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Pluspunkt für die Innenstadt

Fast zeitgleich mit dem Umbau des Erdgeschoßlokals wurde von der Stadt die Fassade renoviert. Das dezente Design von Nasenschild und Logo stört die denkmalgeschützte Ansicht keineswegs.
Fast zeitgleich mit dem Umbau des Erdgeschoßlokals wurde von der Stadt die Fassade renoviert. Das dezente Design von Nasenschild und Logo stört die denkmalgeschützte Ansicht keineswegs. ©Marco Mathis
Bludenz - Das innerstädtische Shoppingcenter vom Großinvestor ist derzeit landauf, landab Liebkind der lokalen Politik. Wie es gedeiht, das wird sich zeigen. Sicher ist: „Stadt“ als Ort der Begegnung und des öffentlichen Lebens gibt es künftig nur, wo die Nutzung der bestehenden Substanz nicht ins Hintertreffen gerät. Die Qualität der Architektur ist dabei mit entscheidend – ein Beispiel aus Bludenz.
Bludenz: Weinhandlung Rathausgasse

Architekt Marcus Ender hat historische Bilder mitgebracht und auf dem Tresen ausgebreitet. Die beiden Weinhändler Wolfgang Maurer und Christoph Marcabruni sowie drei Gäste lehnen interessiert darüber und rekonstruieren mit vereinten Kräften die wechselvolle Geschichte des Gebäudes. Der Kern des Hauses in der Rathausgasse wurde angeblich im 16. Jahrhundert errichtet, erste Fotoansichten gibt es bereits vom späten 19. Jahrhundert. Die Nutzungsvielfalt allein in den vergangenen Jahrzehnten ist erstaunlich. Einst war die „Bayerische Bierhalle“ ein beliebter Treffpunkt (der kleine Platz ums Eck wird bis heute „Bayerischer Biergarten“ genannt). Später war im ersten Stock das Standesamt zu finden, das Bauamt war schon in dem Haus untergebracht und ab 1951 bis 1993 ein Teil der städtischen Musikschule. Im Erdgeschoß gab es eine legendäre Fleischerei mit einem noch legendäreren Separee im Keller, wo mitunter illustre Gesellschaften zusammenfanden und sich – wie die Gerüchte sagen – recht ausgiebig amüsierten. Schelmische Chronisten behaupten, oben wären die Ehen geschlossen und unten gebrochen worden. Aber das ist wie gesagt Geschichte. Bis heute erhalten hat sich eine bunte Nutzungsstruktur in dem Gebäude im Besitz der Stadt: es gibt Räume von Caritas und Aquamühle, die Alpenregion Bludenz Tourismus hat ein Büro im zweiten Stock und wo im Erkerzimmer einst die Bierkrüge klirrten, hört man heute die Computertastaturen zweier Architekten. Nur das Erdgeschoßlokal stand, wie manches in der Bludenzer Innenstadt, seit einiger Zeit leer. Das hat sich nun geändert, zumindest während der Öffnungszeiten der kleinen Weinhandlung, die im November des Vorjahrs eingezogen ist.

Bestimmung. Ein Gewölbe ist eigentlich wie gemacht für Wein. So wurde an der Form des Raums auch nichts verändert. Dass in den Gemäuern schon früher gern getrunken wurde, soll nicht das schlechteste Omen für eine Weinhandlung sein. Foto: Cyril Müller
Bestimmung. Ein Gewölbe ist eigentlich wie gemacht für Wein. So wurde an der Form des Raums auch nichts verändert. Dass in den Gemäuern schon früher gern getrunken wurde, soll nicht das schlechteste Omen für eine Weinhandlung sein. Foto: Cyril Müller ©Bestimmung. Ein Gewölbe ist eigentlich wie gemacht für Wein. So wurde an der Form des Raums auch nichts verändert. Dass in den Gemäuern schon früher gern getrunken wurde, soll nicht das schlechteste Omen für eine Weinhandlung sein. Foto: Cyril Müller

