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Schlacht um Kobane: "Situation ist schlechter als die Leute denken"

Die Stadt ist seit Wochen hart umkämpft
Die Stadt ist seit Wochen hart umkämpft
Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hatte sich in der Nacht zum Mittwoch aus Teilen der umkämpften nordsyrischen Grenzstadt Kobane zurückgezogen, nachdem eine Gegenoffensive der Kurden und Luftangriffe der USA Wirkung zeigten. Im Laufe des Mittwochs schienen die Angreifer jedoch ihrerseits wieder neue Bodengewinne zu verzeichnen.
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Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte gelang es den kurdischen Verteidigern von Dienstag auf Mittwoch zunächst, dschihadistische Kämpfer aus Straßenzügen im Osten der Ortschaft zu vertreiben.

“Lage in Kobane ist dramatisch”

Kurdische Kämpfer beschreiben die Lage in der eingekesselten Stadt einige Stunden später jedoch als dramatisch. “Die Situation ist schlechter, als die Menschen denken”, sagte ein Kämpfer der Volksschutzeinheiten, der aus Kobane über die Grenze in die Türkei kam, am Mittwoch der Nachrichtenagentur dpa in Suruc.

Ein IS-Kämpfer in einem Vorort von Kubane. Aufgenommen aus der Türkei mit Teleobjektiv. (AP)
Ein IS-Kämpfer in einem Vorort von Kubane. Aufgenommen aus der Türkei mit Teleobjektiv. (AP) ©Ein IS-Kämpfer in einem Vorort von Kobane. Aufgenommen aus der Türkei mit Teleobjektiv. (AP)

“Viele sind ernsthaft verletzt und noch immer drinnen (in Kobane). Es war nicht möglich, sie raus zu bringen. IS ist sogar noch näher gekommen.” Der Kämpfer wollte nicht namentlich genannt werden.

Ein kurdischer Aktivist namens Farhad al-Shami in Kobane sagte der dpa am Telefon, die Kämpfe konzentrierten sich auf den Osten der Stadt. “IS-Kämpfer haben eine groß angelegte Offensive begonnen, um den gesamten Bezirk Kani Araban unter ihre Kontrolle zu bringen”, sagte er.

Ein dpa-Korrespondent in Suruc berichtete von heftigen Gefechten in Kobane, die auf der türkischen Seite der Grenze zu hören seien. Verwundete kurdische Kämpfer würden aus Kobane in türkische Krankenhäuser gebracht. Ein Krankenwagenfahrer sagte der dpa, es stünden zu wenig Wagen zu Verfügung. “Es kommen mehr und mehr Verwundete an der Grenze an”, sagte er.

Türkische Soldaten an der Grenze. Im Hintergrund die Rauchfahne nach einem Luftschlag gegen eine IS-Stellung im Umland von Kobane. (EPA)
Türkische Soldaten an der Grenze. Im Hintergrund die Rauchfahne nach einem Luftschlag gegen eine IS-Stellung im Umland von Kobane. (EPA) ©Türkische Soldaten beobachten einen Luftangriff auf eine IS-Stellung im Umland von Kobane. (EPA)

IS-Vormarsch schien gebremst

Die kurdische Nachrichtenseite Welati vermeldete früher am Mittwoch, dass internationale Luftschläge sowie die kurdische Gegenwehr die sunnitischen IS-Extremisten zum Rückzug an den östlichen Stadtrand gezwungen hätten. Ein Sprecher der kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) sprach auf Agentur-Anfrage von einer “Gegenoffensive” der Kurden.

IS-Kämpfer am Stadtrand, rechts ein Pickup mit MG. (AP)
IS-Kämpfer am Stadtrand, rechts ein Pickup mit MG. (AP) ©IS-Kämpfer am Stadtrand, rechts ein Pickup mit MG. (AP)

Luftangriffe gab es laut kurdischen Medien auch auf Stützpunkte der Terrormiliz auf dem strategischen wichtigen Hügel von Mischtanur. Dabei seien auch Waffendepots zerstört worden. Im Südwesten der Stadt Kobane hätten Dschihadisten hingegen einige Gebäude übernommen und hielten somit weiter Teile der Stadt.

Erst am Montag hatten IS-Kämpfer ihre schwarze Flagge am östlichen Rand der Stadt gehisst. Seither haben die USA und ihre arabischen Verbündeten ihre Luftangriffe auf Stellungen der Extremisten verdoppelt.

Kampf um Kobane - Kurdenproteste in der TŸrkei
Kampf um Kobane - Kurdenproteste in der TŸrkei

“Sie sind nun vor den Toren der Stadt Kobane”, sagte der Kurdenfunktionär Idris Nassan am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters. Der Beschuss und das Bombardement seien sehr wirkungsvoll gewesen und hätten die Kämpfer des IS dazu veranlasst, viele Positionen zu räumen.

“Das ist ihr größter Rückzug seit sie in die Stadt eingedrungen sind”, sagte Nassan. “Wir können davon ausgehen, dass das der Beginn ihres Rückzuges aus der Region ist.” Eine Annahme, die bereits einige Stunden später durch die neuen Angriffe der IS widerlegt schien.

