AA

Raumvorstellungen in Geschichte und Geographie

Wolfgang Scheffknecht referierte über das Raumgefühl, über Heimat und Fremde.
Wolfgang Scheffknecht referierte über das Raumgefühl, über Heimat und Fremde. ©Pezold/Tost
Das dritte Lustenauer Geschichtsforum widmete sich der geschichtlichen Bewegung. Lustenau. (bet/thp) Zahlreiche Vorträge namhafter Referenten standen auf dem Programm des Geschichtsforums, das vom Historischen Archiv der Marktgemeinde Lustenau vom 29.-30. Mai im Theresienheim durchgeführt wurde.
Raumvorstellungen in Geschichte und Geographie

So sprach Isabella Consolati von der Universität Innsbruck über das Neudenken des Raumes in der „Ritterschen Schule“, das auf den Gelehrten und Forscher Carl Ritter (1779 – 1859) – der neben Alexander von Humboldt als Begründer der wissenschaftlichen Geographie gilt – zurückgeht. Niels Grüne, ebenfalls von der Universität Innsbruck skizzierte in seiner Rede die Raum – Loyalitäten jenseits des Kirchturms und hob die Politische „mental maps“ in ländlichen Gebieten des 17. – 19. Jahrhunderts hervor: „In der alten dörflichen und bäuerlichen Kultur endet die Welt an der Dorfgrenze (Kirchturmdenken). Damals bestand das Heilige Römische Reich Deutscher Nation aus mehr als 300 souveränen Staaten, was als Kleinstaaterei (Partikularismus) bezeichnet wurde. Es gab größere Flächenstaaten, kleine und mittlere Fürstentümer, freie Reichsstädte und auch winzige Reichrittergüter, die jeweils unter der absolutistischen Herrschaft eines weltlichen oder geistlichen Fürsten lagen. Aufgrund dieser vielen Staaten verfügte der Kaiser nicht über ein Heer, Einkünfte, Staatskirche und auch eine Reichverfassung. Des Weiteren war der Reichsrat lediglich eine Versammlung von Gesandten und auch das Reichskammergericht besaß keine Autorität, trotz ihres obersten Ranges.

Auf dem Weg zum Gesetzesstaat

Konstrukte der Dorfgemeinschaft als defensive Reaktion auf Modernisierungskrisen gab es erst seit ca. 1800. Der wirtschaftliche Schwerpunkt lag in Süddeutschland im 18. Jahrhundert auf der Agrarwirtschaft. Es gab außerdem auch Gilden oder Zünfte in denen das Handwerk und der Handel organisiert waren. Der Staat unterstütze vor allem die Manufakturen durch Vorrechte oder Zölle um seine Einnahmen durch Steuern zu steigern. Die Arbeit in solchen Betrieben beruhte auf  Produktion, Arbeitsteilung und Lohnarbeit. Durch die zunehmende Bedeutung der Bürger wurde nicht nur ihre politische Macht erweitert, sondern auch ihr ökonomischer Anspruch, sodass gegen Ende des 18. Jahrhunderts Liberalismus und Demokratie auch an Bedeutung gewannen“. 

Söldner in fremden Diensten

Mit der Söldnerschaft in Süddeutschland beschäftigte sich Reinhard Baumann aus München in seinem Vortrag, der auch die besondere Berücksichtigung Vorarlbergs einschloss.  „1515, Marignano”: eine der bekanntesten Jahreszahlen in der Geschichte, sowohl in Frankreich wie auch in der Schweiz. In Marignano stehen sich am 13. und 14. September 1515 die Truppen des Königs von Frankreich, Franz I., und die Schweizer gegenüber, die das Herzogtum Mailand verteidigen. Der Herzog von Mailand, Massimiliano Sforza, dem die Eidgenossen Schutz zugesichert haben, ist zudem mit Papst Leo X. und Kaiser Maximilian I. verbündet. Der lange schwelende Konflikt zwischen Mailand und Frankreich endete am  14. September (Festtag Kreuz Erhöhung) 1515 mit der Niederlage Mailands. Weil auf der Seite Frankreichs Söldner aus den Reihen der Eidgenossen kämpften und auf der Seite Mailands sowie des Papstes offizielle eidgenössische Truppen, war dieses Ereignis für die Schweiz eine wahre Katastrophe. Weil sich die “staatliche” Kriegsführung nur im Landesverteidigungsfall auf eine Art Wehrpflicht (und auch dabei nur auf die Pflicht zur Verteidigung der engeren Heimat) stützen konnte, mussten Krieg führende Mächte Söldner anwerben. Gerade im konfliktreichen 16. Jahrhundert stieg der Bedarf an Soldaten stark an. Vorarlberg wurde – wie die benachbarte Eidgenossenschaft und der schwäbische Raum – zu einem beliebten Rekrutierungsgebiet für Söldner.

