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„Jene, die schimpfen, treten aus der Masse der Schweigenden heraus!“

Mit "Gauls Kinderlieder" ist mehr als nur eine Generation Vorarlberger aufgewachsen.
Mit "Gauls Kinderlieder" ist mehr als nur eine Generation Vorarlberger aufgewachsen. ©MiK
Ulrich "Gaul" Gabriel im WANN & WO Sonntagstalk über Kunst eigene Unarten und den Baron vom Zanzenberg.

WANN & WO: Was gibt es Neues vom Zanzenberg?

Ulrich Gabriel: Der Baron ist in Wien und besucht einige Ausstellungen. An sich ist er ja in Ürümqi, in China, und erforscht die Mystik des Ostens. Diese Fabeln und Götterwelten kennen wir nicht und die finde ich sehr spannend. Dort entfaltet sich ein volles Leben, mit Figuren, Pflanzen, Tieren und allem Möglichen. Auch der Baron ist eine reale irreale Figur. Er eröffnet eine Fantasiewelt, auch bei mir. Was man sonst liest – aktuelles Tagesgeschehen – hat damit ja nichts zu tun.

WANN & WO: Wie ist das gemeint?

Ulrich Gabriel: Mich reizt es, in einem Realmedium etwas zu platzieren, bei dem ich anfange, mit der Realität zu arbeiten, sie bewusst zu verfälschen oder sogar Meldungen zu erfinden. Die Geschichte, die wir vorgesetzt bekommen, ist oft eine stark ausgewählte, meist ideologisch befrachtete Historiker-Story. Mich interessiert etwas anderes.

WANN & WO: Wie kommen Sie persönlich mit dem Baron aus?

Ulrich Gabriel: Eigentlich sehr gut, nur im letzten Sommer ist er mir auf die Nerven gegangen. Ich habe gemerkt, dass das vom Zanzenberg für den Baron ausgelutscht ist. Der muss weg! Rein in die Transsibirische, die ich ihm gezahlt hab, bis rüber nach Ürümqi. Das hat mich vom Namen her fasziniert.

WANN & WO: Im ersten Moment könnte man meinen, es sei eine der Wortschöpfungen des Barons.

Ulrich Gabriel: In diesem Fall ist es keine, aber die empfinde ich als wichtig. Das sind Sinnschöpfungen, mit Doppel- oder Dreifachsinn. Viele sagen mir: „Gaul, ich komm’ halt nicht mit!“ Ich antworte immer: „Dann bleibst du halt da. Wenn du mitkommen willst, musst du es tun. Das ist ein Akt des Wollens, bei dem ich nicht helfen kann.“

WANN & WO: Warum sitzen wir hier im „Heimatsalon“?

Ulrich Gabriel: Bis vor einem halben Jahr habe ich hier noch Filme zum Thema „Heimat“ vorgeführt. Die Filme beschäftigen sich mit den Begriffen einheimisch, zweiheimisch, dreiheimisch und beleuchten die Problematik dieser mehrheimischen Herkunft auf positive Weise. Die Frage nach der eigenen kulturellen Identität ist eine sehr wichtige. Sie zieht sich durch meine gesamten Engagements für die Mundarten Vorarlbergs. Hochdeutsch ist ja eine künstliche Sprache. Ihre Intention war aber nicht künstlerisch, sondern es ging um Handel, Verwaltung und die Kirche.

WANN & WO: Ist das heute ähnlich?

Ulrich Gabriel: Ja, gerade in einer globalisierten Welt, in der alles gleich sein muss, verstanden werden muss, alle das Gleiche lernen müssen – PISA, den Oberschwachsinn der Nation, halte ich für eine total falsche Bewertung von Bildung.

WANN & WO: Provokation ist ein von Ihnen gerne angewendetes Mittel. Wie kann man Sie provozieren?

Ulrich Gabriel: Über die Kolumne nicht, auch wenn ich teilweise wildeste Kommentare bekomme: Man soll mich einliefern, ich hätte nicht alle Tassen im Schrank, Alkoholiker, ab in die Valduna, etc. Mich provozieren eher politische, kulturpolitische Situationen oder wenn man die Mundart zu wenig fördert. Das ist manchmal auch ein Nachteil, wenn ich emotional ausraste. Aber jede Reaktion ist mir lieber, als das ewige Schweigen. Das Nichts-Sagen ist typisch für die Vorarlberger Mentalität. Ich will mit den Leuten in Berührung kommen, will sie treffen, bin wie ein Jäger unterwegs. Mit der stumpfen Waffe des Wortes, die dann Opfer sucht, die anbeißen. Jene, die schimpfen, treten aus der Masse der Schweigenden heraus! Ich bin auch Gegner der Political Correctness. Sie ist ein Mittel, um die Leute zum Schweigen zu bringen. Die öffentliche Meinungsabgabe wird verunsichert, aus Feigheit, irgendwo anzuecken.

