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Die Mischung macht’s

Vielfach vernetzt Lauterach, Wolfurt, Dornbirn oder Bregenz – alles nur ein paar Schritte weit entfernt.
Vielfach vernetzt Lauterach, Wolfurt, Dornbirn oder Bregenz – alles nur ein paar Schritte weit entfernt. ©Benno Hagleitner
Lauterach. Stadt oder Land? Das ist nicht die Frage. Das Rheintal ist dörflich und urban zugleich. Um beide Qualitäten zu erhalten und zu fördern, muss das Siedlungsgewebe verdichtet werden. Die Wohnanlage Fellentor nimmt die vorhandenen Fäden auf und webt daraus ein stimmiges, gut durchmischtes Muster in den Teppich.
Bilder: Wohnanlage „Üs´r Fellentor“

Von Beginn an sollte die Wohnanlage Fellentor ein Vorzeigeprojekt werden. Und das gleich in mehrerlei Hinsicht. „Durchmischung“ war das Stichwort, das der Wohnbauselbsthilfe und i+R Wohnbau zum Projektstart von der Wohnbauförderung des Landes mitgegeben wurde. Ein Konzept war gefordert, das das soziale Angebot günstigen Wohnraums zur Miete und Privatbesitz Tür an Tür zusammenbringt. Es sollte ein neuer Ortsteil für Lauterach sein, der die vorhandene Infrastruktur nutzt und sinnvoll erweitert, wo verschiedene Funktionen und unterschiedliche Bewohnergruppen zusammenkommen. Ein lebendiges Quartier statt einer Schlafsiedlung war gewünscht.

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2_1_5T5V7304 ©Die Blutbuche wird in ein paar Jahren ein natürliches Dach über den Hof ausbreiten. Sie bekam einen eigenen Betonschacht durch die Tiefgarage, dass sie tief ins Erdreich wurzeln kann. Foto: Benno Hagleitner

Für die Planung bedeuten diese Ansprüche einen gewissen Mehraufwand im Vergleich zum 0815-Wohngebäude, das sich vermeintlich selbst genügt. Um zu gewährleisten, dass die ortsräumliche Einbindung wirklich gut funktioniert, braucht es Gespräch und Kooperation der Bauträger mit Gemeinde und Land, in diesem Fall auch mit den ÖBB, deren Haltestelle nun nahtlos ins Gelände der neuen Anlage überleitet. Es braucht zudem Architektur, die nicht nur gern bewohnt, wer sozialen Anspruch darauf hat, sondern die auch mit Freude gekauft wird. Und es geht vor allem um den Raum zwischen den Gebäuden, die Qualität des sogenannten „öffentlichen Raums“, wenn ein Wohnprojekt dieser Größenordnung mehr sein soll als ein zusammenhangloser Haufen Häuser auf der grünen Wiese.

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2_2_5T5V7287 ©Eine Freitreppe verbindet Vorplatz und Innenhof auf der Südseite. Sie funktioniert als Drehgelenk zwischen öffentlichem Raum und Wohnanlage und ist auch als Sitztribüne einladend. Foto: Benno Hagleitner

„Die richtige Stellung der Bauten zueinander war für uns entscheidend“, erklärt der Architekt Andreas Gimpl von Dorner \ Matt das Konzept der Anlage, „es sollte durchlässig sein für Blicke und Wege, andererseits zu Bahn und Straße hin den nötigen Schutz bieten.“ Die fünf Baukörper mit insgesamt 61 Wohnungen bilden mühlradartig angeordnet einen großen Innenhof in ihrer Mitte. Am Außeneck zur Straße ergibt das flächenmäßig kleinste und mit sechs Geschoßen höchste Haus der Anlage etwas Prominenz, eine Schwerpunktsetzung, die dem einheitlich und ziemlich streng gekleideten Ensemble guttut. Nach Osten, längs der Bahn schirmt ein fünfgeschoßiger Riegel etwas ab, nach Norden und Westen pendelt sich das Ensemble auf drei Geschoße ein. Das ergibt trotz vergleichsweise hoher Dichte eine Nachbarschaft mit angenehmer Maßstäblichkeit, ein Dazwischen, das zum Verweilen einlädt.

