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Dialekt als Forschungsobjekt

©Privat
Oliver Schallert erklärt heute im Landesarchiv wieso der Vorarlberger Dialekt natürlicher als Hochdeutsch ist.

Wer in Vorarlberg aufwächst und schlussendlich Sprachwissenschaftler wird, dem müsste die Erforschung des heimischen Dialekts nahe liegen. Dem ist nicht so, zumindest nicht bei Oliver Schallert. „Zur Dialektforschung kam ich wie die Jungfrau zum Kinde“, erzählt der Bludenzer. Im Studium hatte er sich mit der Thematik überhaupt nicht beschäftigt, erst als er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Marburg ein Thema für seine Dissertation suchte, kam die Idee auf. „Aber eigentlich wurde es vom Lehrstuhl angestoßen“, erzählt er.
Seine Erklärung: „Von außen betrachtet sieht man oft erst Erstaunliches. In Vorarlberg ist meist nicht die Standardsprache, sondern Vorarlbergisch die Muttersprache. Fast jeder spricht Dialekt, ob in der Kirchenpredigt oder im Radiointerview. Diese Selbstverständlichkeit hat auch die Konsequenz, dass man den Dialekt als nichts Besonderes ansieht und sich bisher nur wenige damit eingehend sprachwissenschaftlich beschäftigt habe.“ Er tut es mittels Doktorarbeit nun eingehender. „Mein Spezialthema ist die Syntax der Vorarlberger Sprache, der Satzbau. Die Infinitivkonstruktionen finde ich etwa sehr faszinierend. Man kann zum Beispiel sagen: ‚I han vergessa zum ean alüta‘. Was auf Hochdeutsch – ‚Ich habe vergessen zum ihn anrufen‘ – ja gar keinen Sinn macht. Lustigerweise wäre es übersetzt aber perfektes Niederländisch“, sagt er und seine Begeisterung für das Thema schlägt deutlich durch.
Obwohl es in den verschiedenen Regionen des westlichsten Bundeslands zahlreiche verschiedene Mundartvariationen gibt, kann er viele Gemeinsamkeiten entdecken. „Man stößt natürlich auf die Vielfalt und Komplexität. Mir ist wohl bewusst, dass man im Montafon anders redet als im Bregenzerwald. Aber wenn man mit dem Mikroskop wieder hinausfährt, sieht man, dass vom Satzbau und auf der Lautebene vieles gleich ist.“ Verständigungsschwierigkeiten hatte Oliver Schallert im hessischen Marburg kaum. Obwohl der Sprachwissenschaftler auch in Deutschland ungern auf den Vorarlberger Dialekt verzichtet. „Nur in meinen Vorlesungen referiere ich in der Standardsprache. Aber auch dort schlägt die regionale Herkunft manchmal durch.“ Schlimm ist das aber auch nicht: „Die Studenten finden es mitunter amüsant. Das bringt ja fast südlichen Flair mit“, meint Schallert und lacht. Am Lehrstuhl höre man Hochdeutsch ebenfalls sehr selten. „Schließlich ist mein Chef Schweizer. Ich verwende den Dialekt genussvoll als Wissenschaftssprache“, fügt er fast schelmisch hinzu.

Ützgenfatz und Dadaismus
Seine Freunde nennen Schallert „Ützgenfatz“. „Das entstand aus meiner damals entfachten Liebe zu Dada-Literatur. Zu sprachlichen Lauten ohne Inhalt. Den Fantasienamen habe ich mir als Schüler ausgedacht und er ist mir geblieben.“ Ützgenfatz ist auch privat ein Verfechter der Mundart. Denn: „Sie hat viel mehr zu bieten als lustige Laute oder verschiedene Begriffe für Melkkübel.“ Während des Studiums in Salzburg und Tübingen wurden Mitstudenten nicht verschont. „Außer in Referaten habe ich eigentlich immer im Dialekt geredet und bis jetzt habe ich noch jeden dazu gebracht, dass er mich versteht“, meint er vergnügt. Auch seine Marburger Freundin musste erst einmal Vorarlbergisch lernen. „Ein Beweis, dass es möglich ist, Dialekt als Fremdsprache zu lernen“, sagt Schallert.

Zur Person

Oliver Schallert wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Germanistische Sprachwissenschaft in Marburg Geboren: Dezember 1979 Ausbildung: Sprachwissenschaftsstudium in Tübingen und Salzburg Laufbahn: seit 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für germanistische Sprachwissenschaft der Universität Marburg Familie: Ledig

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