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RUS: Rücktritt wegen Demokratie-Mangel

Aus Protest gegen die Einschränkung der politischen Freiheitsrechte in seinem Heimatland ist der Wirtschaftsberater des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Andrej Illarjonow (Illarionow), zurückgetreten.

„Bis vor kurzem hat mich niemand daran gehindert, meine Meinung zu vertreten. Das hat sich geändert“, begründete der Wirtschaftsliberale am Dienstag sein Rücktrittsgesuch. Russland sei nicht länger politisch frei. Fast zeitgleich billigte das russische Oberhaus nahezu einstimmig das umstrittene Gesetz zur stärkeren Kontrolle von Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Die Unterschrift von Putin, mit der das Gesetz in Kraft treten kann, gilt als Formalakt.

Er gehe davon aus, dass Putin seine Entscheidung akzeptieren werde, sagte Illarjonow. Er äußerte scharfe Kritik an dem aus seiner Sicht immer deutlicher werdenden staatlichen Einfluss auf Wirtschaft und Politik seit dem Beginn seiner Beratertätigkeit im Jahr 2000. „In diesen sechs Jahren hat sich die Situation radikal verändert und im vergangenen Jahr ist klar geworden, dass sich nicht nur das politische, sondern auch das wirtschaftliche Modell des Landes gewandelt hat“, sagte er nach Angaben der Nachrichtenagentur ITAR-TASS. „Für so ein Land bin ich nicht zur Arbeit gegangen, habe ich keinen Vertrag unterzeichnet und keinen Eid geschworen.“ Russland sei nach sechs Jahren nicht wiederzuerkennen. Es habe „aufgehört, politisch frei zu sein“, wurde er zitiert.

Der 44-jährige Wirtschaftsberater war lange Zeit der ranghöchste Kritiker im Kreml. Er hatte vor allem die Zerschlagung des Ölkonzerns Yukos und die Verurteilung des Firmengründers Michael Chodorkowski zu einer Haftstrafe als politisch motiviert kritisiert. Die Yukos-Übernahme sei „der Betrug des Jahres“, hatte er moniert. Er habe so lange ausgehalten, wie er das Gefühl gehabt habe, noch etwas bewirken zu können, sagte Illarjonow laut der Nachrichtenagentur RIA-Nowosti. Vor einer Woche hatte er vor Journalisten erklärt, Russland habe „aufgehört, ein freies und demokratisches Land zu sein“.

Im Jänner war Illarjonow als G-8-Verbindungsmann des Kreml gegenüber den sieben großen Industrienationen entlassen worden. Beobachter werteten dies als Strafe für seine Kritik an der Yukos-Affäre. Moskau übernimmt am 1. Jänner 2006 den Vorsitz der G-8. Am Dienstag kritisierte Illarjonow die zunehmende Kontrolle des Staates über erst in den 90er Jahren privatisierte Unternehmen scharf: „Dies ist ein Staatsmodell mit der Beteiligung staatlicher Unternehmen, die, obwohl öffentlich nach Namen und Status, in erster Linie zu Gunsten persönlicher Interessen geführt werden.“

Der Föderationsrat stellte sich mit 153 Stimmen bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung hinter das Gesetz zur stärkeren Kontrolle von Nichtregierungsorganisationen, das zu Putins umstrittensten Vorhaben gehört. Am Freitag hatte bereits das Unterhaus das Gesetz in dritter Lesung mit großer Mehrheit verabschiedet.

Dem Gesetz zufolge können NGOs künftig verboten werden, wenn sie die „Souveränität, die Unabhängigkeit, die territoriale Integrität, die nationale Einheit, das Kulturerbe oder nationale Interessen“ Russlands bedrohen. Ausländische Organisationen müssen sich registrieren lassen, damit die Behörden sie als legal oder illegal einstufen können. Zudem müssen die NGOs ihre Finanzen offen legen und jede Spende aus dem Ausland melden – ein Schritt, der kleinere Organisationen durch den damit verbundenen bürokratischen Aufwand lahmlegen könnte.

Moskau will mit dem Schritt nach eigenen Angaben terroristische Aktivitäten oder Geldwäsche unterbinden und ausländische Gruppen oder Einrichtungen daran hindern, politische Aktivitäten in Russland finanziell zu unterstützen. Die russischen Behörden verweisen auf die ehemaligen Sowjetrepubliken Ukraine und Georgien, wo als NGOs „getarnte“ ausländische Geldgeber die friedlichen Umstürze unterstützt hätten.

In Europa, den USA und von Menschenrechtsaktivisten wird befürchtet, dass der Kreml mit dem Gesetz einen der letzten regierungskritischen Bereiche in Russland mundtot machen will. Medien, Parlament und Wirtschaft stehen bereits weitgehend unter der Kontrolle der Regierung.

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