Viel Einrichtung gibt es nicht auf den knapp 40 m2 großen Fläche zwischen den alten Mauern: In der Mitte des lehmverputzten Hauptraums gibt es ein Tresenmöbel, im kleineren Gewölbe hinten einen Stehtisch, vor den schwarzen Seitenwänden Eichenbretter mit den aktuellen Weinen. Den beiden Weinfreunden ging es von Anfang an um einen Verkaufsraum, der das hochwertige Produkt und dessen Produzenten in den Vordergrund rückt. Die angebotenen Weine stammen aus kleinen, meist familiär geführten Betrieben. Bei der Herstellung muss respektvoll mit der Natur umgegangen und nachhaltig gewirtschaftet werden. „Den Winzern ein Gesicht zu geben“, erinnert sich Marcus Ender, das sei vom ersten Gespräch an die Intention gewesen. Diese Leitidee bestimmt die zurückhaltende Gestaltung des Raums, die sich ganz auf die Wirkung der Produkte konzentriert. Weine werden aber nicht ihrer Schönheit wegen gekauft, sondern weil sie den Gaumen und bekanntlich auch den Geist erfreuen. Deshalb ist das Kernstück in dem Tonnengewölbe der Tresen, dessen schwebende Eichen-Vollholzplatte wie eine einladende Geste in den Raum greift: Hier wird ausgeschenkt, zugeprostet und verkostet. Aber natürlich wird auch das eine oder andere Fläschchen für daheim erstanden, denn nicht zuletzt ist es ein Ladentisch. „Ursprünglich war die Frage, wo wir Kassa und Bildschirm unterbringen“, erzählt Christoph Marcabruni von der Konzeption dieses zentralen Elements, „die Antwort war: Reduzieren!“. So wird eben von Hand mit Stift und Block verrechnet und der Tresen ist dafür zum einladend-informellen Mittelpunkt des Verkaufsraums geworden statt eines Ladentischs mit strikter Trennung von Dahinter und Davor.

Die erstaunliche Auskragung der Tischplatte gibt dem Raum Großzügigkeit und Dynamik. Sie ist selbstverständlicher Mittelpunkt dieses bewegten Geschehens. Foto: Cyril Müller
Die erstaunliche Auskragung der Tischplatte gibt dem Raum Großzügigkeit und Dynamik. Sie ist selbstverständlicher Mittelpunkt dieses bewegten Geschehens. Foto: Cyril Müller ©Die erstaunliche Auskragung der Tischplatte gibt dem Raum Großzügigkeit und Dynamik. Sie ist selbstverständlicher Mittelpunkt dieses bewegten Geschehens. Foto: Cyril Müller

Wenngleich die Pächter betonen, dass es kein Gastrolokal, sondern eine Weinhandlung sei, entsteht durch die architektonische Gestaltung ein atmosphärisch angenehmer Raum zum Verweilen. Es ist ein Treffpunkt geworden, ein Ort „zum Abgleichen des Wochengeschehens“, wie Wolfgang Maurer eine der gesellschaftlichen Bedeutungen des Ladens auf den Punkt bringt. Das ist sozialer Mehrwert, den eine kleine Stadt wie Bludenz zur Belebung dringend nötig hat, und der sich gerade aus der gekonnten Nutzung vorhandener räumlicher Qualitäten wie von selbst ergibt. Zum Gelingen müssen Verwaltung und Behörden allerdings beitragen: „Die Stadt hat sich bemüht“, erzählt Marcabruni, „die Frage war nie, was nicht geht, sondern was man tun muss, damit es funktioniert.“

Architekt Marcus Ender wollte „reinen Wein einschenken“, wie er sagt, verstanden als bewusste Reduktion der Gestaltung im Sinn und Interesse des Produkts. Foto: Cyril
Architekt Marcus Ender wollte „reinen Wein einschenken“, wie er sagt, verstanden als bewusste Reduktion der Gestaltung im Sinn und Interesse des Produkts. Foto: Cyril ©Architekt Marcus Ender wollte „reinen Wein einschenken“, wie er sagt, verstanden als bewusste Reduktion der Gestaltung im Sinn und Interesse des Produkts. Foto: Cyril Müller

Daten & Fakten

Objekt: Weinhandlung Rathausgasse, Bludenz
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Eigentümer/Bauherr: Wolfgang Maurer und Christoph Marcabruni
Architektur: Atelier Ender|Architektur, Nüziders
Planung (Zeit): Mai–Juli 2013
Ausführung: September–Oktober 2013
Nutzfläche: 38 m²
Keller: 21 m²

Bauweise: Historisches Altstadtgebäude/Massivbau; Fußböden Zementspachtelung; Wände und Decken: Lehmputz; Heizung: Zentralheizung Bestand; Holzfenster; denkmalgeschützte Putzfassade

Ausführung: Lehmputz: Preite, Bürs; Tischler: Leu, Wald am Arlberg; Böden und Malerarbeiten: Farben Krista, Frastanz; Elektro: Steiner, Nüziders; Schlosser: Gmeiner Metallbau, Bludenz

Baukosten: 38.000 Euro netto

Quelle: Leben & Wohnen – die Immobilienbeilage der VN

Für den Inhalt verantwortlich:
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Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter architektur vorORT auf v-a-i.at

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