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Konkrete Utopie - das Traumhaus fürs Leben

©Darko Todorovic
Bei der Realisierung ihres eigenen Hauses ging Architektin Daniela Tomaselli keine Kompromisse ein. Sie entwickelte einen raffinierten Split-Level-Grundriss mit Satteldach und Büro aus Leichtbeton, der ihr und ihrer Familie ein perfektes Lebensumfeld bietet.

Daniela Tomaselli ist praktizierende Architektin, ihre eigene Bauherrin, vierfache Mutter und Ehefrau in Personalunion. Nur so konnte sie sich und ihrer Familie ein Haus zum Leben und Arbeiten realisieren, das genau ihrem Ideal von hochwertiger, zeitgenössischer Architektur entspricht. Vom Erstentwurf bis zur Umsetzung ging sie dabei keine Kompromisse ein. So entstand ein ganz und gar einmaliges Haus. Eigentlich sind es zwei rechtwinkelig zueinander angeordnete Häuser mit Satteldach, die sich ineinander verzahnen. Das eine, von Norden nach Süden orientiert, kompakt und klein – 9 Meter breit, 14 Meter lang, 10 Meter hoch – mit Parkplatz an der Straße im Westen, eigenem Eingang, Vorraum, Sanitärzelle und einem Fenster nach Süden ist das Büro. Das andere – 11 Meter breit, 20 Meter lang, 15 Meter hoch – gleitet etwas abgerückt im rechten Winkel dazu wie das große Mutterschiff von Westen nach Osten an der Terrasse im Süden entlang. Es ist zum Wohnen da und entert im ersten Stock – als Bibliothek und privates, split-geleveltes Wohnzimmer das Satteldach des Büros. Hier ist nichts dem Zufall überlassen. „Es ist ein Generationenhaus“, sagt Daniela Tomaselli. „Man könnte es innen trennen.“Beton ist eine große Leidenschaft der Architektin. Das Material hat eine ganz eigene, raue Ästhetik, lässt sich beliebig formen, ist so gut wie unverwüstlich, zeitlos schön und beständig. Sie beschloss, ihr Haus ganz daraus zu entwickeln – mit einschaligen, monolithischen Wänden aus Leichtbeton, ohne Kerndämmung. Diese Mauern sind so stark, wie sie wirken: tragend, gestaltbildend, dämmend. Sie geben dem Haus eine große Ruhe und Kraft. Die Außenmauern sind 50 cm stark, was man an den messerscharf eingeschnittenen Fenster- und Türöffnungen deutlich erkennt. Glücklicherweise wissen Vorarlberger Baufirmen mit normalen Doka-Schaltafeln den Sichtbeton auch perfekt seidig-glatt umzusetzen. „Es war echt eine schöne Bauzeit. Die Handwerker hatten ihre Freude an dem Haus“, so Tomaselli, die die Möglichkeiten des Materials ausreizen wollte. „Es hat mir Spaß gemacht, auch mit dem Surrealen zu spielen und alte Formen auf eine neue Art umzusetzen.“ Nun kragt der nordöstliche Teil des Hauses gute drei Meter weit aus, schwebt rund 1,20 Meter hoch über dem Boden der Morgensonne entgegen und wirft einen scharfen Schatten auf die Wiese. In diesem vorwitzig auskragenden Hauseck befindet sich die Wohnküche, die ein quadratisches Fenster im Osten ins Licht der Morgensonne taucht. Sie ist das absolute Herz des Familienlebens.

Das bemerkenswerte Detail der schwebenden Stirnseite des Hauses, das konsequente und klare Bekenntnis zu einem bestimmenden Material, sowie die tief eingeschnittenen, fast durchwegs quadratischen Fensteröffnungen und das graue, steile Satteldach, das ohne Dachvorstände und sichtbare Regenrinne auskommt, geben dem Haus einen sehr abstrakten Touch. Es wirkt fast wie ein Kartonmodell. Und doch war es der Architektin wichtig, dass es sich bei all seiner Eigenart in die fast unwirklich idyllische kleine Ortschaft Nenzing einfügt. Umgeben von alten Obstbäumen, steht das Haus auf einem 1200 m2 großen Garten in einer Streusiedlung, in der es viele alte Bauernhäuser gibt. Der Nachbar hat Bienenstöcke.

