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Letztendlich geborgen

"Unser Ziel: Gediegen und den Gewohnheiten der Bewohner gemäß" (Jürgen Stoppel, Projektarchitekt)
"Unser Ziel: Gediegen und den Gewohnheiten der Bewohner gemäß" (Jürgen Stoppel, Projektarchitekt) ©Cyril Müller
Dornbirn - Wenn dann doch, wie Gottfried Benn meinte, am Ende bleibt: Leere und ein gezeichnetes Ich – ein Ich, der Pflege bedürftig? Wie sollen wir diesem Ich beistehen?
Pflegeheim Birkenwiese, Dornbirn

Erfahrung, Wissen, Zuneigung und viele Hände sind nötig – und eine Umgebung, die dieser Lebenslage gerecht wird. Kann Architektur helfen? Darüber ist viel gestritten worden, und über die Frage, wie das gehen könnte. Mit dem Neubau Birkenwiese, einem Wohnheim für bedürftige Menschen, gibt das Büro Baumschlager Eberle eine klare Antwort. Mit 105 Plätzen in Einzelzimmern ist es eine größere Anlage, die sich kompakt auf quadratischem Grundstück über vier Stockwerke entwickelt. Zwei Hauptbaukörper aneinander gegenüberliegenden Ecken beherbergen pro Geschoß je eine Wohngruppe, die sich die zwischengeschaltete Zone teilen, großzügige bemessene und zweiseitig belichtete Ess- und Wohnräume. Gemeinschaftsräume für die Wohngruppen, Wohlfühlbäder und Personalräume für annähernd gleich viel Pflegepersonal ergänzen das Programm. Dazu kommen Außenbereiche, die den Raum der beiden freien Ecken einnehmen. Die Anlage: nachvollziehbar anschaulich.

Ebenso: der Aufbau. Vor sich hat man einen geschlossenen Komplex, zur linken der viergeschoßige Wohnbau, mittig bis zur rechten Ecke einen niedrigeren Baukörper von der Höhe der Fensterbrüstung des ersten Stockwerks. Eine bündige Mauer, Stein, Sichtmauerwerk aus Wasserstrichklinker in wildem Verband. Im Zentrum gibt eine Arkade Blick und Zugang frei zum Hof dahinter. Die Pfeiler dieses offenen Ganges zeigen auf einen Blick die Konstruktion des Ganzen: Zwei tragende Ziegelsteine, Dämmung und Hinterlüftung, ein Stein, massive Vormauerung. Massiv, fest, dauerhaft, nachhaltig – Bauen grundlegend, wie es jeder versteht, Stein auf Stein.

Damit ist der Ton angeschlagen, mit dem das Büro die eingangs gestellte Frage beantwortet. Den Bewohnern Respekt erweisen, indem die Architektur ihre Pflicht – Schutz und Sicherheit zu bieten – entschieden, das heißt solide angeht. Was mit Wänden aus Stein beginnt, setzt sich fort mit Vollholzfenstern, Kalkputz, Marmor- und Eichenböden massiv, Steinzeug oder Naturstein in den Nassbereichen, Einbaumöbeln aus Eiche, Sondermodellen bei der Sanitärausstattung – eine Ausführung, die Staunen macht. „Die Stadt Dornbirn hat nach dem Wettbewerb einen Massivbau in Ziegel bestellt – es gibt keine Leichtbauwand“, berichtet Peter Haas, Projektleiter der Stadt. Wenn man will mit einer Ausnahme: Verbesserung der Akustik durch gelochte abgehängte Decken in den öffentlichen Zonen.

Auftakt macht ein Cour d‘honneur mit Brunnen und Linde vor der Türe, Vorfahrt für die Patienten (Anlieferung seitlich), durch den Gang von der Straße geschieden. Von hier der Eingang mit großem Windfang und einer Lichtskulptur der Künstlerin Miriam Brandl. Heller Empfangsraum mit einem Empfangstresen, der den besten Hotels der Stadt Ehre machen würde. Von hier Blick in den rückwärtigen Hof in Form eines Kreuzgangs. Durch Zuschalten des angrenzenden Mehrzweckraums entsteht ein großer Gemeinschaftsraum mit Fenstertüren dort hinaus. Vom Zentrum gehen die Flure zu den beiden Wohngruppen ab – großzügig bemessen und mit kassettierten Brüstungspaneelen versehen, mit einem wohlgeformten Handlauf aus Eiche auf Rollstuhlhöhe.

