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"Mount Olympus": Performance-Exzess bei Wiener Festwoche

Jan Fabre ließ es 24 Stunden lang krachen
Jan Fabre ließ es 24 Stunden lang krachen
Kann Theater weitergehen als "Mount Olympus"? Wohl nicht. Der belgische Theatermacher Jan Fabre fasst in seinem 24-stündigen Performance-Exzess das griechische Theater in seiner Gesamtheit, schafft im Rahmen der Wiener Festwochen im Museumsquartier ein Kondensat der Megalomanie von berückender Schönheit. Die Menschheit als Geschichte von Blut, Schweiß und Sperma.


Mit den 30 Performern seiner Kompanie Troubleyn aus Antwerpen kreiert der 57-jährige Fabre ein Ereignis, das mit einer handelsüblichen Repertoirevorstellung so viel gemein hat wie die griechische Tragödie mit einer Soap-Opera. Der Theatermarathon setzt Samstagabend mit der Geburt der Götter auf dem Olymp ein und wird sich über einen gesamten Tag bis zum Resümee des Dionysos ziehen.

Dazwischen werden die großen Familientragödien der Griechen, die mythologischen Fundamente des Westens durchmessen, durchlebt, durchlitten. Medea und Ödipus, Klytämnestra und Antigone – alle haben Platz in diesem Universum. Gegliedert ist “Mount Olympus” dabei in einzelne Traumbilder, Allegorien, Performanceakte, deren verbindendes Element die Repetition bis zur Trance ist. Die meisten Handlungen gewinnen erst durch die stete Wiederholung an Bedeutung.

Der Technotanz in blutigen Windeln, das Seilspringen eine knappe halbe Stunde lang bis zum Krampf, Klytämnestra und Iphigenie, die den Kindsmörder Agamemnon umtanzen – bis sich einer wehtut. Das legendäre “Sportstück” von Elfriede Jelinek und Einar Schleef wirkt dagegen wie harmloses Aufwärmen. Akteurinnen ziehen sich in quälender Langsamkeit Bänder aus der Vagina, während sie Rezitieren, eine freihand bewerkstelligte Erektion kommt gleichsam als männlicher L’Origine du monde daher, blutige Innereien werden durch den Bühnenraum geschleudert.

Eine Interaktion mit dem Zuschauer im eigentlichen Sinne findet nicht statt. Wenn die Darsteller ihre Rituale vollziehen, bleiben die Zuschauer stets nur Betrachter, die zugleich ihre eigene Körpererfahrung einer 24-Stunden-Aufführung bewerkstelligen müssen, wofür die Festwochen Zahnputzsets und Liegen bereitstellten. In gewissem Sinne schweißt diese gemeinsame Erfahrung die Gemeinschaft aus Künstlern und erstaunlich zahlreich durchhaltendem Publikum dann doch zusammen.

Bei aller archaischen Kraft zwischen Wildheit, Mord und Opfer hat in dieser Bühnenwelt auch immer wieder der Humor Platz, wenn etwa zwei Nackte zwei weiteren in den Hintern sprechen, bis sich die Rede scheinbar nach dem Gang durch die Eingeweide beim oberen entlädt oder wenn ein Marilyn-Monroe-Verschnitt theatral Sperma spuckt. Diese Komik kann jedoch jederzeit unvermittelt in Ernst und Tragik umschlagen.

Dieser Theaterexzess, diese Bereitschaft zur totalen Erschöpfung hat eine eigene Poetik. Hier wird der letzte Schritt gegangen, etwas bis zum Rande ausgeschöpft, in aller Tiefe durchlebt. Zugleich konterkariert Fabre stets die Verausgabung mit ebenso unersättlichen Momenten der Ruhe, in denen das Leise bis zu Unerträglichkeit ausgekostet wird.

Dabei bleibt dieser Festtag des Theatralen nicht auf die Performance, die Aktion alleine beschränkt. Auch die Texte von Fabre und Jeroen Olyslaegers entfalten eine erschlagende, rohe Kraft des Archaischen. Letztlich ist “Mount Olympus” ein Panoptikum des abendländischen Theaters, ein Kondensat aus Hunderten Jahren griechischer Mythologie – und dafür sind 24 Stunden ja nun auch nicht die Welt.

INFO: “Mount Olympus. To Glorify the Cult of Tragedy” von Jan Fabre im Rahmen der Wiener Festwochen im Museumsquartier, Halle E, 1070 Wien. Choreografie: Jan Fabre, Text: Jeroen Olyslaegers/Jan Fabre, Musik: Dag Taeldeman, Licht: Jan Fabre/Helmut Van den Meerschaut, Kostüme: Jan Fabre/Kasia Mielczarek, Duftkonzept: Peter de Cupere. Mit Lore Borremans, Katrien Bruyneel, Annabelle Chambon, Cedric Charron, Tabitha Cholet, Renee Copraij, Anny Czupper, Els Deceukelier, Barbara De Coninck, Piet Defrancq, Stella Höttler, Sven Jakir, Ivana Jozic, Marina Kaptijn, Gustav Koenigs, Colline Libon, Moreno Perna, Gilles Polet, Pietro Quadrino, Antony Rizzi, Matteo Sedda, Merel Severs, Kasper Vandenberghe, Lies Vandewege, Andrew Van Ostade, Marc Moon Van Overmeir, Marleen Van Uden und Fabienne Vegt. Infos unter

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