Im Westen verläuft die Straße, man betritt das Haus im Nordwesten, wo die zwei Baukörper, die sich im Süden L-förmig um die Terrasse winden, einen kleinen Vorplatz bilden. Neun Stiegen führen zwischen zwei Betonmauern zur Eingangstür und zelebrieren das Betreten: Ein Podest verbindet die Garderobe im Norden mit der langen, abgetreppten Raumsequenz aus Wohnen und Kochen im Süden. Dazwischen führt zwischen den zwei Wandscheiben in direkter Verlängerung der Außentreppe die Stiege in den ersten Stock, wo sich um einen geräumigen Spielflur das Kinderbad und die vier Kinderzimmer aneinanderreihen. Jedes hat sein Fenster an einer anderen Stelle der Wand und damit eine ganz eigene Atmosphäre. Der fast sakral anmutende, hohe Raum unter dem Satteldach ist den Eltern vorbehalten. Die spitz zulaufenden Dachflächen aus Beton geben ihrem Schlafzimmer eine Geborgenheit, die ein wenig an eine geometrisierte Höhle denken lässt.

Alle Wände, Decken, Stiegenuntersichten und Dachschrägen sind aus ein und demselben glatten, grauen Sichtbeton, in dem die Fenster wie eingestanzt wirken. Außen bilden die Glasflächen, die den Himmel reflektieren, einen lebendigen und zarten Gegensatz zur monolithischen Betonwand. Innen lassen diese Öffnungen, die in jedem Raum ganz bewusst gesetzt sind, das Sonnenlicht und die Umgebung in all ihrer Buntheit förmlich ins Haus fallen. Das wird besonders im Erdgeschoß sehr deutlich, wo durch eine raumhohe Glasschiebetür der Esstisch optisch fast auf die Terrasse kippt. Ein Boden aus geräucherter Eiche erdet den Raum, von dem drei Stufen hinauf in die Wohnküche führen. Eine Eckbank aus Filz zieht sich um den großen Tisch. Wenn Daniela Tomaselli auf dem großen, frei stehenden Küchenblock aus schwarzem Corian kocht, sieht sie durch das Morgensonnenfenster in den Garten und durch das Nordfenster auf die Straße, wer da kommt. „Wir haben eine sehr kommunikative Küche mit Sitzecke. Wir essen hier dreimal pro Tag. Das ist ein Wohnbereich – hier passiert fast alles.“ Der angrenzende, drei Stufen tiefer liegende Esstisch kommt bei großfamiliären Anlässen zum Einsatz. Dahinter steht ein Kamin aus Schwarzstahl mit gläserner Tür, durch die man das Feuer beobachten kann. Von hier gelangt man über eine Treppe in die Bibliothek unterm Dach vom Büro: hier sorgen von Tomaselli entworfene Kästen und Regale aus auberginefarbenen MDF-Platten und ebenso getönte Sitzmöbel für farbige Akzente.

Daten & Fakten

Objekt Wohnhaus J, Nenzing
Eigentümer/Bauherr privat
Architektur tomaselli architteta, Daniela Tomaselli, Nenzing
Statik Christian Gantner, Bludenz (Tragwerksplanung)
Fachplaner Gartenmann Engineering AG (Bauphysik, Bern), ENTECHMA GmbH, Andreas Bitschi (Zürich, Brand), BDT Bauphysik , Frastanz
Planung 2010-2011
Ausführung Herbst 2011–Frühling 2013
Grundstücksgröße 1200 m²
Wohnnutzfläche 230 m²
Bauweise monolithische Außenwände in Dämmbeton; Innenwände tragender Stahlbeton
Besonderheiten Lehmboden/Kalkböden in Nutzräumen, geräucherte Eichenböden
Ausführung Tomaselli Gabriel BauGmbH, Nenzing (Bauunternehmen/Betonbau); Transbeton GmbH, Nüziders (Liapor Leichtbeton); Summer Installationen GmbH, Frastanz (Heizung, Lüftung, Sanitär) Paff Elektrik, Bludesch, Hartmann Fensterbau, Nenzing; Gerold Ulrich, Satteins), Spenglerei Feist, Satteins
Energiekennwert 143,25 kWh/m² pro Jahr

Leben & Wohnen – Immobilienbeilage der VN

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
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