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Massaker in Pakistan: Taliban töten bei Angriff auf Schule mehr als 132 Kinder

Taliban-Angriff auf Schule in Pakistan fordert mehr als 140 Tote.
Taliban-Angriff auf Schule in Pakistan fordert mehr als 140 Tote. ©AP
Alptraumszenen in Pakistan: Taliban-Extremisten stürmen eine Schule in der Millionenstadt Peshawar und nehmen Hunderte Schüler und Lehrer als Geiseln. Es folgt ein Blutbad. Die Islamisten ermorden mindestens 132 Kinder und Jugendliche. Insgesamt kommen mehr als 140 Menschen ums Leben, mehr als 250 weitere werden verletzt. Nach stundenlangen Gefechten meldet das Militär, alle sechs Angreifer seien tot.

Der blutige Machtkampf zwischen den Taliban und der pakistanischen Regierung tobt seit Jahren. Im Kampf gegen den Terrorismus gilt Pakistan den Extremisten als Verbündeter des Westens. Mit Terror versuchen die selbst ernannten “Gotteskrieger”, das Land zu destabilisieren und die islamische Rechtsordnung Scharia einzuführen. Nachdem eine Initiative der Regierung, eine Friedenslösung auszuhandeln, scheiterte, führt die pakistanische Armee seit Sommer diesen Jahres eine Offensive durch. Am Dienstag schlugen die radikalislamischen Taliban blutig zurück – und attackierten eine vom Militär betriebene Schule in Peshawar.

Extremisten nehmen 500 Geiseln

Es war einer der blutigsten Terroranschläge in Pakistan seit Jahren und es waren bestürzende Szenen an diesem Dienstagmorgen in der Millionenstadt Peshawar, wo islamistische Talibankämpfer sich über Stunden mit 500 Geiseln verschanzten. Die Extremisten waren in Armeeuniformen in die Schule in der Stadt nahe der Grenze zu Afghanistan gestürmt, hatten das Feuer auf die Schüler eröffnet, Sprengsätze gezündet und hunderte Schüler und Lehrer in ihre Gewalt gebracht.

Mindestens 140Tote und 250 Verletzte

Erstklässler flüchten weinend ins Freie, Mütter suchen Tränen überströmt nach ihren Kindern. Schwer bewaffnete Soldaten umzingeln den Tatort – eine Schule, von der Hunderte Schwerverletzte abtransportiert werden. Die vorläufige Bilanz am Nachmittag, nach der Erstürmung durch Militär und Polizei: Mindestens 140 Tote, darunter mindestens 132 Kinder und Jugendliche.

Berichte: Kinder als menschliche Schutzschilde missbraucht

Pakistanischen Medienberichten zufolge missbrauchten die Taliban Schüler sogar als menschliche Schutzschilde.

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Motiv Rache: Taliban bekennen sich zu Attentat

Zu der Bluttat an den Minderjährigen bekennen sich die Islamisten von Tehrik-i-Taliban (TTP), ein loser Verbund radikaler Gruppen. Ihr Motiv: Rache. Denn die Schule mit rund 1000 Kindern und Jugendlichen – darunter auch Mädchen – wird vom Militär betrieben, ihrem verhassten Gegner. “Wir wollen, dass sie den Schmerz fühlen, den wir fühlen”, sagt einer ihrer Sprecher laut örtlichen Medien.


Tehrik-e-Taliban: Militante Islamisten in Pakistan

Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP) nennt sich die 2007 gegründete Dachorganisation von mindestens einem Dutzend militanter Gruppen, die Verbindungen zum Terrornetzwerk Al-Kaida haben. “Das Ziel unseres Kampfes ist, dem Gesetz Allahs in seinem Land und Volk Geltung zu verschaffen”, sagte TTP-Chef Mullah Fazlullah in einer Videobotschaft im Mai 2014.


 

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Stundenlange Feuergefechte in Schule

In der Schule gab es stundenlang intensive Feuergefechte, wie der Regierungschef der Provinz, Pervaiz Khattak, sagte. Mehrere Explosionen waren zu hören. Nach sieben Stunden meldete die Polizei, alle Angreifer seien getötet worden.

Eine Lehrerin sagte, dass Schüler in den oberen Klassen eine Prüfung schrieben, als die Terroristen das Feuer auf sie eröffneten. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie Soldaten Schüler und Schülerinnen in Sicherheit brachten. Kinder in ihren Schuluniformen mit grünen Pullovern über der traditionellen Kleidung rannten verängstigt ins Freie. Blutüberströmte Schüler und Lehrer wurden aus der Schule getragen. Scharfschützen hatten ihre Waffen auf das Gebäude gerichtet, die Armee fuhr mit Panzern vor.

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“Überall brach Chaos aus”

Ein Schulbus-Fahrer sagte: “Wir standen draußen und plötzlich begann eine Schießerei. Überall brach Chaos aus. Schüler und Lehrer schrien.” Ein Lehrer berichtete vor der Schule, es hätten gerade Prüfungen stattgefunden, als der Überfall begonnen habe. “Nach einer halben Stunde war die Armee da und hat das Gebäude abgeriegelt.” Dann rückten die Soldaten von Raum zu Raum vor.

“Wir waren im Prüfungsraum, als plötzlich Schüsse fielen”, berichtete ein Schüler. “Unsere Lehrer sagten, wir sollten uns flach auf den Boden legen und still sein. Wir sind da eine Stunde gelegen. Es fielen eine Menge Schüsse. Als sie abflauten, kamen unserer Soldaten und brachten uns raus.”