Straßenkämpfe in Kobane

Neue Luftschläge am Mittwoch

Die internationale Koalition unter der Führung der USA hat Mittwochfrüh neue Luftschläge in der syrischen Grenzstadt Kobane ausgeführt. Unmittelbar danach stieg dicker schwarzer Rauch von einem strategisch wichtigen Hügel im Osten der Stadt auf, berichtete ein AFP-Reporter.

Das US-Militär hat nach eigenen Angaben seit Dienstag sechs Luftschläge gegen den IS in und um Kobane durchgeführt. Dabei seien Panzerfahrzeuge und Artillerie zerstört worden, teilte die US-Kommandozentrale Centcom am Mittwoch mit. Zum Einsatz kamen dabei Bomber, Kampfflugzeuge und Drohnen zum Einsatz. Die USA flogen gemeinsam mit Großbritannien und den Niederlanden zudem fünf Luftschläge gegen den IS im Irak, hieß es.

ISLAMIC STATE AIR CAMPAIGN ANALYSIS
ISLAMIC STATE AIR CAMPAIGN ANALYSIS ©Die IS-Flagge auf einem Hügel östlich der Stadt, aufgenommen aus der Türkei. (AP)

Kurden bitten weiter um schwere Waffen

Die syrischen Kurden haben die internationale Gemeinschaft eindringlich um schwere Waffen zur Verteidigung der Stadt Kobane gegen die Terrormiliz IS gebeten. “Jeder sagt ‘wir stehen euch bei'”, sagte der Ko-Präsident der syrischen Kurden-Partei PYD, Salih Muslim, der türkischen Zeitung “Hürriyet Daily News”.

Kein Land unternehme dafür aber konkrete Schritte. “Wir wollen panzerbrechende Waffen. Unsere bewaffneten Kämpfer in Afrin und Cizre warten darauf, sich den Kämpfern in Kobane anzuschließen. Aber wir müssen türkisches Territorium nutzen, um diese Kämpfer nach Kobane zu bringen.”

Kurden, die über die Grenze nach Kobane wollen, werden mit Tränengas daran gehindert. (AP)
Kurden, die über die Grenze nach Kobane wollen, werden mit Tränengas daran gehindert. (AP) ©Kurden, die über die Grenze nach Kobane wollen, werden mit Tränengas daran gehindert. (AP)

Die strategisch wichtige Stadt an der Grenze zur Türkei, die auf Arabisch auch Ain al-Arab heißt, ist seit Wochen stark umkämpft. Trotz heftiger Gegenwehr kurdischer Milizen und internationaler Luftangriffe drangen die IS-Kämpfer am Montag erstmals in die Stadt ein. Rund 185 000 Menschen sind seit Beginn der Gefechte aus der Region in die nahe gelegene Türkei geflohen.

Militärexperten sind davon überzeugt, dass die Miliz, die weite Teile Syriens und des Iraks unter ihre Kontrolle gebracht hat, mit Luftangriffen allein nicht zu besiegen ist. US-Generalstabschef Martin Dempsey äußerte in einem Gespräch mit dem US-Sender ABC die pessimistische Befürchtung, Kobane könnte möglicherweise bald an die IS-Milizen fallen.
Damit stellten die USA erstmals eine mögliche Niederlage gegen den IS offen ein. Man versuche den IS zwar zu treffen, “wo wir können” – doch die Terroristen seien enorm flexibel und wüssten sich immer wieder “herauszumanövrieren”.

Türkei: “Große Lüge”

Der stellvertretende Ministerpräsident Yalcin Akdogan wies Vorwürfe über mangelndes Engagement der Türkei zum Schutz von Kobane als “große Lüge” zurück. Die türkische Regierung greift in die Kämpfe direkt hinter der Grenze bisher nicht militärisch ein, Ankara engagiert sich vor allem humanitär. Seit Beginn der Kämpfe um Kobane Mitte vergangenen Monats hat die Türkei nach offiziellen Angaben mehr als 180.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen.

Die türkische Armee patroulliert an der Grenze. (AP)
Die türkische Armee patroulliert an der Grenze. (AP) ©Die türkische Armee patroulliert an der Grenze. (AP)

“Straßen von Kobane voller Leichen”

Der kurdische Aktivist und Journalist Mustapha Ebdi berichtete am Mittwoch auf Facebook, die Straßen des Maktala-Viertels im Südosten Kobanes seien “voller Leichen” von IS-Kämpfern. Er warnte, die humanitäre Lage für die hunderten in der Stadt verbliebenen Zivilisten sei sehr schwierig.

Tote bei Protesten in der Türkei

In der Türkei forderten kurdische Proteste in mehreren Städten bislang 14 Todesopfer. Die meisten davon starben bei Zusammenstößen zwischen Islamisten und Anhängern der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.

Die türkische Regierung hat zu einem sofortigen Ende der gewalttätigen Demonstrationen aufgerufen. “Wir werden keine Toleranz gegenüber gewalttätigen Protesten oder Vandalismus zeigen”, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Yalcin Akdogan nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu.
(red/APA/dpa)
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