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„The Jug“ und der Traum vom Fliegen

Mit Schneekufen ist auch das Fliegen am Platz im Winter möglich.
Mit Schneekufen ist auch das Fliegen am Platz im Winter möglich. ©Edith Rhomberg
Drei Zylinder am Himmel: Mit Spielerei hat das Hobby von Gerd Hollenstein nichts zu tun.
Gerd Hollenstein

Lustenau. Der Traum vom Fliegen dürfte ihn schon als Kind beflügelt haben. Und bis heute ist genug Kind im Mann geblieben, wie er selbst sagt. Als Achtjähriger fing es an mit einem Bausatz, erinnert sich Gerd Hollenstein. „Die Teile habe ich zusammengeklebt und mit Seidenpapier bespannt.“ Damals war das eben ein Kinderspielzeug. Geld für einen Motor gab es nicht, aber die Flieger – hochgezogen an der Schnur wie Drachen – schwebten nach dem Ausklinken im Freiflug dahin.

Heute ist das ganz anders. Jetzt sind die Flugzeuge um vieles größer, motorisiert und Modelle, die berühmten Fabrikaten wie Bücker Jungmeister oder Fokker originalgetreu nachgebaut sind. Der 54-Jährige Lustenauer hat ein Faible für Oldtimer. Als sein absolutes Lieblingsmodell bezeichnet er die P47 Thunderbolt „The Jug“. Allein die Maße sind beeindruckend. Die Spannweite beträgt bemerkenswerte 2,20 Meter, die Länge 1,90 Meter. Der Motor ist ein Dreizylinder Sternmotor, ein Viertakter mit 60 cm³. Also kein Spielzeug mehr. Und es ist eine echte Herausforderung, das gute Stück mittels Fernsteuerung in die Höhe zu bringen, oben zu halten und wieder sicher zu landen. „Höchste Konzentration erfordert zum Beispiel ein extremer Kunstflug“, sagt Hollenstein. Da reichen zehn bis 15 Minuten, bis der Pilot am Boden ziemlich ausgepowert ist. Über das Original seines Favoriten merkt er an, dass das Flugzeug P47D „Tarheel Hal“ im Mai 1945 von Ike Davis geflogen wurde. Mit einer Spannweite von 12,40 Metern und einer Länge von elf Metern war es das größte einsitzige Jagdflugzeug des Zweiten Weltkriegs.

Wir treffen uns bei Hollensteins zu Hause, heute ist kein Wetter zum Fliegen am Platz. Obwohl auch im Winter geflogen werden kann – hierfür gibt es extra Schneekufen. Ein paar Schneeflocken oder Regentropfen machen nichts aus, aber die Elektronik darf keinesfalls nass werden. Die von Gerd Hollenstein gebauten Modelle werden ihrer Größe wegen im Keller des Einfamilienhauses zerlegt gelagert, und so betrachten wir zunächst ein paar Bilder von Exemplaren aus der Sammlung. Dabei erzählt er von der Faszination seines Hobbys. Bei ihm steht das Bauen an erster Stelle, dann kommt erst das Fliegen. Der große Augenblick ist natürlich der Jungfernflug des fertigen Modelles. „Das ist ein Moment mit weichen Knien und extremer Anspannung“, gibt er zu, denn jeder Fehler kann zum Absturz führen.

Zwischenzeitlich gab es auch andere Interessen im Leben des Familienvaters. Das frühe Hobby wich Sportarten wie dem Mountainbike und Triathlon. „Erst als die Kinder Ramona und Felix das gewisse Alter hatten, wurden Modellflugzeuge wieder interessant“, berichtet er. Das war 2004, und die junge Familie hatte gemeinsam richtig Spaß daran. 2006 trat der Lustenauer dem MSFC-Dornbirn bei, dem „Modell Sport Flieger Club Dornbirn“. Während sich seine Kinder mittlerweile wieder ausgeklinkt haben, ist Hollenstein mit mehr Begeisterung denn je bei seinem anspruchsvollen und zeitintensiven Hobby geblieben. „Da kann ich mit meinen Händen etwas herstellen und mich am fertigen Resultat freuen“, sagt er über seine Motivation, genau das in seiner Freizeit zu tun. Das ist es, was sein Bürojob als Projektleiter und Produktentwickler nicht hergibt. Das Handwerk ausüben und das Tüfteln in seiner Werkstatt bezeichnet er als echten Ausgleich dazu. „Das muss alles extrem genau sein“, weiß Andrea Hollenstein, seine Frau. „Diese filigrane Arbeit erfordert viel Geduld“, ist sie überzeugt.

Marke Eigenbau

Und dann ist da sein Meisterstück. Sechs Modelle nennt Hollenstein sein Eigen, das Meisterstück aber ist ein kompletter Eigenbau eines sowjetischen Militärfliegers JAK 9 Warbird. Schon ein ARF-Baukasten – was so viel heißt wie „Almost ready to fly“ – beansprucht für das Zusammensetzen der Teile drei bis fünf Monate. Da lässt sich erahnen, dass für so einen Eigenbau, wenn Teil um Teil mit der Laubsäge aus Sperrholzplatten ausgesägt wird, schon ein paar Jahre draufgehen können. Er machte sich die schwierige Aufgabe noch etwas komplizierter und skalierte die Spannweite, die laut dem 70 Jahre alten Plan 1,40 Meter aufweist, auf ganze zwei Meter. „Und das alles ohne CAD, weil ich im Berufsalltag schon genug am Computer arbeite“, merkt er an. Das Fräsen der Teile mittels CNC kam ebenfalls nicht in Frage, er machte lieber alles von Hand. „Die Motorhaube ist aus Glasfaser laminiert. Das allein sind etwa 100 Stunden Arbeit.“ Mehr muss man fast nicht wissen als Laie. Im Inneren des Flugzeugs befindet sich die Technik. „Das Herz des Ganzen ist der Empfänger“, sagt der Tüftler. Und zu guter Letzt sitzt der Pilot in der Kanzel aus Polycarbonat, fast wie im echten, manntragenden Original.

Ein Modellbauer muss aber keinesfalls im Keller vereinsamen. Ganz im Gegenteil. Beim wöchentlichen Clubabend ist kameradschaftliches Treffen der rund 80 Vereinsmitglieder und gemeinsames Fachsimpeln angesagt. Neue Interessenten, speziell Kinder und Jugendliche, sind da herzlich willkommen. Sie können mit Flugzeugen des Clubs üben und feststellen, ob der Traum vom Fliegen zu ihrem eigenen wird.
Zur Person:
Gerd Hollenstein, Lustenau, geboren 31.8.1962.
Verheiratet mit Andrea, drei Kinder.
Projektleiter bei Noventa AG, Diepoldsau.
Mitglied im MSFC Dornbirn (Modell Sportflieger Club)

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