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Nicht für Elise

(Aus Ürümqi. Endlich ein elitärer Brief des Barons an seinen Schreiber): „Du solltest am Klavier die 6 kleinen Klavierstücke opus 19 von Arnold Schönberg einstudieren, weil die sechs Kleinen Deine große Aufmerksamkeit erregen, weit mehr als irgendeine romantische Elise. Du wirst Unerhörtes ertasten, erhören, memorieren und mit echt geilen „neuen“ Klängen vertraut werden. „Neu“ sind sie ja nicht, denn die ersten 5 entstanden am 19. Februar 1911. Hausverständische sagen, diese Musik sei „dissonant“. So.

Indem er die Konsonanzen in Dissonanzen (vice versa) auflöste, hat Arnold S. ein freies Versammlungsrecht der hierarchisch gefesselten Töne geschaffen. Seit Busonis Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst (1906) wurden von den Komponisten unaufhörlich unerhörte Klangwelten entdeckt, die das wache Hirn zum Überleben braucht. Arnold S. hackte das alte Tonsystem. Das war vor mehr als 100 Jahren. Kein „Diabolus in musica“ mehr, kein Moll, kein Dur, keine Diatonik, die unser Hirn akustisch über zwei Jahrtausende festlegten. Der Grundton wurde vom Podest gestoßen. Das tonalitäre Dualitätsprinzip Kons & Diss wurde in Nichts und Alles befreit. So.

Volk, wissen Deine kluturhauptstädteler Knustplotikeri (Alter ca. 150-200 Jahre) die Neue Musik zu schätzen? Ich fürchte nein, denn ihre Hörerwartung ist um 1850 erstarrt: Klassisch-Romantische Verknöcherung. So.

Arnold S. Zwölftongesetze haben zwar nicht alle, aber immerhin 12 chromatisch aufeinanderfolgende Töne aus der Hierarchie in die Autonomie entlassen, und zwar gleichwertig, und das genau zu einem Zeitpunkt, 1920 nämlich, an dem Kaiser, Könige und Zaren in ihre Gruften plumpsten. So.

Volk, die altvaterischen Hausverständler (Ländlävermesser im Vorarlberger Anzug) onanieren nach wie vor im monarchischen Konzertstuhl und versäumen die Welt. Trenn Dich!

Erwache! Hör auf! Errichte zeitgenössische Klanggebäude! Hör Haas‘ Koma, hör Amanns Hassgeschichte, hör mit Futscher für die Fische! Hör Helbock, Herbert, Gojo! Riskier Stockhausen.
Leider begreifen viele Deiner schicken Gudoldjurop’äer, Konformisten & Gabalieris das Frische nicht, nur Vorgekautes. Ihre Ohren gehören restauriert, damit sie endlich dorthin kommen, wo die Kunst schon vor 100 Jahren war: auf der Höhe der Zeit. Doch fürchte ich, diesen mozärtlichen Haubenköpfen geht nichts mehr auf, einen Erectus kriegen sie grad noch für Elise. Trenn Dich!
Volk, lass nicht zu, von Ladenhütern, die die Botschaft der Zeitgenossen nicht zu kapieren imstande sind, weiter verbildet zu werden. Kons & Diss sind weg, Rinks & Lechz sterben grad. Sonus est! Aber sag bitte nicht „Alles ist Klang“ dazu wie die Eselteriker.“ So. Der Klavierstimmer ist da.

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