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Mach was draus

Eigenauftrag: Das Erbe sich zu eigen machen – eine Herausforderung für ein junges Architektenehepaar.
Eigenauftrag: Das Erbe sich zu eigen machen – eine Herausforderung für ein junges Architektenehepaar. ©Christian Grass
Seit Kindertagen war’s ihm klar. „Das wird Deins sein. Mach was draus!“ So hat’s ihm der Vater ans Herz gelegt – dieses eigenartige Gebilde hinterm Wohnhaus.
Ein Wechselspiel aus Alt und Neu

Über hundert Jahre alt, war das Haus einst genug fürs Wirtschaften eines Bauern – ein kleiner Stall gemauert, Tenne und Bergeraum gezimmert. Doch fast die Hälfte seiner Zeit diente es nur noch als Abstellplatz, angefüllt bis unters Dach mit Brettern, Kisten, Werkzeug, Hausrat, Motorradrahmen, … dazu die ewig lange Leiter – ein Wunderkästchen für Kinderträume. Auch das längst vergangen, man bewohnte mittlerweile als junge Familie das Vorderhaus, es wurde langsam eng und da kam es wieder, das „Mach was draus.“

Leichter gesagt als getan. Warum nicht, wie vielfach geraten, einfach wegschieben und neu bauen, für das Architektenpaar sicher verlockend? Der Kostenvorteil beim Umbau? Eher nicht, wenn man den eigenen Einsatz einrechnet, die intensive Beschäftigung mit der Eigenart des Altbaus. War’s gar das: die Herausforderung, der Substanz auf den Leib zu rücken, ihr Neues abzugewinnen, über das Übliche hinaus, die alten Geschichten fortzuschreiben – mit einem Wort: Intensität?

Heute findet man, geht man ums Vorderhaus herum, ganz selbstverständlich zur Haustür an Stelle des Tennentors, hell trotz ausladendem Vordach. Der freie Blick über zwei Stockwerke gibt einen ersten Eindruck vom Haus. Im Anschluss, rechter Hand, schließt der gemauerte Sockel an – das breit gelagerte Fenster mit tiefer Laibung zeigt: Hier ist das Büro.

Betritt man das Haus, wird’s erst mal dicht. Windfang, Garderobe, Zugang zum Büro, geradeaus ein ebenerdiges Bad, zur linken Stufen auf ein Zwischenpodest, von da Zugang zum Vorderhaus. Eine Kehre, weitere Stufen, die ins Licht führen – man steht vor einem in die Dachfl äche eingelassenem Atrium: ein privater, den Nachbarblicken entzogener Außenraum, zugänglich vom eigentlichen Wohngeschoß. Die Treppe führt über ein weiteres Podest zum Obergeschoß des Vorderhauses mit den Schlafzimmern und schließlich in einen Spiel- und Leseraum unterm Dach.

Als ob der Weg durchs Haus dem Vermächtnis antwortet: Von unten, vom dichten Alltag, schraubt er sich nach oben, zum Licht, macht sich im Wohnbereich bis unters Dach frei, gipfelnd in Ausblick und (noch zu vollendendem) Austritt auf der dem Eingang gegenüberliegenden Hausecke – mit großem Panorama über die Nachbardächer hinweg.

So knüpft das Haus an und erlaubt sich doch große Freiheiten. Es bleibt in Bild und Rahmen der alten Scheune, nutzt das Tragwerk der alten Balken. Dach und Wände sind heutigen Erfordernissen entsprechend ertüchtigt – massive Brettsperrholz-Tafeln (9 cm die Wände, 14 cm im Dach) ergänzen die Statik, erlauben nötige Wechsel, stabilisieren das Raumklima, sind innen sichtbar und tragen die 16 cm Außendämmung, dampfdiff usionsoff en, kein verklebter Plastiksack.

Seinem Charakter bleibt das Haus mit Satteldach und dunkler Holzfassade treu und gibt sich doch als neues zu erkennen: Der klare Baukörper verträgt die großzügigen, doch wohlproportionierten Ergänzungen: so den grau gehaltenen, verputzten Sockel, vor allem aber die große südwestliche Fensterfront mit weißem Rahmen. Dank Raffinesse der Details und Präzision der Ausführung – nicht zuletzt die auf Fuge gesetzte neue Vertikalschalung auf dem alten Fachwerk, die gar an mancher Stelle von innen leuchtet – entsteht ein neuartiger Eindruck, der Alt und Neu in lebhafter Schwebe hält, eins ins andere spielen lässt, changiert.

Eine Haltung, die sich innen fortsetzt. Stark wirkt das alte Gebälk vor dem Hintergrund moderner Holzbauelemente, dem vergüteten Zementestrich (mit Fußbodenheizung), den weißen Gipswänden. Eine freistehende Küche mit Oberflächen aus Edelstahl und brüniertem Zunderblech, Geländer aus Edelstahldrähten, Lichtdecken von Innenräumen aus Polycarbonat – durchaus wohnlich, wie Architektin Alexandra Zumtobel- Chiusole, die Hausherrin ausführt: „Obwohl der Wohnraum doch recht hoch ist, wirkt er auf uns warm und beruhigend.“

Es ist dieses Wechselspiel, das dem Bau sein ganz Eigenes, Lebendiges gibt. Wer käme auf die Idee, in eine verglaste Ecke einen „Baum“ aus alten Balken zu stellen? Dass so etwas Sinn macht, denn es gibt Sicherheit? „Das kann man gar nicht planen. Das passiert. Man hat was vor sich, muss sich davon lösen, muss es nochmals neu denken, länger nachdenken und mit einem Mal wird’s was Neues“, so sieht es Hannes Zumtobel, Architekt.

Daten und Fakten

Objekt: Umbau eines bäuerlichen Wirtschaftsbaus von über 100 Jahren

Nutzung: Wohnräume (Schlafräume im angrenzenden Wohnhaus) und Büro, nicht unterkellert

Größe: 145 m² (einschließlich 35 m² Büro)

Bauzeit: 2010-2011

Planung: Alexandra Zumtobel-Chiusole und Hannes Zumtobel, Klaus

Ausführung Büroteil: Gemauerte Wände, Außendämmung, verputzt, innere Vorsatzschale

Wohnteil Wände: Brettsperrholz-Tafeln, 9 cm, raumseitig Sichtfl ächen, geölt, 16 cm Dämmung auf der Innenseite des alten Fachwerks. Hinterlüfteter Zwischenraum, neue Vertikalschalung mit Sichtfugen auf altem Fachwerk

Dach: Brettsperrholz-Tafeln, 14 cm, wie bei den Wänden auf Bestandspfetten mit Dämmung, Hinterlüftung und neuer Faserzement-Dachdeckung

Decken: Holzdielen 18 cm mit Fußbodenheizung und Fließestrich mit Beschichtung auf Zementbasis

Fenster: Holz und Holz-Aluminium, dreifachverglast

Heizung: Anbindung an bestehende Brennwertanlage, Brauchwasser solar

Holzbau: Gerhard Berchtold, Schwarzenberg

Fenster: Claus Schwarzmann, Schoppernau

Böden: Leite Asphalt, Dornbirn

Schlosser: Günter Spieler, Dornbirn

Baumeister: Zimmermann Bau, Bregenz

Dachdecker: Peter-Dach, Koblach

(Leben & Wohnen)

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
www.v-a-i.at
Nächste Woche lädt das vai am
Freitag und Samstag, 1./2. Juni 2012
nach Dornbirn zum Architekturfestival.
Mehr auf den Seiten 12 und 13 oder unter architekturtage.at

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