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2_3_5T5V7345 ©Die Wohnungen haben Loggien, die als Ausnehmung im durchgängigen Fassadenraster sitzen, das aus weißen Putzbändern und den dunklen Rechtecken der Fenster bzw. Zinkblech- Ausfachungen besteht. Foto: Benno Hagleitner
»“Gute Wegverbindungen und Freiraumqualität waren entscheidend. Es ist mehr als eine Wohnanlage, es ist ein neues Quartier.” (Andreas Gimpl, Projektarchitekt)«
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2_7_5T5V7283 ©Für Hans Schiller von der Wohnbauselbsthilfe ist es nicht nur ein geglücktes Pilotprojekt in Sachen geförderter Wohnbau, es war auch sein letztes vor dem Ruhestand. Rechts: Architekt Andreas Gimpl von Dorner \ Matt. Foto: Benno Hagleitner

Ob Miet-, Mietkauf- oder Eigentumswohnung ist von außen nicht ersichtlich. Das gilt es hervorzuheben, denn nicht selten wird „Durchmischung“ falsch verstanden und es entstehen sozial geförderte Sockelbauwerke mit einer Penthouse-Ebene obenauf. Die Gestaltung im Fellentor ist wohltuend demokratisch strukturiert und dient einer tatsächlichen Vermischung unterschiedlicher Lebensmodelle und Altersstufen. Gemeinschaftlichkeit soll hier Platz haben. Sehr gut schaffen das der Hof und die Aufenthaltsbereiche rundherum, wo eine angenehm lockere Definition von Wegen und Nutzungszonen ungezwungenes Begegnen erleichtert. Hilfreich ist sicher auch der eigens geschaffene Gesellschaftsraum direkt am Vorplatz, der jederzeit von der Bewohnerschaft gemietet werden kann. Das Bäckerei-Café bietet einen zusätzlichen Treffpunkt und ist Schnittstelle nach außen, schafft eine Grundfrequenz, die wichtig ist für ein echtes „Quartiersgefühl“.

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edited by Zsolt ©Eine Bäckerei mit Cafebereich gehört dazu. Das Lokal ist ein willkommenes Angebot für Passanten wie Bewohner und belebt den Vorplatz, der Bahnhofspassage und Wohnanlage nahtlos miteinander verbindet. Foto: Benno Hagleitner

Die Lage neben dem Lauteracher Bahnhof, unmittelbar eingebunden ins regionale Schienen-, Bus- und Radnetz, ermöglicht aber noch einen weiteren Pluspunkt gegenüber vielen herkömmlichen Wohnformen: Die Bewohnerautos finden allesamt in der Tiefgarage unter dem leicht erhöhten Hofniveau Platz. Das ist auch deshalb möglich, weil es pro Haushalt nur ein Auto geben darf, so steht’s im Vertrag. Dafür gab es beim Erstbezug eine Jahreskarte für die Öffis gratis dazu. Wer hier wohnt, braucht kein Auto. Wer die Siedlung besucht, natürlich genauso wenig. Wer, wie der Autor dieser Zeilen, noch mit dem Pkw kommt, muss auf einen der acht Stellplätze hoffen, die für Gäste vorgesehen sind – und wird beim nächsten Mal mit Bus, Bahn oder Rad anreisen. Gut gemacht!

Daten und Fakten

Objekt: Wohnanlage „Üs´r Fellentor“, Lauterach
Bauherrschaft: Wohnbauselbsthilfe, Bregenz
Architekten: Dorner \ Matt Architekten, Bregenz; Projektarchitekt: Andreas Gimpl
Landschaftsarchitektur: Gruber + Haumer, Bürs
Statik: gbd ZT, Dornbirn
Fachplaner: Bauphysik: Bernhard Weithas, Lauterach; Zimmerei: i+R Holzbau, Lauterach; Heizung, Lüftung Sanitär: GMI – Peter Messner, Dornbirn; Elektro: PPC, Lustenau
Projektentwicklung: 4/2010–4/2012
Planung: 4/2012 –4/2013
Ausführung: 4/2013–4/2015
Grundstücksfläche: 7000 m²
Nutzfläche: 4400 m²
Bauweise: Massive Geschoßdecken aus Stahlbeton, Stahlstützen; Fassade: Holzelementbau, partielles Wärmedämmverbundsystem, Lisenen verputzt; hinterlüftete, gelochte Zinkblechkassetten; Innenwände: Gipskarton; Wohnungstrennwände Stahlbeton; Fenster: Französische Fenster, dreifach verglast; Böden: Parkett, Fliesen; Stiegenhäuser: Fliesen, Kugelgarn; Heizung: Grundwasserwärmepumpe und Solaranlage, Verteilung über Bodenheizung; Lüftung Passivhaus: kontrollierte Be- und Entlüftung
Ausführung: i+R Wohnbau (Generalunternehmer)
Heizwärmebedarf: ca. 10 kWh/m² im Jahr

Quelle: Leben&Wohnen – die Immobilienbeilage der “Vorarlberger Nachrichten”

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten.
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