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Kriminalstatistik 2016: Plus bei Anzeigen, Kritik an Aussagekraft

Die komplette Kriminalstatistik für 2016 wird am kommenden Montag veröffentlicht.
Die komplette Kriminalstatistik für 2016 wird am kommenden Montag veröffentlicht. ©APA (Symbolbild)
Kommenden Montag wird Innenminister Wolfgang Sobotka die Kriminalstatistik 2016 präsentieren. Tendenzen sind bereits jetzt bekannt, ein Kriminalsoziologe übt scharfe Kritik an der Aussagekraft des Berichts.
Die Crime Map für Wien

Die Kriminalstatistik 2016, die Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) am kommenden Montag präsentieren wird, dürfte ein Anzeigenplus um rund drei Prozent gegenüber 2015 ausweisen. Außerdem wurde ein Anstieg der Zahl tatverdächtiger Asylwerber von rund 14.000 auf 22.000 errechnet. Unterdessen kritisieren Experten heftig, wie die Kriminalstatistik erstellt und präsentiert wird.

So dürfte der Anstieg der Strafanzeigen vor allem auf die Deliktsbereiche Cybercrime und Drogen zurückzuführen sein, sagten Experten der APA. Im Bereich Cybercrime wird schon lange bemängelt, dass es sich um “Kraut- und Rübendelikte” handle, in das so ziemlich alle Straftaten hineinfallen, bei dem ein elektronisches Gerät als Tatmittel verwendet wird: die Pensionistin, die im Onlineshop ein Produkt bestellt und nicht bezahlt, genauso wie eine DDOS-Attacke auf den Flughafen.

Drogendelikte wiederum sind reine Kontrolldelikte: Je mehr kontrolliert wird, desto mehr Anzeigen gibt es. Dazu kommt, dass im Vorjahr das Suchtmittelgesetz (SMG) novelliert wurde und mit 1. Juni 2016 als neuer Tatbestand der Drogenhandel im Öffentlichen Raum eine eigene Bestimmung wurde, mit dem die Polizei besser für die Strafverfolgung der Straßendealer an den Wiener Hotspots gerüstet sein wollte.

Kriminalstatistik: Erklärungsversuche zu Anstieg bei Asylwerbern

Die gestiegene Zahl der tatverdächtigen Asylwerber – hier geht es oft um Gewaltdelikte – lässt sich Insidern zufolge sehr leicht erklären: Zum einen durch die höhere Gesamtzahl an in Österreich lebenden Asylwerbern, zum anderen – und vor allem – durch die Verfahrensdauer. Anfang 2015 musste ein Asylwerber im Schnitt drei Monate auf die Erledigung seines Verfahrens warten, Ende 2016 war es drei Mal so lang. “Das sind neun Monate in prekären Wohnverhältnissen”, sagte der Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl vom Vienna Center for Societal Security (Vicesse) der APA.

Außerdem seien diese Delikte “intrakulturell”, Täter und Opfer kommen also aus dem selben kulturellen und/oder sozialen Kreis. Dies ließe sich zwar leicht damit erklären, dass das Aggressionspotential bei neun Monaten in prekären Wohnverhältnissen ohne Rückzugsmöglichkeit und Privatsphäre – und das bei oft traumatisierten Menschen – steigt. Untersuchungen dazu gibt es in Österreich aber bisher nicht. “Wir haben nur internationale Erfahrungswerte”, sagte Kreissl.

Kritikpunkte an der Kriminalstatistik

Das ist im Endeffekt einer der Hauptkritikpunkte an der Kriminalstatistik: Bereits vor Jahren wurde eine “Kriminalstatistik neu” angekündigt, die wissenschaftlich begleitet würde. Passiert sei bisher nichts dazu, so Kreissl. Initiativen in Teilbereichen seien bisher entweder im Pilotstadium stecken geblieben oder man kontrolliere sich quasi selbst, wie der Experte anhand der Evaluierung des Community Policing-Projekts “Gemeinsam sicher” erneut kritisierte. Das Projekt wird vom Bundeskriminalamt koordiniert und nun bei der Fachhochschule Wiener Neustadt evaluiert. Allerdings handle es sich bei den Leitern der Bachelor- und Masterstudien-Gänge in der Sicherheits-Fakultät der FH Wiener Neustadt um Spitzenbeamte des Bundeskriminalamts, was eine unabhängige Evaluierung des Projekts nicht fördere, so Kreissl.

Unschärfen gibt es aber schon bei den Möglichkeiten für den Eintrag in die Kriminalstatistik. Hier wies der Kriminalsoziologe auf die Klassifizierungen fremder Tatverdächtiger hin, “die nicht wissenschaftlichen Kriterien entsprechen”. So wird zwischen Arbeitnehmenden, Asylwerbenden, Fremden ohne Beschäftigung, Familiengemeinschaft in Österreich, unrechtmäßig Aufhältigen, Schülerschaft/Studierenden, Selbstständigen und Touristen unterschieden. “Das heißt, es handelt sich bei dieser Klassifizierung um eine Vermengung von Berufsangaben und Aufenthaltsstatus”, kritisierte Kreissl. Zu vermuten sei, dass dies schon beim Eintrag in die Statistik zu Unklarheiten führe.

Außerdem sei die einzig wirklich seriöse Angabe zur “Ausländerkriminalität” ein Abgleich fremder Tatverdächtiger mit der Wohnstatistik. Dafür wiederum müssten aber all diejenigen herausgerechnet werden, die keinen aufrechte Meldung in Österreich hätten.

Was in dem Bericht fehlt

Komplett fehlen in Österreich laut Kreissl sogenannte “Police performing indicators”. “Fragen wie ‘wie arbeitet die Polizei’, ‘wie viele Notrufe gibt es’, ‘welche Art von Notrufen ist vorherrschend’, ‘wie lange braucht die Polizei, um beim Bürger zu sein’, ‘wie viele Polizeiübergriffe wurden gemeldet und wie ist man damit umgegangen’ fließen nicht ein. Es gibt keine Kundenzufriedenheitsbefragung”, bemängelt Kreissl.

Der Kriminalsoziologe wies vor allem auf die selektive Veröffentlichung der Kriminalstatistikdaten hin: “Die Daten werden für die eigene Verwendung zurückgehalten. Damit wird auch eine unabhängige Evaluierung verhindert.” Und es gebe eine “Argumentation mit Zahlen, die nicht haltbar sind”. Als Beispiel brachte Kreissl den in jüngerer Vergangenheit öfters gehörten Satz “sieben von zehn Frauen fürchten sich”: “Wenn man nachfragt, bekommt man die Zahlen nicht. Es gibt keine Evidenzen, aber es gibt die Strategie ‘Governing through crime’: Wenn ich sage, ihr müsst euch fürchten, versammelt euch hinter mir, ich mache das schon”, sagte der Experte. Er wies im übrigen darauf hin, dass Sexualdelikte großteils innerhalb der Familie verübt werden. Zuletzt waren mehrere Fälle schwerer sexueller Übergriffe im öffentlichen Raum diskutiert worden.

(APA, Red.)

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