Der Solddienst als Wirtschaftszweig

Der Krieg wurde für viele Männer zeitweilig, etwa in der Art einer Saisonbeschäftigung, aber auch auf Dauer zum Beruf. Mindestens jeder zehnte waffenfähige Vorarlberger diente damals mehr oder weniger regelmäßig als Söldner. Damit gewann der Solddienst beträchtliche wirtschaftliche Bedeutung. Zudem eröffnete der Kriegsdienst für die Unter- ebenso wie für die bürgerlichen und bäuerlichen Oberschichten die Chance sozialen Aufstiegs. Auch Dornbirner Söldner scheinen in den Quellen auf. Bereits 1404, während der Appenzellerkriege, stand H. Sutur von Tornbüra im Dienst der Stadt St. Gallen. Der älteste bisher bekannte Soldvertrag stammt aus dem Jahr 1484, als Klaus Schedler gemeinsam mit einigen Feldkirchern in den Dienst Herzog Sigmunds von Tirol trat. Zwar bot der Solddienst zusätzliche Verdienstmöglichkeiten, andererseits kehrten viele Kriegsknechte nicht mehr oder verwundet und arbeitsunfähig zurück. Außerdem führte die Gewöhnung der Söldner an das “raue Schlächterhandwerk ihres grobianischen Zeitalters”, wie es Ludwig Welti formulierte, zu einer merkbaren Verrohung der Bevölkerung“, so der Referent abschließend.

Der Wunschtraum von Unterrätien

„Das Fürstentum Unterrätien hätte Vorarlberg, das Fürstentum Liechtenstein und das St. Gallische Rheintal umfassen sollen“, so Wolfgang Scheffknecht in seinem Vortrag am Samstag. Um Raumvorstellungen und Raumkonzeptionen im Reichshof Lustenau und in der Reichsgrafschaft Hohenems ging es dem Archivar und Leiter des historischen Archivs in seinen Ausführungen. Als ergiebige Quellen erwiesen sich für Scheffknecht die Sterbebücher der Pfarrgemeinden, die viel über die Menschen, deren Lebensart und deren Empfinden für Heimat und Fremde preisgeben. Erstaunlich genau funktionierte die Kommunikation zwischen den Pfarrgemeinden, die tunlichst darauf bedacht waren, dass auch ihre katholischen Schäfchen in der Fremde eine Bestattung in geweihter Erde erhalten würden. Ergiebig als Informationsquelle waren auch die Rechnungsbücher der der Emser Grafen und des Reichshofs Lustenau. Was jedoch sahen die Menschen von damals als Heimat oder als Fremde an? Diverse Vermerke aus Sterbebüchern belegen, dass ein Lustenauer, der in der „Fremde“ verstorben war, tatsächlich keine 30 km entfernt gelebt hatte; in den Büchern von Hohenems z.B. wurde ein Handwerker aus Feldkirch als „Fremder“ bezeichnet. Was sich außerhalb der Stadtgrenzen befand, galt für die Hohenemser und Lustenauer als fremd. War auch das Bemühen da, die Heimat in Form von Unterrätien räumlich auszuweiten, so blieb dies jedoch ein Wunschtraum, der sich nie erfüllen sollte.

Den Besuchern der Vorträge taten sich räumliche Welten auf, deren Erforschung das Maß des üblichen Interesses weit übersteigen würde, erhielten jedoch einen spannenden Einblick in die Thematik. Zur Krönung der lehrreichen Vortragstage unternahm man eine Exkursion nach Hittisau.

home button iconCreated with Sketch. zurück zur Startseite
  • VOL.AT
  • Lustenau
  • Raumvorstellungen in Geschichte und Geographie