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Obama plant Abschiebestopp für fünf Millionen illegale Einwanderer

Republikaner laufen Sturm gegen Vorhaben - Neue Runde im Budgetstreit droht.
Republikaner laufen Sturm gegen Vorhaben - Neue Runde im Budgetstreit droht. ©AP
Im Alleingang will US-Präsident Barack Obama die größte Einwanderungsreform der Vereinigten Staaten seit rund drei Jahrzehnten durchsetzen. In einer Fernsehansprache stellte Obama am Donnerstagabend (Ortszeit) seine Pläne vor, fast der Hälfte der mehr als elf Millionen illegalen Einwanderer des Landes ein befristetes Bleiberecht zu gewähren.
Abschiebestopp für Millionen

Seine am Donnerstag landesweit übertragene Rede kam einer Kampfansage an die Republikaner gleich, die ab Jänner beide Kammern des Kongresses kontrollieren und gegen die Pläne Sturm laufen. Sie warfen dem Präsidenten vor, wie ein Kaiser zu agieren und de facto Gesetzesbrechern scharenweise Amnestie zu gewähren.

Obamas Rede: Kampfansage an Republikaner

Obama greift zu “Executive Order”

Obama wies solche Vorwürfe zurück. “Unser Einwanderungssystem ist kaputt, und jeder weiß das.” Es gehe besonders darum, Familien davor zu bewahren, auseinandergerissen zu werden. “Ich habe den Kummer und die Angst von Kindern gesehen, denen die Mütter vielleicht weggenommen werden, nur weil sie nicht die richtigen Papiere hatten”, sagte Obama. Er habe Anläufe zu einer umfassenden Reform unternommen, doch die Republikaner im Kongress hätten diese verhindert. Da das Parlament selbst kein Einwanderungsgesetz zustande bringe, greife er zu einem Mittel, das viele Präsidenten vor ihm nutzten: die Executive Order. Mit ihr kann das Staatsoberhaupt unter Umgehung des Kongresses politische Vorhaben in begrenztem Maße anordnen.

“Sie können aus dem Schatten treten”

Obama bietet nun Einwanderern ohne Aufenthaltsgenehmigung unter bestimmten Voraussetzungen einen Weg aus der Illegalität an: Sie müssen seit mindestens fünf Jahren im Land sein und Kinder haben, die US-Bürger sind oder sich legal dauerhaft im Land aufhalten. Außerdem dürfen sie nicht straffällig geworden sein und müssen bereit sein, Steuern zu zahlen. Treffe dies zu, könnten sich Betroffene um ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht bewerben – ohne Angst vor einer Abschiebung. “Sie können aus dem Schatten treten und mit dem Gesetz ins Reine kommen”, sagte Obama. Auch die Hürden für Fachkräfte, Unternehmer und Hochschulabsolventen sollen gesenkt werden. Gleichzeitig kündigte er eine Verstärkung der Grenzwächter an, um illegale Einwanderung zu unterbinden.

Neuer Präsident könnte Anordnung zurücknehmen

Etwa 4,7 Millionen nicht registrierte Einwanderer könnten von der Maßnahmen profitieren. Die Reaktionen fielen dennoch gemischt aus. Die 25-jährige Mexikanerin Blanca Gamez vergoss Freudentränen auf einer Party in Las Vegas. “Das wird unser Leben vollkommen verändern.” Vor dem Weißen Haus in Washington skandierte eine Gruppe auf Spanisch Obamas Wahlspruch von 2008 “Si se puede” – “Yes we can” und stimmte die US-amerikanische Nationalhymne an. Andere gaben sich jedoch skeptisch. Ein neuer Präsident könne Obamas Anordnung zurücknehmen, sagte etwa Norma Martinez. “Und was passiert dann?” Die letzte große Anpassung der Einwanderungsgesetze wurde 1986 vom damaligen republikanischen Präsidenten Ronald Reagan in Kraft gesetzt.

