Errichtet 1927 als Versorgungshaus und Entbindungsheim unter der Planung des renommierten Bregenzer Architekten Willibald Braun standen in ihm von Anfang an Alter und Geburt Seite an Seite. Zeitgleich entwarf er ein Heim in Dalaas, in Oberlochau und das Sanatorium Gaisbühel. Viele Wöchnerinnen fanden dort Fürsorge und entsprechend lebhaft ist die Anteilnahme der Bevölkerung: Als das Haus 1986 geschlossen werden sollte, stimmte eine Mehrheit für den Erhalt und so wurde das Gebäude erstmals saniert. Um das Jahr 2000 musste das Haus endgültig schließen, jedoch seine emotionale Bedeutung führte zur Entscheidung der Gemeinde, an diesem Standort ein Sozialzentrum zu entwickeln. Einer engagierten Arbeitsgruppe seitens der Gemeinde gelang es, die vielfältigen Nutzungen und deren komplexe Abstimmung mit hohem denkmalpflegerischen, bauökologischem und architektonischem Anspruch umzusetzen. Dies kann nicht genug gewürdigt werden, denn Orientierung an sozialen und qualitativen Maßstäben braucht viel Gespür und Planungsintelligenz. Letztlich füllt die Verdichtung der zahlreichen Institutionen den Ort heute mit Leben an einem durchaus nicht zentralen Standort, dessen Zusammenleben – mit der Architektur und miteinander – eine lebendige Geschichte ist.
2006 schuf das neue Pflegeheim von Architekt Lothar Huber einen offenen Hof zum Altbau, in dem heute ein moderner Garten angelegt ist. Von 2008 bis 2011 wurde der Bestandsbau nach Plänen von Architekt Christian Lenz umgebaut und im Vorjahr wurde schließlich südlich angrenzend eine Wohnanlage für betreutes Wohnen und Sozialwohnungen errichtet, die sich mit ihren Hofflächen verbinden.
Der Altbau wurde ins Zentrum der Konfiguration gerückt, das zentral über den alten Haupteingang erschlossen wird. Im Mitteltrakt finden sich ein Veranstaltungssaal und darüber zwei kleinere, zusammenschließbare Seminarräume, die mittlerweile intensiv nachgefragt und genutzt werden. Zum Hof wurde ein zweigeschoßiger verglaster Zubau vorgelagert, der der neuen Cafeteria eindrucksvoll Raum gibt. Der Vorbereich zu den Seminarräumen im Obergeschoß streckt sich als Galerie in den Luftraum des Cafés. Diese Aussicht gewährt auch das bestehende Stiegenhaus, das den Café-Bereich räumlich spannungsvoll überblickt. Aus dem Obergeschoß gelangt man auch in eine historische Kapelle, die in den Nordflügel eingeschrieben ist. Ein kleiner, aber eindrucksvoller Sakralraum, der sich mit seinem überhohen Innenraum in das steile Satteldach emporreicht. Christian Lenz, der schon zahlreiche Kirchenräume in Vorarlberg gestaltete, hat auch hier gefühlvoll nur den Fußboden mit dunklen Eichenriemen erneuert und zwei zeitgenössische Luster eingehängt, deren Gestalt an das Motiv der Dornenkrone erinnern. Glasfenster und ein kleiner Glockenturm zeichnen die Kapelle nach außen ab.
Obwohl der Architekt bedauert, dass nur die Fassaden, die Kapelle und der Eingangsbereich original erhalten waren, hat er durch die Sanierung mit viel Feingefühl und handwerklichem Geschick die Ausdruckskraft des Bestandes geradezu gesteigert. Im Inneren wurden Gesimse und Putzfelder an Wand und Decken, sowie die subtilen Abrundungen an den Pfeilern erhalten. Handläufe und Terrazzoböden wurden konserviert oder stilsicher ergänzt. Die ablesbar modernen Möbeleinbauten aus dunkler Eiche und vor allem die Ausstattung des Cafés mit violetten Polsterstühlen und großen, eigens entworfenen Lampenschirmen schaffen ein elegantes und stimmungsvolles Ambiente, das mit dem Blick in den Hof, auf die malerisch, abstrakte Landschaftsarchitektur von Barbara Bacher und das Spiel der verglasten Pflegeheimfassade abschließt.
Die Seele dieses Hauses ist eindeutig das Café und dem Cafetier fällt eine wichtige Aufgabe zu. Jemand, der sie mit viel Persönlichkeit und einer reichen, eigenen Geschichte füllt, ist Dietmar Hartmann, langjähriger Croupier, der seiner Leidenschaft und Berufung als Barista, als Kaffee-Sommelier gefolgt ist und nach verschiedenen Reisen um die Welt hier im Herzen des Sozialzentrums, im Café MAE, für duftenden Genuss, Entspannung und leibliches Wohl sorgt. Regelmäßige Seminarbesucher und andere Stammgäste wissen bereits um seine Kompetenz in Sachen Kaffee und er erzählt gerne über seine Reisen nach Costa Rica, wo er selbst die Plantagen der besten Kaffeebauern besuchte. Das große Foto an der Rückwand berichtet von einem frühen Morgen im Dschungel von San Geronimo und von der Herkunft guten Geschmacks. Bei Seminaren oder Hochzeiten ist Vollbetrieb, aber auch an Tagen, wenn alle beim Baden oder beim Kirtag sind, kommt Dietmar gerne. Er kommt, um jener älteren Dame aus dem Pflegeheim den duftenden Kaffee zu servieren, der für sie ein kleiner Lebensmittelpunkt geworden ist.
Daten und Fakten
Objekt: Umbau Sozialzentrum „Im Schützengarten“
Eigentümer/Bauherr: Marktgemeinde Lustenau
Architektur: Arch. Christian Lenz, Schwarzach
Fachplaner: Statik: Mader Flatz, Bregenz; Elektro- und Lichtplanung: Andreas Hecht, Rankweil; Landschaftsarchitektur: Barbara Bacher, Linz; grafische Gestaltung und Leitsystem: Roland Schuster, Götzis; ökologische Begleitung: Umweltverband Vorarlberg
Planung: 2007–2009
Ausführung: 2009 –2011
Nutzfläche: 4000 m² (Sozialzentrum)
Baugeschichte Gesamtensemble: Altbau 1927: Arch. Willi Braun; Zubau Pflegeheim 2006: Arch. Lothar Huber; Umbau Altbau 2011: Arch. Christian Lenz; Neubau betreutes Wohnen 2016: Arch. Dieter Vetter
Bauweise: Bestandsbau denkmalgeschützt, Ziegel massiv, mit Innendämmung (5 cm Kalciumsilikatplatten), Kalkputz; Sanierung Kastenfenster und Einbau von Zweischeibenisolierverglasung im Innenflügel; kontrollierte Be- und Entlüftung
Ausführung: Baumeister: Nägelebau, Röthis; Zimmerer: Gebrüder Keckeis, Lustenau; Fenster: Tischlerei Sternath, Hard; Innenausbau: Raumbau Reumiller, Hard; Außenverglasungen: Alu Glas Technik, Lustenau; Terrazzo: Walo-Bertschinger, Wittenbach (CH); Holzfußboden: Ludovikus G. Hagen, Lustenau; Tischlerarbeiten, Einbaumöbel: Tischlerei Hagen, Lustenau
Leben & Wohnen – Immobilienbeilage der VN
Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
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