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Merkel verteidigt "Wir schaffen das"

Angela Merkel steht in der Flüchtlingsdebatte zu ihrem Satz "Wir schaffen das".
Angela Merkel steht in der Flüchtlingsdebatte zu ihrem Satz "Wir schaffen das". ©APA / AFP
Auch ein Jahr nach ihrem Satz "Wir schaffen das" in der Flüchtlingskrise steht die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel weiter ohne Abstriche zu ihrer Einschätzung.

“Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass dieser Satz richtig war”, sagte Merkel am Mittwoch nach Gesprächen mit Italiens Regierungschef Matteo Renzi im italienischen Maranello.Maranello. Der Satz habe eine bestimmte Haltung und eine bestimmte Motivation ausgedrückt. “Ich glaube, dass wir vieles geschafft haben, aber auch etliches zu tun bleibt”, sagte sie. “Aber aus meiner Sicht war dieser Satz berechtigt und richtig.”

Stabilität in Afrika

Gerade Ländern, die auch eine maritime Grenze haben, müsse geholfen werden. Wer kein Aufenthaltsrecht in der EU habe, müsse sie auch wieder verlassen. Dazu müsse aber auch in den afrikanischen Ländern für Entwicklung und Stabilität gesorgt werden.

Migrationspartnerschaften etwa mit den armen Ländern Niger und Mali sollten helfen, dass die Menschen dort eine Perspektive hätten. In Italien – so Merkel – kämen derzeit sehr viel mehr Flüchtlinge an, als in Deutschland. Wichtig sei daneben aber auch das weitere Funktionieren des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei.

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Bürger überzeugen

Die Christdemokratin will die Bürger überzeugen, dass ihre Bundesrepublik mit den Werten Humanität, Menschenwürde, Liberalität, Demokratie, Rechtsstaat, soziale Ordnung und wirtschaftliche Stärke auch so etwas wie ein Versprechen und eine Verpflichtung ist. Für sich und andere. Dass man helfen kann – und muss.

“Es ist ja vor allem ein Satz des Anpackens, den jeder kennt”, sagt Merkel der “Süddeutschen Zeitung” am ersten Jahrestag ihrer denkwürdigen Pressekonferenz. Und sie räumt Fehler ein. Aber mitnichten in der jüngeren Flüchtlingspolitik, so wie es sich CSU-Chef Horst Seehofer so wünscht.

»Ferdinand Scholz on Twitter Nach 1945 hat ein zerstörtes Deutschland über 12 Mio. Vertriebene aufgenommen. Wieso sollten wir heute bei 1 Mio. scheitern? #WirSchaffenDas«

Ausnahme von Kontrolle

Bei der “Grenzöffnung” wie Merkels Entscheidung mit Österreichs damaligen Kanzler Werner Faymann (SPÖ) in der Nacht vom 4. auf den 5. September 2015 genannt wird, als sie in Ungarn festsitzende Flüchtlinge unbürokratisch und ohne große Kontrollen einreisen ließen. Die Grenzen waren aber immer auf. Das ist das Wesen und der Segen des Schengen-Abkommens. Es ging hier um eine Ausnahme von Kontrolle und Bürokratie. Eine Nothilfe.

Merkel räumt Fehler in der Vergangenheit ein. 2004 – da war Gerhard Schröder noch Kanzler – und 2005, in ihrem ersten Jahr als Regierungschefin. “Schon 2004 und 2005 kamen ja viele Flüchtlinge, und wir haben es Spanien und anderen an den Außengrenzen überlassen, damit umzugehen. Und ja, auch wir haben uns damals gegen eine proportionale Verteilung der Flüchtlinge gewehrt”, sagt sie.

»A. Lukas Iff on Twitter Ein Jahr nach Merkels berühmten Satz #Wirschaffendas pic.twitter.com/1khXi2a9iO«

Schwankende Stimmung

Fast eine Million Menschen nahm Deutschland 2015 auf. Die Stimmung schwankt seither zwischen Willkommen und Abschreckung. Die Umfragewerte der CDU-Chefin sind nun vergleichsweise schlecht, die Schwesterpartei CSU und der Koalitionspartner SPD distanzieren sich von ihrem Flüchtlingskurs, Merkels Verhältnis zu CSU-Chef Seehofer ist zerrüttet und das Land weiß nicht, ob die Kanzlerin zur Bundestagswahl 2017 wieder antritt. Sie sagt es einfach noch nicht.