Kritik: Obama handle “wie ein Kaiser”

Der Vorsitzende des Repräsentantenhauses, John Boehner, kritisierte Obama scharf: “Der Präsident hat gesagt, er sei kein König und er sei kein Kaiser. Aber er handelt wie einer.” Einflussreiche Abgeordnete wie Michael McCaul drohten, alle Mittel zu nützen, um Obama zu stoppen. Im Raum steht die Drohung, das nächste Budget nur zu billigen, wenn er explizit eine Finanzierung der Einwanderungspläne verbietet. Im Extremfall könnte das bedeuten, dass es wie vor einem Jahr zu einem Regierungsstillstand kommt, weil die Finanzlage nicht rechtzeitig geregelt ist.

Droht neuer Government Shutdown?

Ein sogenannter Government Shutdown ist auch unter den Republikanern umstritten. Der 16-tägige Stillstand vor einem Jahr kostete die Partei viele Sympathien. Entsprechend pochten vor allem Republikaner, die als potenzielle Anwärter auf eine Präsidentschaftskandidatur 2016 gelten, auf Kompromisse. Die führenden Republikaner im Kongress müssten jetzt zeigen, dass sie die Basis für einen breiten Konsens schaffen könnten, forderte etwa Floridas Ex-Gouverneur Jeb Bush, der Bruder von Obamas Vorgänger George W. Bush.

Einwanderung dürfte eines der großen Wahlkampfthemen werden. Vor allem für Demokraten sind die Stimmen der rasant wachsenden Bevölkerungsgruppe mit lateinamerikanischen Wurzeln wichtig. Obama sicherten sie die Wahlsiege 2008 und 2012. Seine Ex-Außenministerin Hillary Clinton, die Hoffnungsträgerin zahlreicher Demokraten, unterstützte denn auch öffentlich Obamas Plan. Aber der Kongress müsse “die Arbeit jetzt zu Ende bringen”, sagte Clinton, die sich zu aktuellen politischen Themen zuletzt stark zurückgehalten hatte.

48 Prozent lehnen Reformpläne ab

Auf Zustimmung stießen Obamas Pläne bei Menschenrechtsgruppen und bei Regierungen in Lateinamerika. Von den Maßnahmen könne eine bedeutende Zahl von Mexikanern in den USA profitieren, so das mexikanische Außenministerium. Guatemalas Präsident Otto Perez erklärte, die Maßnahmen hätten seine Unterstützung. Das Außenministerium von El Salvador sprach von vorläufigen Erleichterungen.

Einer Umfrage des Fernsehsenders NBC und der Tageszeitung “Wall Street Journal” zufolge lehnen 48 Prozent der US-Bürger die Reformpläne des Präsidenten ab, die Zustimmung beträgt nur 38 Prozent.

Welche Machtbefugnisse hat der US-Präsident?

Mehr als elf Millionen Menschen leben illegal in den USA. Gesetzesreformen scheiterten immer wieder. Nun greift Präsident Barack Obama ein. Es ist bereits sein zweites Einwanderungsdekret. 2012 verschob er die Deportation von jungen Menschen, die vor 2007 ins Land kamen, auf unbestimmte Zeit.

Was ist eine Exekutiv-Order des Präsidenten?

Der US-Präsident hat weitreichende Befugnisse, um vom Kongress beschlossene Gesetze umzusetzen. Er kann aber auch in bestimmten Fällen vorübergehende Maßnahmen in Kraft setzen, die nicht vom Kongress abgesegnet wurden. Die Auslegung ist allerdings umstritten.

Warum agiert Obama am Kongress vorbei?

Obama entschloss sich zum Handeln, nachdem eine Einwanderungsreform erneut im Kongress gescheitert war. Der Senat hatte ein Gesetz beschlossen, doch im Repräsentantenhaus weigerte sich die Republikaner-Mehrheit, darüber abzustimmen.

Kann Obama Abschiebungen stoppen?

Obama kann nicht mit einem Federstrich den rechtlichen Status von etwa elf Millionen illegal im Land lebenden Einwanderern ändern. Er kann jedoch entscheiden, welche Fälle bei Abschiebungen zurückgestellt werden sollen. Zuerst abgeschoben werden: Terrorverdächtige, gewalttätige Kriminelle, Gang-Mitglieder und Menschen, die die Grenze erst kürzlich überquert haben.

