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"Rassismus wird wieder salonfähig"

In Vorarlberg steigen die Straftaten, die fremdenfeindlich motiviert sind oder gegen das NS-Verbotsgesetz verstoßen.
In Vorarlberg steigen die Straftaten, die fremdenfeindlich motiviert sind oder gegen das NS-Verbotsgesetz verstoßen. ©BilderBox
Schwarzach - Vorarlberg: Die Zahl der Anzeigen von fremdenfeindlichen und rechtsextremen Taten hat sich massiv erhöht.

Wie aus einer Landtagsanfrage an Erich Schwärzler (ÖVP) hervorging, haben sich die Anzeigen wegen fremdenfeindlichen Taten sowie Verbrechen  nach dem Verbotsgesetz seit 2013 mehr als verdoppelt. Laut Landespolizeidirektion wurden 2015 46 fremdenfeindliche Tathandlungen gemeldet. Im  Jahr davor waren es 23. Bei Strafhandlungen nach dem Verbotsgesetz (nationalsozialistische Wiederbetätigung) wurden sogar 62 Anzeigen  eingebracht. W&W hat bei den Politikern aller Parteien nachgefragt.

Wie reagiert die Politik?

Den Stein ins Rollen brachte NinaTomaselli, Landtagsabgeordnete der Grünen, welche die Anfrage an Landesrat Erich Schwärzler (ÖVP) eingebracht  hat. So sagt Tomaselli: „Wir befinden uns in einem tiefgreifenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel, der neben Gewinnern auch viele Verlierer hervorbringt. Viele junge Menschen werden desillusioniert, weil eben nicht jeder die gleichen Chancen hat. Das kann zum Bruch führen und  damit zu Extremismus in jeder Form. Der Zuzug von flüchtenden Menschen verstärkt zusätzlich die Zukunfts- und Abstiegsängste. Zudem bieten Flüchtlinge ein Feindbild, um dort den Frust zu kanalisieren. Darüber hinaus konnte man im letzten Jahr beobachten, dass langsam alle Hemmungen fallen und Rassismus salonfähig wird,“ so die Abgeordnete.

„Angst spaltet“

Michael Ritsch (SPÖ) meint: „Sehr viele Vorarlberger wollen Familien mit Kindern, die vor Kriegen flüchten, aktiv und passiv helfen. Leider spaltet die Angst und die Ungewissheit aber auch die Gesellschaft und es ist ein ‚Nährboden‘ für rechte Ausländerfeindlichkeit, Hass und Gewalt. Es darf keine Toleranz geben, wenn es darum geht, rechtsextreme Gewalt – und natürlich in selber Härte islamistischen Terror – zu bekämpfen.“

„Klima des Misstrauens“

„Viele Menschen in unserem Land sind stark verunsichert. Der ‚Zickzack- Kurs‘ unserer Regierung in der Flüchtlingsfrage, hetzerische Aussagen führender Politiker und die Uneinigkeit auf EU-Ebene tragen dazu bei. Das alles führt zu einem Klima des Misstrauens und der Ablehnung – und in manchen Fällen leider auch zu offener Aggression und Gewalt. Das ist eine sehr bedenkliche Entwicklung,“ meint Sabine Scheffknecht von den NEOS.

„Sensibel sein gegen jede Art von Extremismus“

Daniel Allgäuer (FPÖ) sagt: „Die derzeitige weltweite Entwicklung hat sicherlich zu einer Sensibilisierung im Hinblick auf jede Art von Extremismus geführt. Darauf dürfte auch die Verdoppelung der Zahlen zurückzuführen sein. Wir müssen auch hinkünftig gegen jede Form von Extremismus, egal von welcher Seite kommend, sensibel sein und klar machen, dass dies nicht geduldet wird. Dazu gehören neben Aufklärung, harte Strafen und auch eine ausreichende Ausstattung der Exekutive.