Deutschland hat sich verändert in diesem Jahr. Folgt man der Auffassung von Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) hat sich die Bundesrepublik ihrer humanitären Verantwortung gestellt und ist damit moderner und erfolgreicher geworden als etwa Länder, die sich wie Ungarn, Polen oder Tschechien gegen die Aufnahme von Flüchtlingen stemmen. Man könne nicht Welthandel und Globalisierung wollen und bei einer Flüchtlingskrise die Rollläden herunterlassen, sagt er im Deutschlandfunk. Folgt man aber Merkels Widersachern, hat diese Flüchtlingspolitik Deutschland überfordert und neue Gräben gerissen.

»Johannes Wiedemann on Twitter Überraschende Umfrage: Aktuell glauben mehr Deutsche #Merkels #Wirschaffendas als im September 2015. via @welthttp://welt.de/157913435«

Rechtspopulisten im Auftrieb

Rechtspopulisten haben Auftrieb, oftmals fühlen sich sozial Schwächere Flüchtlingen gegenüber benachteiligt, Bürger befürchten kulturelle und religiöse Konflikte im eigenen Land. Seehofer und nun sogar SPD-Chef Sigmar Gabriel nennen es einen Fehler, dass Merkel keine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen eingezogen hat. Eine solche Begrenzung lehnt die Kanzlerin bis heute ab, weil sie das für inhuman und verfassungswidrig hält. Gabriel hält seit Neuestem dagegen: “Es gibt natürlich so etwas wie eine Obergrenze, das ist letztlich die Integrationsfähigkeit des Landes.” Merkel sagt dazu nur: “Wir haben alles gemeinsam beschlossen.”

Die Flüchtlingszahlen sind inzwischen deutlich gesunken. Gründe dafür sind, dass osteuropäische Staaten ihre Grenzen wieder mit Zäunen abgeschottet haben und die Europäische Union einen Flüchtlingspakt mit der Türkei geschlossen hat. Mit einem Land, das zwar in die EU will, dessen Präsident Recep Tayyip Erdogan sich aber nach dem erfolglosen Putsch von Militärs im Juli einer “Säuberungswelle” in der Bevölkerung rühmt. Merkel wird vorgehalten, dass sie Erdogan mit Samthandschuhen anfasse, um den Pakt nicht zu gefährden. Die Türkei jedenfalls hält viele Flüchtlinge von Griechenland nun fern.

Kritik von Flüchtlingsorganisationen

Flüchtlingsorganisationen und ehrenamtliche Helfer kritisieren, die Große Koalition habe das Asylrecht inzwischen so verschärft, dass den Flüchtlingen das Leben in Deutschland unnötig erschwert und ihre Integration immer noch nicht groß gefördert werde.

Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt sagt: “Statt Schutz der Flüchtlinge geht es heute nur noch um den Schutz vor den Flüchtlingen.” Der Bereitschaft, Flüchtlinge zu schützen, sei ein “lang anhaltender Winter der Restriktionen” gefolgt. Die Merkel-Regierung verhindere so, “dass Flüchtlinge es schaffen.”

Historische Entscheidung

Andere wiederum verlangen noch viel mehr Auflagen, Vorgaben und Härten gegen Asylbewerber, die sich nicht anpassen. Nach der Silvesternacht, in der vor allem in Köln Frauen von Flüchtlingen sexuell belästigt wurden, kippte die Stimmung.

Ein Jahr nach Merkels historischer Entscheidung erscheint noch offen, in welche Richtung sie diese nationale Identität prägen wird. Und ob sie mit ihrer Politik weiter Wahlerfolge haben oder scheitern wird. Sie beteuert aber: “Deutschland wird Deutschland bleiben, mit allem, was uns daran lieb und teuer ist. Aber Deutschland hat sich seit Gründung der Bundesrepublik auch immer wieder verändert. Veränderung ist nichts Schlechtes. Sie ist notwendiger Teil des Lebens.”

Merkels Original-Statement: “Wir schaffen das”

»Flüchtlingspolitik: “Wir schaffen das”-Statement von Angela Merkel am 31.08.2015 Bundeskanzlerin Angela Merkel äußert sich mit ihrem „Wir schaffen das”-Statement auf der Bundespressekonferenz am 31.08.2015 zur Rolle der Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik.«

(APA/dpa)

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