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"Robinson Crusoe"-Autor Defoe über Flüchtlinge in England

Ob eine "solche Menge von Ausländern" aufzunehmen und zu ernähren möglich und ratsam sei, werde gegenwärtig "mit plausiblen Argumenten pro und contra" im Lande diskutiert. Das schrieb vor rund 300 Jahren der britische Schriftsteller Daniel Defoe (1660-1731), der später mit seinem Roman eines Gestrandeten, "Robinson Crusoe", weltberühmt werden sollte.


10.000 Pfälzer waren binnen weniger Monate vor Verfolgung und Kriegswirren, vor “Invasion, Überfällen und wiederholten Eroberungen” in ihrer Heimat nach Südengland geflüchtet, wo man provisorische Zeltlager errichtete und wo prompt ein heftiger öffentlicher Streit über diese Flüchtlinge entbrannte. Defoe beteiligte sich daran mit Beiträgen in Zeitschriften wie der “Review of the State of the British Union”. Ein zentraler Text von 1709 von ihm, die “Kurze Geschichte der pfälzischen Flüchtlinge”, blieb in Deutschland bisher unbekannt und ist jetzt erstmals komplett übersetzt in der von der Berliner Akademie der Künste herausgegebenen kulturpolitischen Zeitschrift “Sinn und Form” erschienen. Zuletzt veröffentlichte die Wochenzeitung “Die Zeit” einen übersetzten Auszug. Im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven wird das englische Original gezeigt, dort ist noch bis zum 31. Mai die Ausstellung “Plötzlich da. Deutsche Bittsteller 1709, türkische Nachbarn 1961” zu sehen.

Viele Aspekte der damaligen Diskussion und Aufregung in England erscheinen heute immer noch und schon wieder aktuell. Defoe betonte, die Ernährung und Versorgung der Pfälzer “in ihrem gegenwärtigen elenden Zustand” sei “nicht nur ein großer Akt christlicher Nächstenliebe”, sondern “eine Ehre” für das Land und auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvoll. Er wandte sich gegen die ängstlichen Stimmen, die meinten, eine solche Menge von Ausländern hereinzubringen heiße die Lebensmittel noch mehr verteuern sowie “unsere einheimischen Handwerker und Arbeitsleute brotlos machen und die Zahl unserer eigenen Armen erhöhen, die bereits zu viele sind und der Nation allzusehr zur Last fallen”.

Für Defoe war es dagegen “unmöglich, dass Britannien zu viele Menschen haben könnte, sollten 3 Millionen Fremde herkommen und sich hier ansiedeln”. Über “Taten der Nächstenliebe” Beschwerde zu führen, erkläre sich nur durch “Mangel an gehöriger Aufklärung und das Verharren in alten Irrtümern” sowie “allgemein verbreiteter Gefühle”. Weil sich manche Engländer “nicht in die Lage dieser armen Pfälzer” versetzen könnten, “erfüllen sie die Welt mit Geschrei und Geschwätz, ganz im Gegensatz zu der Religion, zu der sie sich bekennen”. Mildtätigkeit aber auf Fremde auszudehnen, sei Christenpflicht – unabhängig, ob sie wegen religiöser oder politischer Verfolgung oder anderen Gründen geflüchtet seien, mahnte Defoe.

Der Schriftsteller erinnerte daran, dass die Fremden auch eine kulturelle und wirtschaftliche Bereicherung darstellen könnten. “Wurden denn nicht viele Dinge bei uns eingeführt wie ausländische Gräser, Rüben und etliche andere Verbesserungen, die erst in letzter Zeit hierher gelangt sind?” Und auch die einheimische Wirtschaft profitiere davon, wenn sie Kleidung und Lebensmittel für die vielen Zugewanderten produziere. Defoe berichtet auch darüber, wie die Flüchtlinge bei ihrer ersten Ankunft “in diesem glücklichen Land” betreut und verpflegt wurden, auch durch Spenden und freiwillige Helfer von “wohlmeinenden privaten Gentlemen, Geistlichen, Ärzten, Kaufleuten”, freiwillig und ohne Aufforderung und ohne “andere Beweggründe als ihre frommen Neigungen”.

Zu dieser Zeit hatten sich bereits zahlreiche Flüchtlinge auf freien Plätzen in London, unter anderem rund um den Tower und in Scheunen, niedergelassen, bis “das Ministerium für zweckmäßig befunden” habe, “die Betreuung der Pfälzer angemessen zu regeln”. Dazu wurde auch eigens ein Kreis “entsprechend befähigter Personen” beauftragt, darunter der Bischof von Canterbury, der Londoner Bürgermeister, der britische Schatzkanzler sowie die Herzöge von Devonshire und Somerset. Pfälzische Kinder sollten auf einer “gemeinnützigen Schule” unterstützt werden, “damit sie Englisch schreiben und lesen lernen”.

Überlegungen, die Ausländer in britische Kolonien bis hin zum Rio de la Plata jenseits des Atlantik zu verschiffen, wurden wieder verworfen, einige tausend landeten dann aber später doch in New York. Defoe versäumte auch nicht, auf die eigentlichen, internationalen Fluchtursachen hinzuweisen, in diesem Fall auf den französischen Monarchen als “Haupturheber der Schwierigkeiten” mit seinen Streitkräften in fremden Territorien und seiner “despotischen Regierungsweise”. Die Hilfe der Engländer für die bedrängten Flüchtlinge werde die “umfassendste Wohltätigkeit” sein, “sogar für sämtliche Untertanen in Europa, indem sie die Fürsten dortselbst nötigt, ihre Untertanen in Zukunft menschlicher zu behandeln, als einige es bislang taten”.

Übrigens weist Defoe gleich zu Beginn seines späteren Weltbestsellers “Robinson Crusoe” auf den Einwandererstatus seines Titelhelden hin: “Ich bin geboren zu York im Jahre 1632, als Kind angesehener Leute, die ursprünglich nicht aus jener Gegend stammten. Mein Vater, ein Ausländer, aus Bremen gebürtig…”

(S E R V I C E -)

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