest reichenden Decken des vormals gestuften Gebäudes definieren nun die neue Ausdehnung – eine vom ersten Stock bis zur Attika durchgehenden vorgehängten Fassade aus Holzelementen mit hinterlüfteter Verkleidung aus Schieferschindeln markiert die exakte Abmessung des Würfels. Die so zusätzlich notwendig gewordenen Decken sind Brettstapeldecken – im obersten Geschoß immerhin 80 Prozent – die auf Holzbalken zwischen neue Stahlstützen in Verlängerung des Betonskeletts aufliegen. Eine komplizierte Anpassung neuen Holzbaus an die bestehende Betonstruktur, bei der kein Geschoß dem anderen gleicht.

Der Würfel ist mit einem fast ornamentalen Muster überzogen: unregelmäßig, jedoch ausgewogen und gruppiert, verteilen sich die Fenster. Es sind lediglich zwei Typen, schmale hochformatige Flügel, bündig mit der Schieferfassade und große Panoramafenster, zurückgesetzt mit außen bündig angeordnetem außenliegenden Sonnenschutz. Alle Fenster der Wohngeschoße reichen von einer Linie des Türsturzes bis zum Fußboden. Im höheren Bürogeschoß bleibt eine Brüstung auf Schreibtischhöhe. Die unterschiedlichen Öffnungsarten thematisieren, so der Architekt, Unterschiede im Verhältnis von privat und öffentlich.

Die Obergeschoße sind auf gehobenem Standard ausgestattet, Fußbodenheizung, Eichenparkett, sorgfältige Wandbekleidung in Gipskarton, kontrollierte Be- und Entlüftung ergeben eine Energiezahl von 10 kWh/m2a.

Das Erdgeschoß ist straßenseitig umlaufend und raumhoch verglast – Straßenraum und Innenraum ergänzen sich. Das wird unterstrichen durch ein großzügiges Vordach, das den Flaneur bedacht und die Räume vor Aufheizung schützt. Dieses Dach in Sichtbeton kragt weit von eingespannten Stützen aus, die darüber hinaus Lasten aus der neuen Fassade aufnehmen. Wenn es eines Beweises für den Sinn dieses Bauteils bräuchte: die großzügige, belebte Freischankfläche, durch Laubbäume gefasst, ist einer – und trägt zur gehobenen Qualität von Außenraum und Fußgängerbereich bei.

Neue Stadt – Fußgänger und Konsument werden allseits bedient, prägnante Zeichen und eindeutige Objekte erleicht die Verfügbarkeit. Zwischentöne verschwinden – die Besonderheit des Ortes, gar seine Geschichte verliert sich. Oder werden subtiler: „Die Schindeln der Schieferfassade“, führt Architekt Berktold aus, „sollen dem Bau Plastizität und Stofflichkeit geben – und sind ein städtische Anspielung auf die bekannten Häuser mit Holzschindeln auf dem Land.“

Daten und Fakten

  • Objekt: Vereinshaus Dornbirn, Restaurant, Geschäfte, Büros, Wohnungen, Dornbirn
  • Eigentümer: Vereinshaus Gesellschaft, Schulgasse 36, A-6850 Dornbirn
  • Architekt: Philipp Berktold Architekt ZT GmbH, Christoph Kalb GmbH, Projektleitung: Arch. DI Philipp Berktold
  • Örtl. Bauaufsicht: Thomas Flatschacher, Hohenems
  • Statiker: gbd Dornbirn, DI Eugen Schuler
  • Ingenieure: Haustechnikplanung: Herbert Roth, Lauterach
  • Elektroplanung: Rudi Koschak, Götzis
  • Bauphysik: Bernhard Weithas, Hard
  • Brandschutzplanung: Werner Köhldorfer, Lochau
  • Geometer: AVD Vermessung Dornbirn
  • Planung (Zeit): 5/2012–5/2014
  • Ausführung: 1/2013–5/2014 (bis 11/2013 Weltladen)
  • Nutzfläche: 415 (EG) + 400 (1. OG) + 395 (2. OG)+ 395 (3. OG) = 1245 m²
  • Grundstücksgröße: 715m²
  • Bauweise: Bestand: entkerntes Stahlbetonskelett (Decken, Stützen, Lift); Erweiterung: Holzleichtbauweise (Brettstapeldecke); Außenwand: Holzrahmenbauweise (Zellulose 200 mm) mit Weichfaserplatte (40mm); Fassade: Schieferschindeln (dynam. Deckung, 5, 10, 15 cm Schar); Dach: Holzleichtbauweise (Brettstapel), Warmdach 40 cm Dämmung, beschieferte Bitumenabdichtung
  • Keller: (WU)Stahlbeton (Bestand)
  • Tiefgarage: Unterirdische Anbindung an Einkaufszentrum
  • Fußböden: Eiche, geölt, Feinsteinzeug (Schieferoptik)
  • Heizung: Nahwärmenetz Dornbirn, Fußbodenheizung, Kontrollierte Be- und Entlüftung mit Wärmerückgewinnung
  • Fenster: Holz-Alu, Dreischeiben-Sonnenschutzglas (g-Wert 0.30)
  • Besonderheiten: 2 Fenstertypen (kleines „Stadtfenster“, grosses „Wohnfenster“); Stadtfenster: außenbündiger Fenstereinbau (Flächigkeit Fassade); Wohnfenster: innenbündiger Fenstereinbau (Gliederung Fassade), Wohnfenster teilweise über Eck, kontrollierte Be-/Entlüftung inkl. Wärmerückgewinnung, Kühlung (Restaurant, Büros)
  • Firmen: Abbruch: Christian Kessler, Nenzing; Baumeisterarbeiten: Wilhem&Mayer, Götzis; Zimmerer: Oasys Holzbau, Alberschwende; Fassade: Ess Dach&Wand, Feldkirch; Fenster: i+R Schertler, Lauterach; Sonnenschutz: Gunz&Peter, Dornbirn; Spengler: Tectum Spenglerei, Hohenems; Trockenbau: Manfred Fischer, Dornbirn; Heizung/Sanitär: Feuerstein Installationen, Bregenz; Lüftung/Kühlung: Ender, Altach; Elektro/Beleuchtung: Elektro Schelling, Dornbirn; Estrich: Juri’s Estrich, Hard; (Brandschutz)Türen: Lenz-Nenning, Dornbirn; Böden: Raum&Zeit, Dornbirn; Maler: Manfred Klocker, Dornbirn; Fliesen: Meusburger Fliesen, Bezau
  • Energiekennwert: 10 kWh/m²a (ausgen. Gastraum)

Quelle: VN/ Leben & Wohnen

Für den Inhalt verantwortlich:
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