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„Kinder brauchen liebevolle Leitwölfe“

Henri Guttmann: "Eltern müssen nicht perfekt erziehen, aber authentisch sein."
Henri Guttmann: "Eltern müssen nicht perfekt erziehen, aber authentisch sein."
Wenn Patchwork-Eltern nur damit beschäftigt sind, die Wünsche ihrer Kinder zu befriedigen, ist das oft der Anfang vom Ende. Davon ist der Winterthurer Familien- und Paartherapeut Henri Guttmann überzeugt, der am 25. Jänner im Kinderdorf in Bregenz einen Vortrag zum Thema "Patchwork-Familie - bunt, lebendig, anders" halten wird. Vorab hat der Experte Christine Flatz-Posch einige Fragen beantwortet.
Vortrag: Patchwork-Familie

Christine Flatz-Posch/Vorarlberger Kinderdorf:
Was sind denn typische Schwierigkeiten, die in einer Patchwork-Familie auftauchen?

Henri Guttmann: Der häufigste Stolperstein ist der hohe Erwartungsdruck. Ganz nach dem Motto: Das zweite Mal – wird alles maximal! Viele Eltern erleben die erste Zeit mit dem neuen Partner als Gewinn und vergessen dabei, dass ihre Kinder die Situation aus einer völlig anderen Perspektive wahrnehmen. Für Kinder und Jugendliche ist z. B. der neue Freund der Mutter in erster Linie ein Störfaktor im vertrauten Gefüge. Erst mit der Zeit können die Kinder erkennen, dass der „Neue“ vielleicht Begabungen hat, die für sie nützlich sein können. In der Regel braucht eine Patchwork-Familie zwei Jahre, bis sich alle aneinander gewöhnt haben. Übrigens ist es bedeutend einfacher, eine Patchwork-Familie zu gründen, wenn die Kinder noch nicht in der Pubertät sind, weil jüngere Kinder noch viel toleranter sind. Ein Stolperstein ist zudem, wenn nicht aufgearbeitete Konflikte aus der Zeit der Scheidung in die neue Familienkonstellation hineinfunken.

Die Besetzungen in den neuen Familienformen sind sehr unterschiedlich – welche Konstellation birgt aus Ihrer Erfahrung am meisten Zündstoff?

Wenn zwei Eltern eigene Kinder in das neue Patchwork-Modell mitbringen und dann noch zusätzlich gemeinsame Kinder haben. Hier hört man dann den Satz: „Du Schatz, geh mal ins Kinderzimmer! Meine Kinder und deine Kinder verhauen unsere Kinder.“ Auch dieses Modell kann aber ganz gut funktionieren, wenn Regeln und Erziehungskonzepte gut abgesprochen werden.

Zitat: „Eltern müssen nicht perfekt erziehen, aber authentisch sein. Die perfekten Kinder sind im Übrigen auch relativ selten.“

Sie haben in einem Interview gesagt: „Partnerschaft vor Elternschaft“. Sollten nicht die Kinder im Mittelpunkt stehen?

Ein Liebespaar hat in der Regel eine gewisse Zeit ohne Kinder und damit Zeit, sich ungestört kennen und lieben zu lernen. Diesen Spielraum hat die Patchwork-Familie nicht. Vom ersten Moment an sind da Kinder mit ihren Bedürfnissen und Wünschen. Ich erlebe in meiner Praxis oft, dass Patchwork-Eltern rund um die Uhr damit beschäftigt sind, die Bedürfnisse der Kinder zu befriedigen. Wenn sie dabei die eigenen Bedürfnisse nach Nähe in der Paarbeziehung vernachlässigen, ist das oft der Anfang vom Ende. Übrigens nehmen sehr wenige Kinder seelischen Schaden, wenn es die Eltern zusammen lustig haben. Patchwork-Eltern brauchen Zeit-Inseln, wo sie sich austauschen und auftanken können.

Was halten Sie vom autoritativen Erziehungsstil?

Der antiautoritäre Erziehungsstil hat sich nicht wirklich bewährt. Die Kinder hatten keine Grenzen und die Jugendlichen zeigten eine zu hohe Risikobereitschaft. Dies führte oft zu Delinquenz und Drogenkonsum. Den autoritären Erziehungsstil kaufen Ihnen Ihre Kinder heute gar nicht mehr ab. Auch der autoritative Erziehungsstil mit Wärme und Kontrolle hat Nachteile, da er oft etwas rigid interpretiert wird. Aus meiner Sicht brauchen Kinder Eltern, die bereit sind, als liebevolle und klare Leitwölfe ihre Kinder zu erziehen und ihre Verantwortung wahrzunehmen. Eltern sollen vor allem in ihrer Erziehungshaltung authentisch sein. Eltern müssen nicht perfekt erziehen, die perfekten Kinder sind im Übrigen auch relativ selten.

Was sollte man als Elternteil in einer Patchwork-Familie unbedingt im Hinterkopf haben?

Mit realistischen Erwartungen ins Projekt einsteigen. Im ersten Jahr soll der neue Partner noch keine Erziehungsaufgaben übernehmen müssen und der biologische Elternteil gegenüber seinen Kindern die Regeln durchsetzen. Der neue Partner hat in der ersten Zeit nur die Aufgabe, eine Freundschaft mit den Kindern seiner Partnerin aufzubauen.

Vielen Dank, Herr Guttmann, wir freuen uns auf Ihren Vortrag.

Sie möchten gerne erfahren, wie das Projekt “Patchwork-Familie” gelingen kann? Dann melden Sie sich für den Vortrag bei Andrea Pfanner (a.pfanner@voki.at) an. Der Eintritt ist kostenlos.

FACT-BOX:
Patchwork-Familie: Bunt, lebendig – anders!
Vortrag von Henri Gutmann, Paar- und Familientherapeut, Winterthur
Mittwoch, 25. Jänner 2017
Vorarlberger Kinderdorf, Kronhalde Bregenz
Beginn: 20 Uhr, Eintritt frei
Anmeldung bei Andrea Pfanner: a.pfanner@voki.at
Weitere Infos

Die Vortragsreihe “Wertvolle Kinder” des Vorarlberger Kinderdorfs wird in Kooperation mit dem Land Vorarlberg, Russmedia und dem ORF durchgeführt.

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