WANN & WO: Waren Sie schon als Schüler ein Rebell?

Ulrich Gabriel: Ich bin ein braver Schüler gewesen, als Professoren-Sohn – mein Vater war an der gleichen Schule wie ich. Da muss man besser aufpassen. Außerdem bin ich ein Spätpubertierender – manche sagen, die Pubertät hält heute noch an. An der zeitgenössischen Kunst und Musik hat mich einiges gereizt. Politische Aufmüpfigkeit gab es immer wieder. Manche halten mich für einen 68er, aber das bin ich in keiner Weise! ’68 war ich bei der Blasmusik (lacht)! Erst mit der Gründung des Spielbodens wurde es mehr. Der Konservativismus, das Nicht-Offen-Sein, hat mich gereizt, Widerstand zu leisten. Damals waren Jugendliche viel interessierter an politischen Zusammenhängen, Freiheit oder Autonomie.

WANN & WO: Was hat sich seither geändert?

Ulrich Gabriel: Viele bilden ihre Identität heute nur noch über Soziale Medien. Die direkte, persönliche Auseinandersetzung gibt es kaum noch. Man sitzt nur daheim, geht nicht mehr raus und nimmt so an der Welt teil, blendet aber auch nur das ein, was man haben will. Ich halte es daher für sehr wichtig, dass man mit verschiedenen Meinungen zusammenkommt. Wenn ich nicht gegen die Isolation, diese Vereinzelung, ankämpfe, entwickeln sich Figuren, die sich in Sackgassen mit einseitigen Ansichten verrennen und von diesen genährt werden. Auch die Meinung des Barons vom Zanzenberg ist nur eine unter vielen. Ich will mich nicht unter dem Mäntelchen des Objektiven verstecken.

WANN & WO: Haben Sie persönlich eine Unart?

Ulrich Gabriel: Ich bin gerne etwas schlampig. Ständig fange ich vieles an, wodurch ich vieles liegen lassen muss. Ich kann besser anfangen, als etwas zu Ende bringen. Das empfinde ich als Schwäche, weil ich oft nicht die Konsequenz habe, etwas so lange weiter zu verfolgen, bis es fertig ist. Außerdem habe ich ja auch noch die Unartproduktion.

WANN & WO: Wie kam es zu diesem vielfältig auslegbaren Namen?

Ulrich Gabriel: Unartig, englisch „un-Kunst“, französisch „eine Kunst“, das ist es alles. Ich wollte nicht in dieser Kaste der Kunst sein. Vielleicht bin ich auch zu wenig selbstbewusst. Natürlich kann das auch anders interpretiert werden, wie es mir jetzt z.B. mit den Schundheften passiert. Der Begriff „Schund“ stört die Leute. Mit Schund möchte man nichts zu tun haben und diese Ironie packen viele nicht.

WANN & WO: Was würden Sie ohne Ihren Verlag machen?

Ulrich Gabriel: Ich würde einen Verlag machen (lacht), ganz sicher.

WANN & WO: Wie kommen Sie zur Ruhe?

Ulrich Gabriel: Nie. Das ist für mich eher eine Bedrohung. Manchmal ist es an einem Tag zu viel, aber dann schlafe ich halt in der Nacht.

WANN & WO: Wie geht man mit Rückschlägen um?

Ulrich Gabriel: Das kann ich sehr schlecht. Ich muss dann reden, um das eigene Elend zu mildern. Man braucht Menschen, die einem den Scheinwerfer auf eine andere Stelle der Weltbühne ausrichten.

WANN & WO: Wie weit darf Satire gehen?

Ulrich Gabriel: Sie muss ehrlich sein, aber auch mutig, sonst haben wir alle dieses ungesalzene Verhaltenskabarett, das in Vorarlberg sehr häufig ist. Bei Böhmermann war ich auch skeptisch und er hat es wirklich bis zur Grenze ausgereizt. Wenn man bedenkt, wie die Reaktionen darauf waren, war es aber das Richtige. Die Gesellschaft allgemein hat dadurch gewonnen. Man braucht dafür aber auch jemanden, der reagiert. Bei vielen habe ich das Gefühl, die sterben mit 20 Jahren und laufen dann halt noch herum, sind aber schon lange tot.

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