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Obmann-Wechsel bei Aids-Hilfe Wien: "Es ist noch viel zu tun"

Obmann-Wechsel bei Aids-Hilfe Wien
Obmann-Wechsel bei Aids-Hilfe Wien ©APA/PAVEL WOUK
Der Aids-Hilfe Wien steht eine personelle Veränderung bevor. Mit 1. April wird Wolfgang Wilhelm, Sozialwissenschafter, Psychotherapeut und Antidiskriminierungspezialist die Agenden des ehrenamtlichen Obmanns übernehmen.

Von Dennis Beck, der weit mehr als 20 Jahre die Geschicke der Aids-Hilfe maßgeblich mitbestimmt hat. Es ist die Geschichte einer Krankheit, ihrer Opfer und jener Menschen, die gegen Aids und die Konsequenzen der Immunschwächekrankheit in Österreich in den vergangenen Jahrzehnten angekämpft haben. “In den 1980er-Jahren und Anfang der 1990er-Jahre ging es ums nackte Überleben. Jetzt geht es um ein gutes Leben mit HIV”, sagte Beck im Gespräch mit der APA.

Beck verlässt Aids-Hilfe Wien

Als Beck zur Aids-Hilfe stieß – diese war anfänglich eine Gründung im Jahr 1985 in Wien mit Bundesländerorganisationen -, war die Situation triste. “Von Aids Betroffene hatten damals eine Lebenserwartung von drei bis fünf Jahren. Da ging es in der Aids-Hilfe viel um Sterbebegleitung, um die Betreuung von Kranken und deren Angehörigen. Viele, die in der Aids-Hilfe mitarbeiteten, waren selbst betroffen.”

Die Immunschwächekrankheit bedeutete einen gefährlichen “Cocktail”. “Da war eine neue Krankheit mit jeder Menge Mythen, wie die Übertragung von HIV über Insekten, Händeschütteln oder Trinkgläser. Da war dieser Gedanke einer ‘Schwulenseuche’ bis hin zu einer ‘Strafe Gottes’ für die Betroffenen. Die Stigmatisierung war ganz schlimm. Auch jene Menschen, die für die Aids-Hilfe gearbeitet haben, wurden teilweise stigmatisiert. Und schließlich: Als wäre man damals als HIV-Positiver nicht schon ‘geschlagen’ genug gewesen, war da noch das ‘soziale Aids’.”

Die Situation hat sich grundsätzlich gewandelt. Das ist vor allem dem medizinischen Fortschritt zu verdanken. HIV/Aids kann für die meisten Betroffenen durch die modernen Kombinationstherapien den Status einer chronischen Infektion bzw. Krankheit erlangen.

Wolfgang Wilhelm übernimmt

Doch das Leben als HIV-Positiver ist deshalb buchstäblich nicht “leicht”. Wolfgang Wilhelm, der Beck nun als ehrenamtlicher Obmann der Aids-Hilfe Wien nachfolgt, Sozialwissenschafter, Psychotherapeut, Sexualtherapeut und Leiter der Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche und transgender Lebensweisen sagte: “Heute ist für einen HIV-Positiven das Verbleiben im Beruf möglich. Aber die Meisten müssen in irgendeiner Weise ein ‘Doppelleben’ führen. Wohl nur 20 Prozent der Betroffenen arbeiten in einer Berufsumwelt, die von der Infektion etwas weiß. Dieses ‘Doppelleben’ bedeutet ständig einen enormen Kraftaufwand. Das kostet 20 Prozent Arbeitskraft – bedeutet, dass die Betroffenen eben 120 Prozent leisten müssen.”

Arzneimittel müssen ständig, regelmäßig und “verlässlich” eingenommen werden. Alle drei Monate stehen für die Infizierten Laborkontrollen an. “Das ist eine große Belastung. Ich kenne etliche Betroffene die Wochen vor der Untersuchung nicht mehr schlafen können – aus Sorge, was bei dem Test herauskommt”, sagte Wilhelm. Wirken die Medikamente noch? Sind nicht Resistenzen entstanden? Abseits möglicher Nebenwirkungen der an sich hoch wirksamen antiretroviralen Therapie, ist unterschwellig noch immer permanent eine lebensbedrohende Gefahr vorhanden.

