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Realitätsillusionen in Holz: Anselm Kiefer in der Albertina

Retrospektive mit den ab 1974 entstandenen Holzschnitten
Retrospektive mit den ab 1974 entstandenen Holzschnitten
Anselm Kiefer ist der große Monumentale der deutschen Nachkriegskunst, der sich in seinen archaischen Werken an den Mythenwelten der Vergangenheit abarbeitet und in den vergangenen Jahrzehnten zugleich eine Tendenz zur Metaphysik ausgebildet hat. Die Wiener Albertina zeigt nun eine Retrospektive mit den ab 1974 entstandenen Holzschnitten des Künstlers, die am Donnerstagvormittag präsentiert wurde.


Die Ausstellung geht dabei auf einen expliziten Wunsch Kiefer zu seinem 70. Geburtstag im Vorjahr zurück. Entsprechend intensiv habe der mittlerweile 71-Jährige auch an der Konzeption mit Kuratorin Antonia Hoerschelmann gemeinsam gearbeitet, unterstrich Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder. Er verwies dabei auf die für eine Retrospektive vermeintlich geringe Anzahl von 35 Arbeiten: “Der Begriff ‘Retrospektive’ impliziert ja so etwas wie ‘Menge’.” Dies liege aber nicht zuletzt an den monumentalen Ausmaßen der teils über vier Meter breiten Werke: “Anselm Kiefer ist zweifelsohne ein Künstler, der in großen Formaten arbeitet und denkt.”

Je größer die Idee, mit der sich der Künstler auseinandersetzt, desto größer die Formate, scheint die Leitlinie zu sein, ist die Zusammenstellung in der Albertina doch entlang der großen Themengruppen in Kiefers Oeuvre gegliedert. Mit “Die Wege der Weisheit” thematisiert er die Hermannsschlacht als Gründungsmythos der Deutschen – ein Dunstkreis, der sich mit den Wagner-inspirierten Bildern rund um die Rheintöchter und Walküre Brünhilde samt Pferd Grane fortsetzt. Der Rhein dient hier als Sinnbild für fiktive Grenzbarrieren und als Symbol des stetig Fließenden, das vermeintliche Realitäten als Illusion entlarvt. Ungeachtet des zur Entstehungszeit in den 1980ern anders konnotierten Kontextes ermöglicht sich hiermit letztlich auch eine aktuelle Anbindung an die derzeitige Situation Europas durch den Grenzgänger Kiefer, der seit Beginn der 1990er in Südfrankreich lebt.

Ungeachtet der bekannten Themenfelder versteht Kuratorin Antonia Hoerschelmann die Ausstellung auch als Horizonterweiterung. “Es ist eine Einladung, Klischees und Vorstellungen über Bord zu werfen und einen neuen Blick auf sein künstlerisches Schaffen zu ermöglichen.” Dies gilt nicht zuletzt für jene Werke, in denen Kiefer den Blick von den geschichtlichen Mythen zur Einbindung des Menschen im Makro- und Mikrokosmos erweitert, was etwa für das Selbstbildnis vor Weltall, “Der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir”, gilt. Die meist monochromen Werke werden dabei von Kiefer über die Zeit überarbeitet, stellen sich letztlich collageartig als übereinandergestülpte Werkschichten dar, die, mit Schellack überzogen, einen gealterten Eindruck erzeugen sollen.

Persönlich wollte sich Anselm Kiefer am Donnerstag vor der Presse zu seiner Schau nicht äußern und blieb der Präsentation fern. “Er liebt nicht die Selbstdarstellung und die kurzatmige Frage-Antwort-Konvention, die das Interview naturgemäß mit sich bringt”, zeigte sich Schröder verständig. Wer den Maler live erleben möchte, muss deshalb zu einem Gespräch zwischen ihm und dem Quantenphysiker Anton Zeilinger in die Albertina kommen, das am Freitagabend bei freiem Eintritt angesetzt ist.

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