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Dichtung und Wahrheit – neuerdings

"Einfache, doch anspruchsvolle Architektur, die ganz viel kann." (Bgm. Arnold Hirschbühl.
"Einfache, doch anspruchsvolle Architektur, die ganz viel kann." (Bgm. Arnold Hirschbühl. ©Adolf Bereuter
Krumbach - Einer Sache auf den Grund gehen, den Kern treffen, sie auf den Punkt bringen – die Worte sagen: Ein jedes Ding hat seine Mitte, aus der es sich entfaltet.
Pfarrhaus Krumbach

Im Gespräch mit Bürgermeister Hirschbühl aus Krumbach gewinnt man ein Gefühl, was das heißt: Aus dieser Mitte, aus der Gemeinde, kommen die Fragen, die ihn umtreiben; von da gewinnt er seine Kraft, Lösungen zu suchen und die eine oder andere Antwort zu finden. Es ist ein Weg, auf den die Worte Dichtung und Wahrheit ganz gut treffen, und ebenso bezeichnen sie, worum es bei der Sache selbst geht – die Frage, was ein Dorf im 21. Jahrhundert sein soll.Denn selbstverständlich ist das nicht mehr – längst sind Bauern, die es einst prägten, Minderheit. Was kommt dann? Für Hirschbühl: Konzentration auf den Kern, die eigenen Stärken. Das sind die Kultur dieser Siedlung und die Natur drumherum – Ressourcen, aus denen sich schaffen lässt und die man pflegt. Was abstrakt klingt, ist bei ihm ganz konkret: die Natur ums Dorf von Zersiedlung frei halten und die Dorfmitte verdichten – durch Angebote für alle Dorfbewohner, ob gebaut oder veranstaltet.

Die finden ihre Beschäftigung vielfach außerhalb des Dorfes und so sind sie auf gute Anbindung angewiesen. Der öffentliche Nahverkehr wird also geschrieben und so ist es fast logisch, dass Krumbach mit Bushaltestellen – Busstopps – im letzten Jahr viel von sich reden gemacht hat. Aber dieser Verkehr führt natürlich in die Mitte des Dorfs, wo mehrere Linien verknüpft sind und das große Dach dafür nach Plänen der Architekten Bernardo Bader, René Bechter und Hermann Kaufmann ist selbst Zeichen der neuen Mitte, umgeben von neuen Häusern mit gemischten Wohnformen und Geschäftsräumen.

Neue Mitte braucht aber mehr: Sie findet in den Köpfen statt. Und so leistet sich Krumbach, was heutzutage kaum jemand erwartet: ein neues Pfarrhaus. Unterstützt durch die Diözese hat die Gemeinde einen Bau errichtet, der das alte, marode Pfarrhaus ersetzt. Der bietet Pfarramt und -Wohnung Raum, vermag aber mit Dorfsaal, Musikräumen und Bibliothek weit mehr als der Vorgänger. Entscheidend: nicht nur, was da an kulturellem Angebot dazugekommen ist, sondern: wie.

Ein halbes Jahrzehnt ist es her, dass sich die genannten Architekten in einer Studie mit dem Dorfkern, seinen Defiziten und Chancen befassten. Kirch- und Dorfplatz mit Pfarrhaus wurden als ein Problem erkannt und daraus entwickelte sich der gemeinsame Entwurf für das neue Haus. Mit dem Haus erhielt Krumbach einen würdigen Ortseingang, der zentrale Platz wurde um Räume der Öffentlichkeit bereichert, die Beziehung zum angrenzenden Kirchplatz entschieden verbessert. „Dieser Bau ist der Schlussstein des Ortskerns“, so Hermann Kaufmann, „Früher ist man durch den Ort durchgefahren, heute hält man und staunt. Das hat Zeit gebraucht – und beweißt: Man kann adäquat dem historischen Vorbild zeitgemäß bauen.“ Der kompakte Bau mit Zeltdach ist von der Art zeitloser, stattlicher Amtsbauten. „So etwas wieder zu machen, ist heute schon ein Kontrapunkt – das Dach von Krumbach“, betont Rene Bechter. Mit den Fenstern der öffentlichen Räume wendet es sich dem Platz zu. Am Gelenk der beiden Plätze befindet sich – mit einer Loggia tief ins Gebäude eingezogen – der Eingang. Nicht nur am Sonntag nach der Kirche zeigt sich, wie das den Plätzen guttut. Mit dem prächtigen Nussbaum hat Krumbach nun seine Mitte: „Das Haus lebt mit dem Platz und dem Platz tut es gut,“ schließt der Bürgermeister.