“Können in Wien nicht alle Agenden abdecken”

Die Aids-Hilfe Wien hat sich in den vergangenen Jahrzehnten speziell der Prävention, der Früherkennung und der Entstigmatisierung der Immunschwächekrankheit gewidmet. “Wir werden für das Aids-Hilfe Haus, das wir mit Hilfe der Gemeinde Wien 1997 eröffnen konnten, international beneidet”, sagte der bisherige Obmann Dennis Beck.

Gleichzeitig hat sich die Rolle der Organisation verändert. “Wir können als Aids-Hilfe in Wien nicht alle Agenden abdecken, aber wir fungieren als Kompetenzzentrum in der Aufklärungsarbeit, in der Prävention und in der Betreuung von Betroffenen”, sagte Beck, der nach seiner Zeit als Geschäftsführer der Aids-Hilfe Wien (1993 bis 1998) und als Geschäftsführer des Fonds Gesundes Österreich (bis 2006) nun die Wiener Gesundheitsförderung (WiG) leitet.

Da geht es um Aufklärung über HIV/Aids in Schulen genauso wie um Besuche von Schulklassen im Haus der Aids-Hilfe. Da geht es um Aufklärung, Präventions- und somit auch Sozialarbeit für bestimmte Bevölkerungsgruppen. “Jugend” trifft man am besten an deren liebsten Aufenthaltsorten, auch in Parks etc. Ein großes Anliegen ist allen Aids-Hilfen auch das möglichst niederschwellige Angebot von HIV-Tests. “Die Aids-Hilfe Wien hat 2015 18,8 Prozent der HIV-Neudiagnosen in Wien gestellt. Das bedeutet, dass wir sehr zielgenau testen. Wir haben eine um das 20-Fache höhere Trefferquote als andere Stellen, die diese Tests durchführen”, sagte Beck.

Es ist noch viel zu tun

“Aber wir erreichen eben noch nicht alle Schulklassen Wiens. Sexuell übertragbare Krankheiten (STIs) und das Thema der Verantwortung beim Sex für sich und den Partner bleiben entscheidende Fragen. Bei den STIs sehen wir in ganz Europa einen starken Anstieg. Das fördert auch die Übertragung von HIV. Wichtig ist auch die Präventions- und Antistigmatisierungsarbeit im Berufsumfeld”, sagte Wilhelm.

Es ist jedenfalls noch viel zu tun. “Wir müssen in Österreich weiterhin von 12.000 bis 16.000 HIV-Positiven ausgehen. Sonst hätten wir nicht jedes Jahr 400 bis 500 festgestellte Neuinfektionen (2015: 428; Anm.). Die Dunkelziffer (Anteil der HIV-Positiven ohne Diagnose; Anm.) liegt in Europa zwischen 30 und 50 Prozent. Wir gehen in Österreich eher von 50 Prozent aus”, sagte Beck.

Prävention ist die einzige Möglichkeit, die Krankheit wirklich zurückzudrängen. Die frühzeitige und effektive Behandlung mit der Unterdrückung des HI-Virus bei den Infizierten reduziert auch drastisch die weitere Ansteckungsgefahr. UNAIDS will bis 2030 die HIV-Epidemie weltweit beendet sehen. Das bedeutet aber auch, dass bereits bis 2020 zumindest 90 Prozent aller Infizierten weltweit ihren HIV-Status kennen sollten und 90 Prozent davon behandelt werden. Bei 90 Prozent der Therapierten soll dann die Virusbelastung im Blut unter der Nachweisgrenze liegen.

“Um HIV/Aids auch in Österreich in dem Zeitplan zu beenden, werden noch intensive Anstrengungen auf allen Gebieten notwendig sein”, betonten Beck und sein Nachfolger als Aids-Hilfe Wien-Obmann, Wolfgang Wilhelm. Derzeit leben weltweit rund 36,9 Millionen Menschen mit HIV/Aids. 15,8 Millionen Betroffene befanden sich Mitte 2015 in Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten.

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(APA)

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