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Kurse für gehörlose Flüchtlinge in Wien: Viele lernen erstmals Gebärdensprache

Ein gehörloser Flüchtling (l.) während eines Kurses von Trainer Marian Molnar (r.) im Schulungszentrum Equalizent in Wien
Ein gehörloser Flüchtling (l.) während eines Kurses von Trainer Marian Molnar (r.) im Schulungszentrum Equalizent in Wien ©APA/EQUALIZENT GMBH
Ein österreichweit einzigartiges Angebot: Seit Jänner 2016 können hier Flüchtlinge, die auf ihren Asylbescheid warten, Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) und Schriftsprache lernen. Anbieter ist das Schulungszentrum Equalizent, das Kurse für hörbehinderte Menschen abhält.
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“Endlich kann ich lesen und schreiben lernen”, sagt Weqar. Der gehörlose junge Mann aus Afghanistan besucht in Wien einen Sprachkurs bei Equalizent.

“Für Flüchtlinge gab es nur Kurse in Lautsprache”

“Im Zuge der Flüchtlingswelle haben wir entdeckt, dass es für Flüchtlinge nur Kurse in Lautsprache gibt. Da sich für gehörlose Flüchtlinge niemand zuständig fühlte, haben wir mit Eigenmitteln einen Sprachkurs gestartet”, erklärte Equalizent-Trainerin und Projektleiterin Katharina Scheidbach anlässlich eines Besuchs der APA. Zwischen zehn und zwanzig Männer aus Afghanistan, Irak, Iran, Somalia und Syrien, die noch keinen Aufenthaltstitel haben, lernen im Schulungszentrum ÖGS und deutsche Schriftsprache, um im Alltag kommunizieren und Anschluss an die Gehörlosen-Community finden zu können.

Eine einmalige Chance für Gehörlose

Zwei Nachmittage pro Woche werden die Flüchtlinge von jeweils zwei Trainern unterrichtet. Für die Kursteilnehmer ist dies eine einmalige Chance. “Ich bin ganz überrascht, dass es hier so viele Möglichkeiten für Gehörlose gibt”, sagt Weqar. Obwohl die Situation der 10.000 gehörlosen Österreicher laut Equalizent auch sehr schwierig sei, sei die Unterstützung, die er und andere Flüchtlinge hier erfahren, im Vergleich zu ihren Heimatländern groß – und vor allem herrsche Frieden. Sein Bruder Wesal erzählt: “Es war ständig Krieg, deshalb waren wir immer irgendwo in Deckung und sind nie aus unserem Bezirk herausgekommen. Wir sind nur von zuhause schnell in die Arbeit gegangen und wieder zurück.” Die Brüder haben in einer Schneiderei Hilfsarbeiten ausgeführt und sind mit ihrem hörenden Vater nach Österreich gekommen.

Kursbesucher sind teils Analphabeten

Der Bildungshintergrund der Kursteilnehmer ist unterschiedlich. Manche haben bereits in ihren Herkunftsländern die nationale Gebärdensprache gelernt, andere sind Analphabeten. Akbar aus Afghanistan war der einzige Gehörlose in einer Schule für Hörende. “Ich wurde gezwungen hinzugehen, obwohl ich nichts verstanden habe und nicht sprechen konnte.” In Österreich lernt er zum ersten Mal eine Gebärdensprache.

Die Finanzierung für den Flüchtlingskurs wurde bisher nicht von der öffentlichen Hand übernommen, so Scheidbach. Auch sei kein alternatives, gleichwertiges Angebot geschaffen worden, deshalb führe man den Kurs weiter. Seit 2004 bietet das Institut Schulungen für Gehörlose zur Verbesserung ihrer beruflichen Chancen sowie Gebärdensprachkurse für Hörende an. Das Unternehmen wurde gegründet, noch bevor die ÖGS als eigenständige Sprache 2005 in die Bundesverfassung aufgenommen wurde, so Geschäftsführerin Monika Haider. Heute sei Equalizent mit 19 hörbehinderten Mitarbeitern der größte Arbeitgeber für Gehörlose in Europa.

“Hier erlebe ich zum ersten Mal Freiheit”

Sobald der Aufenthaltsstatus der Flüchtlinge geklärt ist, können die Teilnehmer in den Intensivkurs “Zwei in Einem – Deutsch und ÖGS für Migrant_innen” wechseln, für den das Sozialministeriumservice bis auf einen kleinen Selbstbehalt die Kosten übernimmt. Alle Teilnehmer betonen, so schnell wie möglich Arbeit finden zu wollen, um der Gesellschaft etwas zurückzugeben. “Hier erlebe ich zum ersten Mal Freiheit”, sagt Ghaith aus dem Irak. Er möchte weiterhin in Österreich leben. “Ich will nicht, dass meine Kinder Kriegserfahrungen machen müssen. Ich möchte, dass sie ein freies, positives Leben führen können.”

Die Brüder Wesal und Weqar wollen auch bleiben und eine Berufsausbildung machen. Der Iraner Amir erzählt, er sei in seinem Heimatland als Gehörloser von der Polizei schikaniert und als Lügner bezeichnet worden. Er könne sich aber vorstellen, in den Iran zurückzukehren – vorausgesetzt, die politische Lage ändere sich: “Jetzt muss ich in Österreich bleiben, sonst wäre ich sofort tot.”

Mehr Infos zu den Kursen für gehörlose Flüchtlinge finden Sie auf der Webseite des Schulungszentrums.

(apa/red)

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