„Auch Vorarlberg von den Entwicklungen betroffen“

„Die internationalen Entwicklungen gehen auch an Vorarlberg nicht spurlos vorüber. Wichtig ist, dass die zuständigen Behörden und die Sicherheitsexekutive allen Hinweisen aus der Bevölkerung nachgehen und Tathandlungen konsequent zur Anzeige bringen. Die Landesregierung hat im Jahr 2015 zwei Plattformen zur intensiven Auseinandersetzung mit den sicherheitspolitischen sowie den gesellschafts- und sozialpolitischen Auswirkungen der Radikalisierung in Vorarlberg eingerichtet,“ so Landesrat Schwärzler.

3 Fragen an den Historiker Werner Bundschuh

1 Steht die aktuelle Entwicklung in einem Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise?
„Die spannende Frage ist schon: Was hat sich in der Gesellschaft verändert, dass ein Wort wie ‚Willkommenskultur‘ innerhalb weniger Monate zum ‚Unwort‘ geworden ist – oder ‚Gutmensch‘ als Schimpfwort gebraucht wird. Wollen wir tatsächlich in einer Welt leben, in der ‚Schlechtmenschen‘ den Ton angeben und gewählt werden? Religiöser Fanatismus jeder Herkunft und Terrorismus bedrohen diese Werte – doch wenn sich Gesellschaften
davon in Geiselhaft nehmen lassen, wenn die bürgerlichen Freiheiten durch einen Überwachungsstaat à la Metternich ersetzt werden – dann haben die Fanatiker ihr Ziel erreicht. Die Bedrohung einer ‚offenen Gesellschaft‘ geht nicht nur von Terroristen aus, die im Namen einer Religion morden, sondern von jenen, die im Kurzschluss mehr als eine Milliarde Moslems unter Generalverdacht stellen. Wenn ich einen Blick in diverse ‚Ländleforen‘
werfe, dann bekomme ich tatsächlich Angst: Welcher Hass, welche Menschenverachtung, welcher fanatisierter Unsinn im Internet tritt mir da entgegen – und die dürfen nicht die Oberhand behalten!”

2 Kann es sein, dass unsere Gesellschaft „vergisst“?
„Wer die ‚Festung Europa‘ und nationale Abschottung als politische Programm propagiert, hat eine wesentliche Lektion aus der Geschichte dieses Kontinents nicht gelernt bzw. will kurzfristig politisches Kleingeld lösen: Der nationale Taumel in Europa hat zwei Weltkriege ausgelöst und den
Holocaust als Tiefpunkt menschlichen Handels auf dem Gewissen, das sollte eigentlich genügen! Aber aus der Geschichte die richtigen Schlüsse zu ziehen – das scheint sehr schwer zu sein. Die ‚europäische Aufklärung‘ steht seit über 200 Jahren in Konkurrenz mit den ‚einfachen Lösungen‘:  Rassismus, Xenophobie, religiöse Feinbilder sind für viele immer noch attraktive ‚Lösungen‘ – heute anscheinend wieder!“

3 Wie beurteilen Sie die Situation in Vorarlberg aus historischer Sicht?
„Eine neue Ausprägung des Rechtsextremismus in Vorarlberg entwickelte sich ab Ende der 1980er-Jahre mit dem Auftreten rechtsextremer  Skinheadgruppen, die mit der Szene im Bodenseeraum bestens vernetzt waren. Mit der gewaltbereiten ‚Blood and Honour- Bewegung‘ gab es um den  Jahrtausendwechsel einen besonderen Höhepunkt. Gerne wurde abgewiegelt, es sei nicht so schlimm, bei neonazistischen Schmierereien, bei  Brandbombenattentaten oder bei der Schändung des jüdischen Friedhofs in Hohenems im letzten Jahr durch einen Jugendlichen – immer ist sofort  die Einzeltäterversion zur Hand. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Die Vorarlberger Neonazi-Szene ist vor allem mit deutschen Neonazis und ihren Gruppierungen seit Jahren bestens vernetzt.“

(WANN & WO)

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