Dreitägige Staatstrauer angeordnet

Ministerpräsident Nawaz Sharif bezeichnete den Angriff als nationale Tragödie und ordnete eine dreitägige Staatstrauer an. “Das sind meine Kinder. Es ist mein Verlust.” Der Regierungschef reiste nach Peshawar, um die Befreiungsaktion zu überwachen.

PAKISTAN TALIBAN ATTACK
PAKISTAN TALIBAN ATTACK ©Pakistanische Journalisten entzünden Kerzen und beten für die Opfer des Anschlags. AP

Malala: “Dieser kaltblütige Terrorakt bricht mir das Herz”

Generell sind den Taliban staatliche und private Schulen verhasst. Das musste etwa die 17-jährige Nobelpreisträgerin und Vorkämpferin für Mädchenrechte, Malala Yousafzai, leidvoll erfahren: Ihr schossen die Taliban vor Jahren ins Gesicht. Am Dienstag steht auch sie unter Schock. “Dieser sinnlose und kaltblütige Terrorakt in Peshawar, der sich vor unseren Augen abspielt, bricht mir das Herz”, erklärt sie in London.

Terror gegen Kinder: Schulen als Zielscheiben

Schulen, besonders solche auch für Mädchen, werden in Pakistan immer wieder zur Zielscheibe für die Extremisten. Sie verbreiten aus ihrer Sicht “westliche Dekadenz” und un-islamische Lehren. Und weil Schulen in Pakistan immer wieder von Islamisten angegriffen werden, geht nicht einmal die Hälfte 5- bis 16-Jährigen zur Schule. Die Angst ist berechtigt, wie das beispiellose Massaker in Peshawar zeigt.

Schüler einer in der Nähe gelegenen Schule werden in Sicherheit gebracht. Foto: AP
Schüler einer in der Nähe gelegenen Schule werden in Sicherheit gebracht. Foto: AP ©Schüler einer in der Nähe gelegenen Schule werden in Sicherheit gebracht. Foto: AP

Schulen gelten als “weiche”, leicht zu attackierende Ziele, weil sie zumeist gar nicht oder nur spärlich gesichert sind. Besonders gefährdet sind reine Mädchenschulen, die den streng gläubigen Dschihadisten ein Dorn im Auge sind. Im Norden und Nordosten des Landes wurden nach offizieller Zählung seit 2009 mehr als 1000 Schulen von Extremisten angegriffen. In vielen Fällen werden die Gebäude nachts in die Luft gesprengt, so dass die Schüler oft länger unter freiem Himmel unterrichtet werden.


Chronologie I: Angriffe von Islamisten auf Schulen

11. Dezember 2014: Während einer Theateraufführung in einer Schule in der afghanischen Hauptstadt Kabul sprengt sich ein jugendlicher Selbstmordattentäter in die Luft. Unter den Opfern ist ein getöteter Entwicklungshelfer aus Deutschland.
10. November 2014: Ein Anschlag auf eine Schule im nordnigerianischen Potiskum reißt mindestens 47 Menschen in den Tod. Das Attentat trägt die Handschrift der Gruppe Boko Haram, die immer wieder Schulen angreift. Der Name bedeutet übersetzt etwa “westliche Erziehung ist Sünde”. Im April 2014 entführten Boko-Haram-Terroristen im Ort Chibok rund 230 Schülerinnen. Von den meisten fehlt bis heute jede Spur.
6. März 2008: Ein als orthodoxer Jude verkleideter Palästinenser dringt in eine jüdische Religionsschule in Jerusalem ein und schießt um sich. Die radikalislamische Hamas bekennt sich zu dem Anschlag mit insgesamt neun Toten.
1. September 2004: Schwer bewaffnete Terroristen nehmen in der Schule von Beslan im russischen Nordkaukasus über 1.100 Geiseln. Zwei Tage später endete das Drama in einer Schießerei mit Sicherheitskräften. Zu den über 360 Toten zählen auch 186 Kinder. Als Drahtzieher werden die tschetschenischen Untergrundführer Aslan Maschadow und Schamil Bassajew sowie ein arabischer Terrorist namens Abu-Said genannt.


Chronologie II: Islamistische Anschläge in Pakistan

Pakistans nordwestliches Grenzgebiet zu Afghanistan gilt als Rückzugsgebiet für radikalislamische Gruppen wie die Taliban oder das Terrornetz Al-Kaida. Bei Anschlägen kamen schon zigtausende Zivilisten und Angehörige der Sicherheitskräfte ums Leben.

November 2014: Bei einem Selbstmordanschlag an der Grenze zu Indien sterben rund 60 Menschen. Ein Jugendlicher sprengt sich an einem Grenzübergang nahe der Stadt Lahore in die Luft.
Juni 2014: Taliban-Kämpfer greifen als Polizisten getarnt einen Flughafen in Karachi an. Bei stundenlangen Gefechten werden die zehn Angreifer und Dutzende weitere Menschen getötet. Die Attacke sei die Rache für Luftangriffe der pakistanischen Armee, sagt ein Sprecher der Extremisten.
März 2014: Die Extremisten greifen ein Polio-Impfteam an, am Straßenrand detonieren zwei Bomben. Zehn Polizisten in Begleitung des Teams sterben. Die Islamisten glauben, die Impfungen seien Teil einer Verschwörung des Westens und sollten Muslime unfruchtbar machen.
September 2013: Bei einem Selbstmordanschlag auf Christen vor einer Kirche in der nordwestpakistanischen Stadt Peshawar kommen rund 80 Menschen ums Leben. Zwei Attentäter sprengen sich nach dem Gottesdienst in die Luft.

(red/dpa/APA)

 

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