Ein Bau auch konstruktiv an der Nahtstelle von Ort und Landschaft: ab der Bodenplatte Holz – Eigenholzbringung aus den Wäldern der Gemeinde. Mit seinem Wechselfalzschirm aus sägerauher Fichte spielt er auf landwirtschaftliches Bauen an; innen in neuer Wäldertradition Weißtanne, Boden und die Laibung der großen Fenstern Eiche. Die körperhaft betonte Geborgenheit von geschlossenen Wänden wechselt mit großzügigen Blickbezügen. In diesem Wechselspiel, fein ausbalanciert, gewinnt der Entwurf seine besondere Qualität, die bis ins Detail durchgehalten wird. Wohlüberlegt die Raumfolge: der großzügige, wettergeschützte Eingang an der Ecke gegenüber der Kirche mit Blick auf den Platz, dann ein offenes Foyer, von dem man in den Pfarrsaal sieht. Seitlich, ebenso einsehbar, das Treppenhaus zur Bibliothek im Obergeschoß und den Musikübungsräumen im Untergeschoß. Pfarrbüro und Pfarrwohnung sind vom öffentlichen Trubel abgewandt und nach Süden orientiert. Räume der Gemeinde sind auf Blickbeziehung zum Platz angelegt, über Eck belichtet und mit Lüftungsflügeln ausgestattet. „Besucher sind erstaunt, wie großzügig die Räume mit ihrer Auskleidung in Weißtanne in dem knappen Volumen ausfallen. Und das bei diesem Vorraum, der auch mal zu einer Agape einlädt“, erzählt Bernardo Bader.

Ein Bau auf der Höhe der Zeit, möglichst aus lokalen Baustoffen, mit Passivhausstandard, dessen geringer Wärmebedarf problemlos durch die kommunale Hackschnitzelanlage gedeckt wird. „Ein wahres Kommunikationszentrum in der Ortsmitte – und es lässt sich sagen: angenommen, man glaubt’s kaum. Ein einfaches, und doch in seiner Architektur anspruchsvolles Haus, das ganz viel kann“, lobt Bürgermeister Hirschbühl.

Daten & Fakten

Objekt: Kultur- und Mehrzweckgebäude, Pfarrhaus Krumbach
Bauherr: Gemeinde Krumbach Dorf 2, Krumbach
Architekten: ARGE Bernardo Bader Architekten, Bechter Zaffignani Architekten, Architekten Hermann Kaufmann
Statik: Merz, Kley und Partner, Dornbirn
Planungsdaten: Planungsbeginn Ende 2011
Baubeginn: Herbst 2012
Fertigstellung: November 2013
Objektdaten: Bruttogeschoßfläche 1130 m2
Nutzfläche: 904 m2
Nutzung: Pfarrsaal und Chorprobenraum, Pfarrkanzlei, Musikprobelokal, Bücherei und Pfarrwohnung
Projektdaten: Konstruktion: Keller in Stahlbeton Massivbauweise; Obergeschoße, Zwischendecken und Dachkonstruktion in Holzbauweise
Technische Daten: Heizwärmebedarf 9 kWh/m2a

Quelle: VN/ Leben & Wohnen

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