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"Meine Helferinnen haben mir vielleicht das Leben gerettet"

Philip Konzett erinnert sich knapp ein Jahr nach dem Amoklauf zurück an die Nacht des 22. Mai 2016
Philip Konzett erinnert sich knapp ein Jahr nach dem Amoklauf zurück an die Nacht des 22. Mai 2016 ©Sams
Philip Konzett (27) aus Bludenz wurde vor knapp einem Jahr beim Amoklauf in Nenzing lebensgefährlich verletzt. Er erinnert sich im WANN & WO an den Abend zurück.

„Ich bin erst um etwa halb eins auf das Treffen der ‚Lords‘ gegangen. Bisher war ich jedes Jahr dort, doch dies sollte definitiv das letzte sein, also musste ich unbedingt noch hin. Meine Kollegen waren an dem Abend des Amoklaufs bereits vor Ort“, schildert Philip die Situation exklusiv WANN & WO.

Die jährliche Party des Motorradclubs in Nenzing sei immer ein tolles, friedliches Treffen gewesen. Viele, die normalerweise dort anzutreffen sind, seien aber nicht dort gewesen. „Das war sehr skurril. Eine junge Mutter hat mir danach erzählt, dass ihre kleine Tochter sie an dem besagten Abend einfach nicht gehen lassen wollte. Auch andere mussten plötzlich wohin oder fanden keinen Babysitter – als ob sie etwas von der grausamen Tat geahnt hätten.“ Der 27-Jährige stand draußen am Feuer und wollte Bier holen, als er plötzlich von einem unheimlichen Knall überrascht wurde und sich nach hinten umdrehte. „Ich habe genau Richtung Parkplatz gesehen. Zuerst dachte ich an ganz normale Böller, aber dann lag ein Mann blutüberströmt direkt neben mir auf dem Boden. Auch meine graue Jacke war voller Blut. Plötzlich habe ich mich nicht mehr gespürt und ging ganz langsam zu Boden. Dann bemerkte ich, dass ich an meinem rechten Arm von zwei Kugeln getroffen worden war. Der Mann lag tot neben mir und ich versteckte mich mit Todesangst hinter einer blauen Tonne und habe gewartet“, erzählt Philip W&W. Tausend Dinge gingen ihm durch den Kopf, als er die vielen Schüsse mitzählte.

"Überall lagen Verletzte"

„Zuerst dachte ich an eine andere Motorradgruppe, die vielleicht durchdreht – so ähnlich wie in der Serie ‚Sons of Anarchy‘. Ich wusste nicht einmal, wie viele Täter es waren. Einer, zwei oder auch mehrere? Dann gab es plötzlich eine Feuerpause. Ich dachte, scheiße, was ist jetzt los? Kommt der Täter auf mich zu? Läuft er weg? Tötet er mich?“ Der Bludenzer war immer bei Bewusstsein, hat die unfassbare Tat mitbekommen. Philip blickte Richtung Bar, dort sei alles relativ ruhig gewesen. „Es fühlte sich an, als wäre das ein schlechter Horrorfilm – überall lagen Verletzte, mit blutüberströmten Körpern. Mit meiner rechten Hand versuchte ich, mein Telefon herauszubekommen, doch ich hatte keine Chance. Als ich es endlich erreichte, habe ich verzweifelt versucht, Hilfe zu holen. Doch die Notrufzentrale war besetzt. Ich bin mir noch nie so verloren vorgekommen“, gesteht er gegenüber W&W.

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Später erzählte ihm die Kripo, dass in diesen zehn Minuten des Tathergangs 130 Menschen angerufen hätten und die Zentrale deshalb besetzt gewesen sei. Plötzlich erblickte er zwei Frauen, die zu ihm eilten. Der 27-Jährige blutete sehr stark. Die beiden Ersthelferinnen versorgten ihn so lange, bis die Rettung kam und ihn in ein Krankenhaus brachte. „Ich verspürte unfassbare Schmerzen, als ich ins Spital gefahren wurde. Dort haben sie zuerst meine Durchschuss-Wunden zugenäht, um die Blutung zu stoppen. Im Krankenhaus hat mich eine Kollegin des Amokschützen angerufen. Sie teilte mir mit, dass mein Bekannter Gregor S. der Täter wäre. Als ich diese Nachricht hörte, konnte ich nicht mehr. Mir ging es richtig übel. Niemand wusste, dass er eine Waffe besaß.“ Zur anschließenden Gedenkfahrt fuhr Philip mit seiner besten Freundin. Wie er WANN & WO schildert, war das ein wichtiger Abschluss für den Bludenzer.

„Friedliche Events“

Für den 27-Jährigen sind Motorradtreffen aber nach wie vor friedliche und schöne Events, es hätte zuvor nie irgendein Problem gegeben. Er selbst hätte auch keine einzige Sekunde an einen Amoklauf gedacht, die Tat seinem Kollegen niemals zugetraut. „Ich habe Gregor S. als netten Menschen kennengelernt, der sein letztes Hemd gegeben hätte. Umso schlimmer ist es, dass er es war, der auf uns geschossen hat“, sagt der 27-Jährige. Auch seine beiden Ersthelferinnen hat Philip durch einen Aufruf wiedergefunden. Sie haben sich getroffen und pflegen immer noch den Kontakt zueinander. „Das ist wirklich schön, wir schreiben uns noch öfters und haben auch über unsere Probleme nach dem Amoklauf gesprochen. Mein Überleben sehe ich auch als eine Art zweiten Versuch an. Das Leben geht weiter. Ich habe die einmalige Chance bekommen, alles nochmals besser zu machen.“ Er möchte vor allem die positiven Dinge hervorheben. „Bitte lasst den Opfern ihre Zeit, habt Verständnis. Ich möchte mich noch einmal bei meinen Helferinnen, Katharina Ebner und Alina Dellamaria, bedanken, die sich so liebevoll um mich gekümmert haben und mir durch ihren mutigen Einsatz vielleicht sogar das Leben gerettet haben. Ebenso bei meiner Familie, die immer für mich da war. Auch den Betroffenen, Familien, deren Angehörigen und den ‚Lords‘ wünsche ich, dass sie irgendwann damit abschließen können.“

Zum Amoklauf in Nenzing 2016
• Nach einem Beziehungsstreit eröffnete der Täter am 22. Mai 2016 mit einem Kalaschnikow-Nachbau das Feuer auf die Gäste des Festes eines Motorradclubs.
• Insgesamt wurden 14 Personen Opfer des 27-jährigen Vorarlbergers.
• Zwei Opfer starben.
• Der Täter erschoss sich anschließend selbst.

(WANN & WO)

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