Geborgenheit ist weit gefasst: „Wir wollten ein Haus schaffen für die Bewohner, wie sie es von zu Hause gewohnt waren – daher die Kassetten, die Fensterläden, vor allem die Gärten,“ so Jürgen Stoppel, Projektarchitekt. So löst sich das Geheimnis der ebenerdigen Vorbauten: Dachgärten finden sich darauf, mit Kräuterbeeten zwischen hellem Steinbelag. „Das war von Anfang an Bestandteil: viele unterschiedliche Gärten ums Haus. Das wird in der Regel vergessen, und dann schäbig nachgetragen,“ meint Peter Haas. Unter den Gärten findet sich gar ein Sondergarten für Demenzpatienten.

Einzigartig ist die Ausstattung der Zimmer mit einem Pflegelift, der das Bewegen bettlägeriger Patienten erleichtert. Was eine enorme Arbeitserleichterung für die Pfleger ist und so den Patienten zugute kommt. Deren Gewohnheiten entgegenkommend: großzügig bemessene Fenster, inmitten der Wand, die sie selbst öffnen können, mit Läden versehen. „Das hat uns die Erfahrung mit anderen Heimen gelehrt“, so Peter Haas: „Lüftung selber regulieren, keine kontrollierte Be- und Entlüftung der Wohnräume.“ Ist all das zu bezahlen? „Wir haben die Baukosten unterhalb der Förderstufe abgeschlossen – so zu bauen, ist absolut leistbar“, erklärt Jürgen Stoppel. „Das städtische Haus steht allen sozialen Schichten ab Pflegestufe 4 offen“, führt Referatsleiterin Elisabeth Schmidt aus. „Wir hatten das Privileg, aus Erfahrung zu lernen. Das Haus ist einfach gehalten, Größe und Gleichheit zahlen sich aus.“ So gibt es nur ein Fensterformat und die Technik bleibt bescheiden. Der niedrige Energieverbrauch um 20 kWh/m2 im Jahr wird erreicht durch sinnvolle Architektur.

Gediegenheit und Gewohnheiten der Nutzer – das bedeutet bei so vielen Bewohnern sorgfältige Beschränkung aufs Wesentliche, Sicherheit beim Entwurf und Vermeidung gestalterischer Extravaganzen. Ob dazu auch die Kapelle zählt? Die ist schon etwas ganz Eigenes. Ist, genau genommen, der Innenraum – fast die Quadratur des Kreises – nicht eine ferne Referenz an den Bregenzerwälder Barockbaumeister Moosbrugger und seine Rotunde in St. Gallen? Wie auch immer: Die Ausführung aus Zirbenholz – ob die Latten der Wände oder der massive Tisch des Altars – erzeugt einen Duft, der die Berge hereinholt und wunderbar anregt, über diesen und den Bau der Welt zu meditieren.

Daten & Fakten

  • Objekt: Pflegeheim Birkenwiese, Dornbirn
  • Eigentümer/Bauherr: Stadt Dornbirn
  • Architektur: Baumschlager Eberle Lochau, Lustenau
  • Fachplaner/Ingenieure: Statik: SSD Beratende Ingenieure; Landschaftsplaner: Baumschlager Eberle; Elektroplaner: Peter Hämmerle, Lustenau; Haustechnikplaner: Ingenieurbüro Töchterle, Bürs; Brandschutz: Ingenieurbüro Huber, Weiler; Lichtplanung: Lichtimpulse Dieter Heuberger
  • Planung: 2011–2014
  • Ausführung: 2012–2014
  • Grundstücksgröße: 5227 m²
  • Wohnnutzfläche: 7326 m² Keller 662 m²
  • Bauweise: gesamter Bau reine Ziegelbauweise mit Kerndämmung und 11,5 cm Wasserstrich-Klinkermauerwerk; Pfahlgründung, Betongeschoßdecken, Warmdach; Keller aus (wasserundurchlässigem) WU-Beton; Fußböden: Parkettböden, Natursteinböden; Heizung: Wärmepumpe und thermische Solaranlage; Innenwände: verputzte Mauerwerkswände; Fenster: lasierte Weißtanne; Fensterläden und Laibungen aus eloxiertem Aluminium
  • Besonderheiten: Innenhöfe als Kreuzgänge, Dachgärten, Dementen-Garten; Eichentäfer mit Handläufen in allen öffentlichen Bereichen
  • Ausführung: Baumeisterarbeiten: Jäger Bau, Schruns; Fenster: Holzbau Tratter, St. Kanzian (Kärnten); Fensterlaibungen: Bejos Berchtold, Dornbirn; Dach: Tectum, Hohenems; Estrich: Ebner, Lustenau; Böden: Fliesenpool, Götzis; Türen: Prenner Fußach; Schlosser: Klocker, Dornbirn; Heizung/Lüftung: Berchtold, Fässler, Strele, Ender; Elektro: Decker, Weiler; Garten: Pfleger, Nüziders
  • Energiekennwert: 22 kWh/m² im Jahr
  • Baukosten: 15 Mill. Euro

Quelle: VN/ Leben & Wohnen

Für den Inhalt verantwortlich:
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