Wer kann eine dauerhafte Lösung für Ausländer ohne Aufenthaltserlaubnis finden?

Das kann nur der Kongress, also Senat und Repräsentantenhaus.

Kann das Dekret wieder aufgehoben werden?

Ja. Obamas Nachfolger sind dazu berechtigt.

Gibt es einen Präzedenzfall für Obamas Handeln?

Seit Inkrafttreten des Einwanderungsgesetzes von 1952 haben laut Angaben der Organisation Center for American Progress elf Präsidenten – sowohl Demokraten als auch Republikaner – insgesamt 39 Dekrete zur Einwanderung erlassen.

Was können die Republikaner tun, um Obama aufzuhalten, wenn sie von Jänner an beide Häuser im Kongress kontrollieren?

Die Republikaner können ihre eigene Einwanderungsreform beschließen oder sich weigern, für Obamas Dekret finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Allerdings finanziert sich das Programm aus Gebühren. Im schlimmsten Fall könnten die Republikaner auch mit einer totalen Regierungsblockade drohen, wenn Obama die Verordnung nicht zurückzieht.

Überblick über die Neuerungen

GENEHMIGUNGEN FÜR DREI JAHRE:

Bis zu vier Millionen illegale Einwanderer sollen künftig vor Abschiebung geschützt werden. Sie können ab dem Frühjahr eine auf drei Jahre befristete Arbeitsgenehmigung beantragen. Voraussetzung ist, dass sie sich seit mindestens fünf Jahren in den USA aufhalten und ein Kind mit US-Staatsbürgerschaft oder legalem Aufenthaltsstatus haben, das am oder vor dem 20. November 2014 geboren wurde. Die Bewerber dürfen nicht vorbestraft sein, müssen sich einer polizeiliche Überprüfung unterziehen und Steuern zahlen. Zudem müssen sie eine Bearbeitungsgebühr in der Höhe von 465 Dollar (370,84 Euro) zahlen. Die Genehmigung muss alle drei Jahre erneuert werden.

REGELUNGEN FÜR KINDER UND JUGENDLICHE:

Die Kriterien eines Dekrets vom Sommer 2012, das einen Abschiebestopp für illegale Einwanderer vorsieht, die als Kinder und Jugendliche in die USA gekommen waren, sollen ausgeweitet werden. Rund 600.000 junge Ausländer haben über dieses Programm bereits eine befristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erhalten.

Zu den neuen Kriterien zählt, dass die Betroffenen seit dem 1. Jänner 2010 im Land sein müssen und nicht wie bisher seit dem 15. Juni 2007. Zudem soll die Altersgrenze von 31 Jahren aufgehoben werden. Wie bisher müssen die Bewerber unter 16 Jahre alt gewesen sein, als sie in die USA kamen. Auch die Bedingungen für Schulabschlüsse und zu einer möglichen kriminellen Vergangenheit bleiben unverändert. Arbeitsgenehmigungen sollen von zwei auf drei Jahre verlängert werden.

ABSCHIEBUNGEN:

Abschiebungen sollen sich künftig auf Straftäter und nach dem 1. Jänner 2014 ins Land gekommene illegale Einwanderer konzentrieren. Außerdem soll der Schutz der südlichen Grenze zu Mexiko verstärkt werden. Im Justizsystem sollen die entsprechenden Fälle künftig schneller bearbeitet werden.

LEGALE EINWANDERUNG:

Die legale Zuwanderung soll durch die gezielte Visa-Vergabe an Hochqualifizierte sowie Hochschulabsolventen aus bestimmten Bereichen wie Naturwissenschaften und Ingenieurswesen besser gesteuert werden. Davon könnten etwa 500.000 Menschen profitieren. Ausländische Absolventen von US-Hochschulen sollen künftig nach ihrem Abschluss länger in den USA arbeiten dürfen, ohne ein neues Visum beantragen zu müssen.

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